Erstellt am: 28. 3. 2014 - 02:39 Uhr
The daily Blumenau. Thurs/Friday Edition, 27/8-03-14.
Auch 2014 online: der Versuch das Journal '13 (wie schon das von 2003, '05, '07, 2009 und 2011) durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Mit Items aus diesen Themenfeldern.
Heute in einer nächtlichen Ausgabe zwischen den Tagen. Hat auch damit zu tun, dass ich mir eine Veranstaltung wie den Echo von Donnerstag abend nur im Nachhinein, mit der Möglichkeit des Fast Forward ansehen kann.
#musik #pop #gesellschaftlicheverantwortung
Vorrede 1
Ich habe heute untertags was über den neuen Veronica Mars-Film gelesen, der - fancrowdfinanziert - die gerissene Teenie-Serie aus dem vorigen Jahrzehnt auf die Leinwand bringt. Da standen ein paar Sätze, die die Tonalität dieses TV-Produkts beschrieben; und das war keine von HBO und keine mit richtig fettem gesellschaftspolitischen Anspruch: "Die Serie entwarf eine düstere Gesellschaft, in der es zwischen dem Geldadel und seinen Angestellten keine Mittelschicht als Puffer gab..." Der genau richtig geschilderte Handlungs-Topos kam nicht holzhammermäßig, sondern beiläufig daher, es schimmerte nirgendwo etwas wie Moral, Aufklärung oder Achtung, kritischer Ansatz durch - Veronica Mars war gut gemachter Erzähl-Pop, der neben positiv besetzter Unterhaltung, Spannung und dosierter Teenager-Verzweiflung dann eben auch ein Stück Wirklichkeit deutlich machte. Und zwar schon ein zeitlich kleines Stück ehe dessen Kern (das Verschwinden der Mittelschicht) deutlich sichtbar wurde.
Das bringt die Aufgabe von Pop auf den Punkt: Sichtbarmachung von dräuenden gesellschaftlichen Themen, unter Bewahrung der Unterhaltungs-Funktion; oder in formaler Breite inhaltlich Zugespitztes erzählen, und sei es noch so subkutan.
Vorrede 2
Der Echo dient den Machern des Amadeus als Vorbild; zumindest führen Dienstreisen gern nach Berlin, um sich dort Aktuelles abzuschauen. Auch wenn die Rückkehrer dann beschließen, nichts Nennenswertes gesehen zu haben; weil auch dort nur mit Wasser gekocht wird.
Allerdings war auch heuer wieder sichtbar, was den Deutschen gelingt und woran Österreich noch zu arbeiten hat: beim Echo feiert sich eine Szene ab, primetimemäßig, mit Überziehungsrahmen; beim Amadeus geniert sie sich öffentlich für ihre Existenz; zeitverzögert.
Schlager ist Pop, Pop ist Schlager
Sag ihr ich lass sie grüßen live beim Songcontest.
Natürlich war Schlagermusik im deutschsprachigen Raum immer auch Pop; er war schließlich vorher da. Und Udo Jürgens' frühe Klassiker sind Pop im besten Sinn: vertiefte Gefühlswallungen im aktuellen Soundgewand.
Als sich in den 70ern dann das neue deutschsprachige Liedgut politisch und produktionstechnisch emanzipierte, fiel die Trennung klarer aus: hier die Schnulze, das Kornfeld, das Modern Talking, dort Lindenberg und Reiser, später Blumfeld und Blixa. Egal ob Neue deutsche Welle oder Hamburger Schule, alles brachte neue Variationen einer inhaltlichen Relevanz auf der Basis musikalischer Neuerungswut.
Irgendwann fiel dieser Anspruch in sich zusammen; etwa zeitgleich mit dem Zusammenbruch des Geschäftsmodells Musikherstellung. Und seitdem geht man wieder zusammen, Pop und Schlager, Schlager und Pop: Lena, Stürmer, Silbermond...
Tut euch das nicht an!
Wer jemals bei einer Echo-Preisverleihung in Berlin war, wird wissen, dass so ein Abend für Beteiligte und Zuschauer kein Zuckerschlecken ist (Christiane Rösinger)
Und jetzt, beim Echo 2014, wird es quasi offiziell gemacht. Helene Fischer, eine fleischgewordene Popschlager-Person mit Shakira-Imitationsbeinen moderiert und gewinnt und singt James Blunt über die Schulter, Miss Platnum schlagert sich durch Marterias Kids, Peter Maffay knödelt Selbstgerechtes, Adel Tawil verwässert die ohnehin schon dünne Naidoo-Pseudo-Soul-Suppe noch mehr und es ist Ina Müller, die vielleicht schlaueste Person dieses Branchenabends, die es ausspricht: Pop muss in den Wechseljahren sein, sonst hätte eine Schlagerbraut wie sie nicht gewinnen können. Dass sich Frau Fischer mit einem absichtlichen Versprecher vom Bambi 2014 verabschiedet wird so zur doppelten Wahrheit: dort, beim reaktionären Almabtreib der Burda-Medien werden Schlagerpreise in allen erdenklichen Kategorien jenseits der Musik vergeben; hier beim deutschen Musikpreis war das nicht immer so.
Aber jetzt. Und folgerichtig präsentiert der Opernschlager-Fuzzi Rolando Villazon die Schlager-Kategorie; welche dann Frau Fischer gewinnt, eh klar. Andere Schlager-Gewinner sind Frau Stürmer (die als einzige Österreicherin einen Preis holt und bei ihrer Rede nicht die Larissa macht, sondern angenehm auffällt; für Volksschlagermann Gabalier und die Rapschlagerschläger Chakuza und Raf 3.0 bleibt es bei der Nominierung), Herr Williams, die Kindergarten-Sons of Anarchy von Boss Hoss, eine Schweizerin namens Egli, offenbar ein Bohlen-Protege, Herr Bendzko und ein Seemannschor, nicht der von Frau Müller, der wäre lustiger gewesen. Und letztlich klingt dann auch das runtergehudelte Gesamtwerk der Fanta 4 wie von Ralph Siegel produziert.
Immerhin: dass der Schlager das Gruselige in Gestalt von Herrn Mölzers Lieblingsband Freiwild und einigen Mittelalter/Mittelerde-Figuren überlagert, das ist gut.
Der Schlager, sowohl der alte als auch der aktuelle, ist natürlich genauso jasagend, den Status Quo abnickend und das System duldend wie jede andere künstlerisch eher wertlose ornamentische Aussage, aber er verweigert sich zumindest der Vereinnahmung durch böhse völkische Onkels.
Die Synergien, die sich im Rahmen der Musik als optimaler Vernetzungs-Plattform zugunsten der Benachteiligten und Schwachen ergeben (um da die kaum erträgliche Rede von Peter Maffay niederzuzitieren) verpuffen diesbezüglich glücklicherweise. Und das durchaus vorhandene feine, unschlagerhafte (Herre, Delay, die Spontan-Bastelei von Yello) soll nicht verschwiegen werden - es war nur in der Minderheit, wurde in Opposition geschickt.
Die, die schon immer mit dem Popschlager gespielt haben und deshalb schon deutlich weiter sind, ihn mit orchestralen Klängen und Slam-Poetry angereichert zurück an den Absender schicken könne, beendeten das dreistündige Spektakel: die Sportfreunde Stiller. Die sind sowas wie die Veronica Mars der deutschen Musikszene, ein interner Seismograph.
Den selbstgestellten Auftrag der Popkultur als Sichtbarmacher von relevanten Entwicklungen können sie (alleine) nicht erfüllen. Dem Schlager wird das auch nicht gelingen; der ist wie die Fingerstellung von Mutti Merkel: stabilisierend und bewahrend. Pop würde schon bedeuten, dass sich diese Finger zu ganz anderen Gesten regen, und sei es zu solch puber-tären, für die man nur einen einzigen braucht. Und irgendwie kann das doch nicht zuviel verlangt sein.