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Hanna Silbermayr

Lateinamerika, Migration, Grenzen und globale Ungleichheiten

28. 3. 2014 - 17:03

Die Angst der Argentinier vor der Krise

Argentinien erlebt ein Déjà-Vu. Auf den Straßen wird protestiert und die Bevölkerung flüchtet sich einmal mehr in den sicheren Dollar.

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Schon von Weitem hört man das Gedröhne der Trommeln, das sich den Weg durch die Häuserschluchten bahnt. Und dann tauchen sie auf. Die vielen Fahnen, die sich langsam Richtung Plaza de Mayo bewegen. Zu jenem Platz, auf dem der rosarote Regierungspalast steht.

Es ist ein Bild, das man in Argentiniens Hauptstadt Buenos Aires in letzter Zeit häufig sieht. Fast jeden Tag, wie man mir erklärt. Die Argentinier proben den Aufstand. Wieder einmal.

Demo-Zug auf der Plaza de Mayo vor dem Regierungspalast in Buenos Aires.

Hanna Silbermayr

Und dann tauchen die Fahnen auf, die sich Richtung Plaza de Mayo bewegen.

Inflation und teure Lebensmittel

Seit einigen Wochen erlebt Argentinien ein Déjà-vu, der Staat befindet sich in einer wirtschaftspolitischen Krise. Die prekäre Lage des Landes wurde offensichtlich, als die Regierung den argentinischen Pesos in der letzten Januar-Woche relativ plötzlich abwertete.

Es ist der verzweifelte Versuch, die hohe Inflation im Land in den Griff zu bekommen. Diese lag im letzten Jahr nach offiziellen Angaben bei 10 Prozent. Unabhängige Experten schätzten sie hingegen auf 30 Prozent oder mehr. Für 2014 prognostizieren diese eine Inflation von bis zu 40 Prozent. Gewiss ist: Während der letzten Wochen kam es zu enormen Preissteigerungen. Für manches musste man im Januar um über 250 Prozent mehr auslegen, als noch im Dezember 2013. Teuerungen der Lebenshaltungskosten, die vor allem die Mittelschicht zu spüren bekommt. Die Situation ist angespannt.

Argentinier protestieren gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung

Hanna Silbermayr

Nach der Pesos-Abwertung ist die Situation sichtlich angespannt.

Gehaltsverhandlungen und Streiks

"Wenn Geld da ist, streifen es die da oben ein und wenn Krise ist, müssen wir sie bezahlen. Es reicht, Compañeros, es reicht!", schreit ein Redner auf einer Lehrer-Demonstration ins Mikrofon.

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Seit Anfang März laufen die Gehaltsverhandlungen zwischen den Gewerkschaften und der Regierung. Sie fordern um bis zu 61 Prozent höheres Gehalt. Da es aber bisher keine Annäherung der beiden Seiten gab, traten die Lehrer in Generalstreik. Kein Unterricht für Argentiniens Schüler seit zwei Wochen.

Schon im Dezember legte die Polizei die Arbeit nieder, um die Forderung auf Verdoppelung ihres Gehalts durchzusetzen. Aufgrund des Fehlens der Sicherheitskräfte kam es zu landesweiten Plünderungswellen und Ausschreitungen. Damals gab es Verletzte. Und Tote.

Das argentinische Wissenschaftsinstitut Diagnóstico Político misst das soziale Konfliktpotential anhand so genannter "Piquetes", das sind Straßenblockaden, mithilfe derer Hauptverkehrsrouten lahmgelegt werden und Gewerkschaften versuchen, Druck auf die Politik auszuüben. 519 zählte man im Februar, ein neuer Monatsrekord.

Demonstrant in Buenos Aires

Hanna Silbermayr

Kein Unterricht für Argentiniens Schüler, weil die Lehrer seit zwei Wochen streiken.

Die Stille der Politik

Bis 2011 ging es mit Argentiniens Wirtschaft bergauf. Doch seit das Wachstum stagniert, sind viele der staatlichen Maßnahmen, wie etwa die hohen Subventionen für Strom, Gas, Wasser oder Transport, nur mehr schwer aufrecht zu erhalten. Darum steigen auch hier die Preise.

Der argentinische Staat braucht Geld und die Regierung greift mittlerweile zu teils radikalen Maßnahmen, um Devisenabflüsse einzudämmen und die Auswirkungen der hohen Inflation auf die Bevölkerung abzufedern. Seit Februar 2012 muss jeder Import von den argentinischen Behörden genehmigt werden. In Folge hängen Waren teilweise wochenlang beim Zoll fest und fehlen in den Supermarktregalen. Mit der vielleicht skurrilsten Maßnahme verpflichtete die Regierung schon 2011 ausländische Unternehmen, Produkte im selben Wert auszuführen, wie sie nach Argentinien importierten. Das führte dazu, dass etwa Autohersteller wie Porsche und BMW plötzlich Wein, Olivenöl oder Reis exportierten.

Doch die steigende Inflation konnte durch all diese Maßnahmen nicht gebremst werden, das mussten sich Argentiniens Politiker Ende Januar offenbar doch eingestehen. Bisher wurde das Thema totgeschwiegen, Statistiken beschönigt und ausländische Unternehmen und Spekulanten dafür verantwortlich gemacht.

Auf das neue Eingeständnis deutet auch die Pesos-Abwertung hin. Und die von der Regierung ins Leben gerufene Aktion "Precios Cuidados", mittels derer die Preise der wichtigsten Grundnahrungsmitteln eingefroren wurden, damit sich die Argentinier zumindest diese noch kaufen können.

Und doch konnten die Auswirkungen der Inflation auf die Bevölkerung nur bedingt eingedämmt werden. Entsprechend groß sind der Ärger und auch die Angst vor einer neuerlichen Staatspleite wie im Jahr 2002.

Preisschild "Precios Cuidados" in einem argentinischen Supermarkt.

Hanna Silbermayr

Precios Cuidados: Die Preise wichtiger Grundnahrungsmittel wurden eingefroren.

Flucht in den Dollar

Während die einen auf die Straße gehen, flüchten sich andere in den sicheren Dollar, sehen sie das Anschwellen sozialer Proteste doch als Krisen-Indikator.

Doch in Argentinien ist es gar nicht so einfach, argentinische Pesos in Dollar umzutauschen. Der private Dollar-Kauf ist seit 2011 stark reglementiert und hoch versteuert. So versucht die Regierung den Devisen-Abfluss zumindest irgendwie einzudämmen. Doch gerade deshalb floriert der Schwarzmarkt wie selten zuvor.

Vor den Theken der illegalen Wechselstuben stehen die Argentinier heute Schlange. Getarnt als Reisebüros oder Antiquitätenhändler liegen diese in einer Einkaufsmeile inmitten des Stadtzentrums. Wer Pesos über hat, versucht sie hier in sichere Währungen einzutauschen, allen voran in US-Dollar.

"Seit der Pesos-Abwertung Ende Januar läuft das Geschäft gut", erklärt ein junger Mann, der in einer der illegalen Wechselstuben arbeitet. Und das, obwohl man für einen Dollar am Schwarzmarkt mehr Pesos zahlen muss, als es der offizielle Wechselkurs vorsieht. Doch die Angst der Argentinier vor einem neuerlichen Crash ist so groß, dass viele bereit sind, ihr Erspartes auch zu schlechteren Konditionen in Sicherheit zu bringen.

Argentinier stehen in einer illegalen Wechselstube in Buenos Aires Schlange.

Hanna Silbermayr

In den illegalen Wechselstuben stehen die Argentinier heute Schlange.

Regierungskritische Medien vergleichen die aktuelle Lage mit der Situation während der Monate vor dem Staatsbankrott im Jahr 2002. Sie warnen vor einer Eskalation, wie sie derzeit in Venezuela passiert. Spätestens seit 2002 wissen die Argentinier: Alles kann sich von einem Moment auf den nächsten um 180 Grad drehen. Angespartes Geld schneller weg sein, als man denkt. Ein großer Teil der Mittelschicht von einem Tag auf den nächsten unter die Armutsgrenze abrutschen. Und auch wenn die Argentinier krisenerprobt sind: Die permanente Angst vor einem neuerlichen Crash bleibt.