Erstellt am: 25. 2. 2014 - 18:30 Uhr
Am ideologischen Graben Lateinamerikas
Straßensperren, Zusammenstöße, mindestens 13 Tote und mehr als 150 Verletzte, das ist die bisherige traurige Bilanz der Ausschreitungen in Venezuela. Seit Anfang des Monats demonstrieren Studenten gegen die Regierung unter Präsident Nicolas Maduro, die sie für die Wirtschaftskrise, die Behördenwillkür und für die hohe Kriminalitätsrate in Venezuela verantwortlich machen. Auch heute ist es wieder zu Demonstrationen von Gegnern und Anhängern der Links-Regierung gekommen. 700 Menschen wurden bei den anhaltenden Protesten bisher festgenommen.
Sandra Weiss
Sandra Weiss ist freie Journalistin. Sie lebt und arbeitet in Südamerika und begleitet in den letzten Wochen die Proteste in Venezuela. Im Interview erklärt sie, wie es in Venezuela soweit kommen konnte.
Veronika Weidinger: Seit zwei Wochen wird in Venezuela demonstriert. Können Sie zusammenfassen, warum in Venezuela seit Wochen Opposition und Studierende auf den Straßen sind, um gegen die Regierung von Präsident Maduro zu demonstrieren?
Sandra Weiss: Der Anlass war ein Fall an der Universität in Tachira. Dort wurde eine Studentin vergewaltigt und daraufhin sind die Studenten auf die Straße gegangen. Die Unsicherheit im Land hat in letzter Zeit extrem zugenommen. Als ich zuletzt dort war, hörte ich auch Schusswechsel, das war früher eigentlich nicht der Fall. Es kommt ständig zu Überfällen, Raubüberfällen und Morden, die Medien sind voll davon. Diese Vergewaltigung hat dann sozusagen das Fass zum Überlaufen gebracht und die Studenten auf die Straße gegangen sind. Dieser Protest wurden dann von der Regierung extrem hart niedergeschlagen. Die Folge waren aber immer und immer mehr Proteste und denen haben sich immer mehr Leute angeschlossen, auch ältere Generation, die einfach vieler Sachen überdrüssig sind, die derzeit in Venezuela passieren. Güterknappheit zum Beispiel, die Devisenverkehrskontrollen, die zu erheblichen Verwerfungen in der Wirtschaft führen. Man bekommt zum Beispiel keine Flüge mehr aus Venezuela, weil die Fluglinien keine Tickets mehr in Venezuela verkaufen, weil sie von der Regierung keine Devisen zugeteilt bekommen. Das sind alles Dinge, die sich angestaut haben und sich dann Luft gemacht haben.
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Was man hierzulande über die Proteste liest, erweckt den Eindruck, dass das eine Protestwelle ist, die vor allem von jüngeren Menschen getragen wird, also dass das eine Generationenfrage ist: Pro und Contra Maduro. Jetzt sagen Sie, es sind Menschen aus allen Altersgruppen dabei.
Die Proteste wurden von den Jugendlichen begonnen und die sind auch weiterhin ein wichtiger Faktor. Bei den älteren Leuten in Venezuela verhält es sich wie überall: die gehen natürlich nicht ohne Weiteres auf die Straße. Sie machen vielleicht mal einen Marsch mit, sind dann aber nicht ständig auf der Straße, die müssen ja auch arbeiten. Die Proteste werden also schon von den Studenten getragen, aber es gibt große Teile der venezolanischen Gesellschaft, die sich mit den Studenten solidarisieren. Sie sind der Kern, aber um sie herum gibt es viele andere, die die Proteste unterstützen.
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Sie waren letztes Jahr in Venezuela und beobachten seither den Protest begleitend aus anderen südamerikanischen Ländern. Wie sieht denn dieser Protest konkret aus?
Das sind vor allem Märsche. Und wie das so häufig der Fall ist, gibt es dann ein bisschen Radikalere, die die Proteste gegen Ende eskalieren lassen. Die Opposition betont immer, dass sie friedliche Märsche will. Die Proteste dauern allerdings schon über zwei Wochen an, in gerade in den letzten Tagen gab es aber doch heftige Repressionen - und die Repression ging von der Guardia Civil, der Guardia Nacional aus - das ist eine Art Polizei - und von bewaffneten Zivilisten, die die Regierungsanhänger sind. Die haben auch in die Menge geschossen, davon gibt es Fotos. Das hat die Proteste dann eskalieren lassen. Die Demonstranten warfen dann Molotow-Cocktails, haben Polizei-Patrouillen angezündet, mit Steinen Scheiben öffentlicher Gebäude eingeworfen. Am Rande der Märsche kommt es immer wieder zu diesen Ausschreitungen. Es gibt auch Straßensperren, die die Demonstranten zum Teil aufbauen, um den bewaffneten Sympathisanten der Regierung den Weg zu versperren. Die sind immer mit Motorrädern unterwegs, und da werden dann Drähte gespannt, damit sie sich mit den Motorrädern darin verfangen. Das ist also so ein kleiner Guerilla-Krieg, der da auf der Straße stattfindet.
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Jetzt sind diese Proteste in Europa nur relativ am Rande ein Thema. Woran liegt das?
Ich glaube, es liegt vor allem daran, dass Europa derzeit auf die Ukraine blickt und nicht nach Venezuela. Es gab aber auch Probleme mit kritischen Medien. Ein kolumbianischer Fernsehsender wurde von der Regierung aus dem Kabelnetz genommen. Und die Regierung hat die anderen Fernseh- und Radiosender angewiesen, nicht über Gewalt zu berichten, weil sie sonst ihre Lizenz verlieren würden - das war eine ganz offen ausgesprochene Drohung. Das haben die meisten Sender dann auch gemacht, was die Opposition natürlich ganz klar als Zensur gewertet hat. Ich würde sagen, das alles liegt irgendwo zwischen Zensur und Selbstzensur. Sogar CNN wurde kurzzeitig die Akkreditierung entzogen, was aber wieder rückgängig gemacht wurde. Es gibt also schon das Bestreben der Regierung, eine freie und kritische Berichterstattung zu unterbinden. Sie behauptet, das sei alles eine Verschwörung und ein Putsch gegen sie. Aber ich denke, der Hauptgrund dafür, dass das alles in Europa nicht so sehr gesehen wird, liegt an der Logik, wie Medien funktionieren: In Venezuela gab es ja bisher "nur" etwas mehr als zehn Tote. Anderswo gab es mehr.
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Präsident Maduro wertet die Demonstrationen als Putschversuch und der Präsident Venezuelas macht dafür auch die USA verantwortlich. Wie sind denn diese Proteste in Venezuela aus dem Blickwinkel der USA aber auch der anderen lateinamerikanischen Staaten einzuschätzen?
An Venezuela scheiden sich die Geister. Venezuela hat Verbündete in der Region, das sind die Linksregierungen in Nicaragua, in Argentinien, in Bolivien und in Kuba. Die haben sich sofort auf die Seite Maduros gestellt und gesagt, es ist ein Putschversuch im Gange und wir unterstützen Maduro. Die USA haben gesagt, sie verurteilen, dass die Meinungsfreiheit unterbunden wird und dass friedliche Proteste gewaltsam niedergeschlagen werden und haben sich für Dialog ausgesprochen. Andere Länder, wie Peru oder Mexiko, haben auch zum Dialog aufgerufen. Also in Venezuela haben wir wieder diesen ideologischen Graben, der Lateinamerika trennt, zwischen sogenannten linken Regierungen und eher konservativ-rechten Regierungen. Diesen Graben merkt man in Venezuela ganz extrem. Aber für diese Putsch- und Umsturzversuche hat Maduro bisher keine Beweise vorgelegt, da warten wir bis heute noch drauf, wie er das belegen will.
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Wie schätzen Sie denn ein, wie es weitergehen wird? Für morgen ist von Maduro eine Konferenz des Friedens angekündigt, die Studenten rufen gleichzeitig zu neuen Protesten auf.
Maduro versucht, ein wenig den Druck herauszunehmen und deutet Dialogbereitschaft an. Ich bin da skeptisch, weil Venezuela schon seit 15 Jahren polarisiert ist und das in den letzten Jahren noch zugenommen hat. Wir haben hier quasi zwei Gesellschaftsmodelle, die miteinander unvereinbar sind. Wir haben Maduro, der für ein kommunistisches Modell steht, und dann haben wir fast die Hälfte der restlichen Gesellschaft - die Wahlen hat Maduro knapp mit 51 Prozent gewonnen. Diese Hälfte ist eher für ein kapitalistisch-bürgerliches Gesellschafts-Modell. Und es ist natürlich unheimlich schwierig, zwei so völlig konträre Modelle irgendwie an einen Tisch zu kriegen. Vor allem, wenn das so eine lange Geschichte hat, von gegenseitigem Misstrauen, von Unterdrückung, von politischen Häftlingen, von Putschversuchen. Auf beiden Seiten wurden so viele aggressive Aktionen unternommen. Ich halte es deshalb für sehr sehr schwierig, da irgendwie einen Dialog hinzubekommen. Ich denke also, die Proteste werden weitergehen. Die Regierung wird versuchen, sie mit einer Mischung aus Dialog und Repression zu unterdrücken. Der Knackpunkt ist, ob Maduro die Unterstützung in den Armenvierteln verliert. Dann wird sich seine Regierung nicht mehr lange halten können. Aber das ist noch nicht passiert. Bisher war die Protestwelle eher von der Mittelschicht getragen, von Studenten, aber sie ist noch nicht übergeschwappt auf die Armenviertel. Das wäre meiner Meinung nach der Punkt, an dem eine Wende eintritt.