Erstellt am: 7. 3. 2014 - 17:58 Uhr
Puber was here
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Der Schweizer Graffiti-Writer PUBER hat in Wien seit Monaten gehörig für Aufregung gesorgt. Nun ist er laut Medienberichten verhaftet worden.
Nun ist es also passiert: der Schweizer Graffiti-Writer PUBER wurde laut Medienberichten in einer Wohngemeinschaft in Wien verhaftet und abgeführt. Publik wurde die Geschichte durch eine merkwürdig reißerische Fotostrecke des Polizei-Einsatzes auf der Webseite vom Vice-Magazin. Ob die gezeigte Person tatsächlich für alle Puber-Tags in Wien verantwortlich ist, muss erst bewiesen werden. Auch für ihn gilt die Unschuldsvermutung. Eine derartig peinliche Story hat nichts mit investigativem Journalismus zu tun, sondern erinnert eher an die düsteren Zeiten des Prangers und löst bei mir großes Unbehagen aus. Aber alles der Reihe nach. Was ist passiert?
APA/HELMUT FOHRINGER
Im Grunde nichts Neues
Vor knapp einem Jahr ist mir der Name PUBER erstmals in Wien aufgefallen. Ich kannte das Tag (= Namenskürzel) bereits von diversen Reisen nach Zürich, denn entlang der Banhstrecke vom Schweizer Flughafen in die Stadt taucht der Name ebenfalls häufig auf Lärmschutzwänden und Brückenpfeilern auf.
Ob es sich um die gleiche Person handelt, ist bis heute offiziell nicht geklärt. Theoretisch kann jede und jeder mit Spraydose und Stiften losziehen und beliebige Namen schreiben. Jedes einzelne Tag muss akribisch nachgewiesen werden, bevor ein Mensch dafür bestraft werden kann.
Wer auch immer für die Puber-Graffiti in Wien verantwortlich ist, hat im Grunde nichts Neues gemacht. Das Phänomen, dass eine Person den Namen ihres Alter Egos illegal in der ganzen Stadt platziert, gibt es schon sehr lange. In Philadelphia wurde Ende der 60er Jahre ein gewisser "Cornbread" zum gejagten stadtbekannten Phantom. In New York hat Anfang der 70er Jahre der heute weltberühmte TAKI 183 genau das gemacht, was Puber in Wien gemacht hat: seinen Namen "All City", also in der gesamten Stadt, verbreitet. Ein viel beachteter Artikel einer New Yorker Zeitung von damals gilt als Urknall für die rasante Verbreitung und Weiterentwicklung von Graffiti in NYC und weit darüber hinaus. Denn Taki 183 wurde erst dadurch wirklich prominent. Heute stellt er, der als einer der Pioniere urbaner Kalligraphie gilt, seine Tags auf Leinwänden in renommierten internationalen Galerien aus und verdient damit Geld.
CC BY-SA 3.0 AT - http://commons.wikimedia.org/wiki/User:Kyselakproject
Und sogar Österreich hatte Anfang des 19. Jahrhunderts bereits einen Puber: er hieß Joseph Kyselak, war Hofkammerbeamter und passionierter Alpinist. Auf seinen zahlreichen Reisen und Wanderungen hat er mit Meißel, Hammer und schwarzer Ölfarbe auf Ruinen, Bergspitzen, in Höhlen und auf zahlreichen anderen Oberflächen seinen Namen eingraviert. Manche dieser frühen Tags sind noch heute sichtbar. Kyselak war wahrscheinlich der erste Tagger weltweit. Und auch er wurde damals vom Kaiser gerügt, heute werden über ihn Bücher geschrieben und Filme gedreht.
Ruhestörung in Wien
Wien wird im Vergleich mit anderen Metropolen manchmal nachgesagt, langsamer und "gemütlicher" zu sein. Bezogen auf die heimische Graffiti-Szene trifft das auf jeden Fall zu. Denn Städte wie Berlin, Paris oder Amsterdam haben seit Jahrzehnten jährlich mit zig Sprayern vom Typ Puber zu tun. Hamburg hat OZ, Berlin die 1UP-Crew, San Francisco hatte TWIST (der heute übrigens einer der bestbezahlten Künstler der Bay Area ist), Paris hatte O'CLOCK, TRANE und HORFE. Es grenzt also fast an ein Wunder, dass Wien erst 2013/2014 mit einer derartig intensiven Graffiti-Serie konfrontiert wurde (abgesehen von einem gewissen "LUXUS", der ebenfalls seit vielen Jahren zum Wiener Stadtbild gehört). Die Bundeshauptstadt war somit ein dankbarer Ort für den Farbrausch des Schweizer Writers. Denn die Konkurrenz ist hierzulande vergleichsweise zahm, friedlich und zurückhaltend. Die Stadt Wien bietet zahlreiche legale Flächen (zum Beispiel die Wände am Donaukanal) für Graffiti-Sprayer an und ist vergleichsweise liberal im Zur-Verfügung-Stellen von zu bemalenden Wänden im öffentlichen Raum. Puber hat diesen "Frieden" mit seinem provokant-aggressiven Graffiti-Zugang kurzzeitig gestört.
APA/HELMUT FOHRINGER
Riesengroße Tags mit Spraydosen auf Hausfassaden, übermalte Bilder und Signaturen anderer Künstler, provokante großkotzige Sprüche, angebliche körperliche Gewalt und Drohungen gegen andere Writer, etc. Sympathieträger sehen anders aus. Die Meinung innerhalb der Szene zu Puber ist dementsprechend gespalten. Manche hassen ihn für seinen respektlosen Zugang, seine Ignoranz und die teilweise wirklich blöden Sprüche, die er neben seine Bilder gemalt hat. Andere bewundern den scheinbar unsichtbaren Outlaw, der sich an keine Regeln hält und der vermeintlich macht, was er will, ohne gestoppt werden zu können. Immerhin riskiert hier jemand alles, nur um wahrgenommen zu werden. Das hat auch was mit Idealismus zu tun, denn mit illegalem Tagging lässt sich kein Geld verdienen, ganz im Gegenteil: es ist anstrengend, stressig und gefährlich. Man hat keinen wirklichen sozialen Mehrwert, denn illegale Sprayer halten ihre Tätigkeit aus Eigenschutz meist geheim, involvieren oft nicht mal ihre Freunde oder Lebenspartner und müssen mit einer gewissen Paranoia leben. Ein glamouröser Lifestyle sieht anders aus.
Wer so offensichtlich am sprichwörtlichen "Watschenbaum" rüttelt wie Puber, der bekommt früher oder später meist die Rechnung dafür präsentiert. Es war nur eine Frage der Zeit, bis das Projekt "Puber goes All City" in die Hose geht. Irgendwann macht jeder Fehler oder wird verraten. In seinem Fall - vorausgesetzt, dass er für alle Tags verantwortlich gemacht wird - könnte sich das fatal auf die weitere Lebensplanung auswirken. Denn abgesehen von einer Gefängnisstrafe sind vor allem die hohen Schadenersatzforderungen, die auf ihn warten, existenzbedrohend. Ich gehe allerdings davon aus, dass Puber diese Konsequenzen als realistischen Teil des "All City"-Lifestyles akzeptiert hat.
Schockierende Schadenfreude und Doppelmoral
Nach dem Bekanntwerden seiner Verhaftung haben sich die Meldungen zu Puber in diversen Social Media-Plattformen und Online-Medien überschlagen. Überraschend war für mich nicht seine Verhaftung, sondern die Reaktion darauf. Abgesehen vom letztklassigen Vice-Artikel fand ich es sehr beklemmend, wie vermeintlich kritisch und liberal denkende Menschen zu einem wütenden Internet-Mob werden, der fremdes Eigentum mit einer Vehemenz verteidigt, als ginge es um ihre persönlichen Besitztümer. Ich möchte kurz in Erinnerung rufen, dass Puber in erster Linie mit Farben durch die Stadt gezogen ist. Und obwohl es illegal ist, fremdes Eigentum mit Spraydosen zu bemalen, so kann man trotzdem darüber diskutieren, ob es Sachbeschädigung ist, wenn jemand eine dünne Farbschicht aufträgt. Alle Häuser stehen noch, sind funktionstüchtig und sogar bewohnbar. Klar, die Optik einer Stadt oder Straße verändert sich durch Graffiti. Bunte Farben sind nicht von allen erwünscht, das kann und muss man akzeptieren. Doch wer fragt eigentlich, ob wir Leuchtreklamen, Logos großer Konzerne und Werbeplakate für diverse Produkte an jeder Straßenecke sehen wollen?
Das Argument, dass das okay sei, weil die Firmen dafür zahlen und Genehmigungen haben, ist - wie ich finde - ein schwaches. Denn im Grunde ist Werbung nichts anderes als Graffiti, mit dem Zweck, ein Produkt zu verkaufen. Daran sind wir gewohnt, das ist toleriert und für alle in Ordnung. Was die Menschen verwirrt, sind Botschaften ohne vermeintlichen Sinn dahinter. Puber? Was ist das? Was will der? Warum schreibt der seinen Namen überall hin? Spinnt der? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.
APA/HELMUT FOHRINGER
Der P-Promi Faktor
Egomanie und einen Hang zu Größenwahn kann man Puber in jedem Fall nachsagen. Er hat es scheinbar genossen, innerhalb kürzester Zeit prominent und Gesprächsthema in Hipster-Zirkeln, bei Politikern und Stadtbewohnern geworden zu sein. Ich kenne ihn nicht persönlich und kann nicht erklären, was ihn angetrieben hat und ob dahinter eine größere Botschaft steckt. Ich möchte die Person Puber und seine Aktionen auch nicht verteidigen. Als Kenner der Szene möchte ich aber ein paar grundsätzliche Dinge erklären und Widersprüche aufzeigen.
Was Puber auf jeden Fall geschafft hat, ist zu polarisieren und aufzufallen. Denn Graffiti ist eine sehr puristische Form der Kommunikation. Tags sind die einfachste und schnellste Variante, seinen Namen auf einer Oberfläche zu hinterlassen. Aus diesen ordinären Unterschriften haben sich im Laufe der Jahre die aufwendigen, bunten, komplexen und illustrativen Graffiti entwickelt, die wiederum von einer verhältnismäßig großen breiten Masse akzeptiert werden. Nur: das Eine gibt es ohne das Andere nicht. Wer Street Art und Graffiti schätzt, muss auch Tags und Handstyles als deren Ursprung akzeptieren. Oft stecken exakt die gleichen Künstlerinnen und Künstler hinter den vermeintlich hässlichen Tags.
"Die bunten Bilder mit den Gesichtern, Pfeilen und Figuren find ich toll. Aber diese hingeschmierten Unterschriften sind das Allerletzte. Das kann ja jeder."
Ein Argument, das man immer wieder in der Diskussion über Graffiti hört. Es zeugt von Unwissenheit und Ignoranz. Bewohner urbaner Räume werden sich im Jahr 2014 wohl oder übel daran gewöhnen müssen, dass Graffiti Teil des gegenwärtigen Stadtbildes geworden sind. Das muss nicht immer schlecht sein. Denn oft sind es genau die Graffiti-frequentierten Bezirke, in denen die interessantesten Clubs, Pop-Up Stores, Restaurants, Plattenläden und jungen Büro-Gemeinschaften zu finden sind. Denn je sauberer und feiner eine Straße bzw. ein Viertel ist, desto teurer sind tendenziell die Mietpreise.
Aus Eigenerfahrung weiß ich, dass es nichts schlimmeres gibt, als sterile, graue, völlig kontrollierte Städte mit Spiegelfassaden und Bürotürmen. Rotterdam hat das in den letzten Jahren kurzzeitig probiert. Nachdem Street Art und Graffiti Ende der 90er Jahre die Straßen der Design-affinen holländischen Hafenstadt geprägt haben, wurden überall Überwachungskameras installiert und alle Wände gereinigt. Das war, verglichen mit dem alten Rotterdam, plötzlich irrsinnig langweilig und hat sich auf den Vibe in der Stadt negativ ausgewirkt. Außerdem sind die Kosten für die wöchentliche Reinigung irgendwann explodiert. Mittlerweile kehren die bunten Bilder, Tags und Sticker wieder langsam zurück ins Stadtbild und es fühlt sich subjektiv gesagt besser an. Eine Meinung, die auch viele Locals mit mir teilen. Denn dort, wo Menschen leben, darf man das durchaus auch sehen und spüren. Rotterdam orientiert sich jetzt interessanterweise an Wien und hat unlängst Enzis wie im MQ in der Stadt aufgestellt, um wieder mehr junge Menschen zum Verweilen auf der Straße und auf öffentlichen Plätzen zu animieren.
Sperrt ihn ein! vs. Free Puber
Dass Menschen in Online-Foren ernsthaft fordern, Puber solle doch mit einer Zahnbürste alle seine Tags entfernen, jagt mir eine Gänsehaut über den Rücken. Seriously?
Wenn ehemalige Punks auf Facebook "keine Gnade" schreiben und vermeintlich links-liberale Hipster "Höchststrafe!" fordern und über seine Verhaftung jubeln, dann frag ich mich schon, was da los ist. Besonders dann, wenn exakt diese Leute bei Vernissagen hipper Street Artists (die meist auch eine Tagging-Vergangenheit haben) in Galerien anzutreffen sind, um dort den neuesten "ROA", "Shepard Fairy-Print" oder Miss Van-T-Shirts zu kaufen. Da wurde offensichtlich etwas falsch verstanden. Man denke nur an die Marke OBEY, die heute weltbekannt ist und ebenfalls als illegal angebrachte Poster- und Sticker-Kampagne jahrelang für Verwirrung gesorgt hat. Wer weiß. Vielleicht wird über Puber in vierzig Jahren ein Buch geschrieben und es würde mich nicht wundern, wenn irgendwann Original-Mauerstücke mit echten Puber-Tags aus Wien für viel Geld im Dorotheum versteigert werden. Alles ist möglich. Das zeigen Karrieren von Künstlern wie Basquiat, Banksy oder dem illegalen New Yorker Graffiti-Sprayer COPE2, der heute in Kunstkreisen hofiert wird.
Puber ist ein Vertreter der puristischsten und unbeliebtesten Form von Graffiti. Er ist als No Name nach Wien gekommen, ein Jahr später kennen ihn alle. Somit hat er sein Ziel erreicht. Er hat durch seine Tags mit seiner Umwelt kommuniziert und eine Diskussion angestoßen, die es so zuvor nicht gegeben hat. Der Bezirksvorsteher vom 7. Wiener Gemeindebezirk hat ihn via Tafel darauf aufmerksam gemacht, dass es letztklassig sei, die Malereien von Kindern zu übermalen. Das hat er mit einem Tag auf jener Tafel quittiert. Und die Redaktion von The Gap hat nach einem mittelmäßigen Artikel ebenfalls ein Puber-Tag auf die Fensterscheibe bekommen. Gleichzeitig fühlen sich wiederum andere Sprayer dazu bemüßigt, seine Tags mit einer "Reiß dich zam"-Schablone zu übermalen. Eine Form der Kommunikation im urbanen Raum, die nur dann funktioniert, wenn jemand polarisiert und aufregt. Und das tut Puber auf jeden Fall.
Mittlerweile gibt es sogar ein "Free Puber"-Movement (war auch irgendwie klar) und Ambitionen, diverse Benefiz-Partys für ihn zu veranstalten, um Anwaltskosten, etc. zu bezahlen. Es bleibt spannend, wie sich der Fall weiterentwickelt und welche Konsequenzen das auf Graffiti in Wien haben wird.