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Martin Pieper

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Martin Pieper

Ist Moderator und Chefredakteur von seinem Lieblingssender. Hat sein Hobby zum Beruf gemacht.

22. 2. 2014 - 12:52

Zone One: Die Zombie-Apokalypse als Roman

Colson Whiteheads neues Buch ist der große amerikanische Roman als untoter Wiedergänger.

fm4.ORF.at/buch

Literaturempfehlungen aus der FM4-Redaktion

Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber auch sie wird sterben. So könnte man das emotionale Grundgefüge von "Zone One" beschreiben. Autor Colson Whitehead, einer der großen amerikanischen Schriftsteller der Generation Johnathan Lethem, David Foster Wallace oder Dave Eggers ist bisher durch Romane wie "John Henry Days"“ oder "Apex" in Erscheinung getreten, die sich mit dem US-amerikanischen Alltag und seinen Verformungen satirisch auseinandersetzten, inklusive der afroamerikanischen Erfahrung, die der Autor mitbringt. Dass er mit "Zone One" eine fast lupenrein dem Genre entsprechende Zombie-Apokalypse zu Papier gebracht hat, ist dann doch überraschend.

Buchcover Zone One von Colosn Whitehead

hanser verlag

Night of the Living Dead

Die Situation ist folgende: Die ganze Welt, die USA, zumindest aber die Ostküste ist von einem Tag auf den anderen durch eine verheerende Seuche zur Zombie-Nation geworden. Whitehead gestattet sich die Freiheit, seine Untoten "Skels" zu nennen, aber der Rest ist, für Freunde von "The Walking Dead" oder dem Computerspiel "The Last of Us" nichts Unbekanntes. Nach dem ersten Schock beginnen sich die (noch) Überlebenden zu sammeln, werden zu Banditen, Landstreichern, Milizen, oder verstecken sich in verrammelten Häusern. Eine zusammengebrochene Infrastruktur, Essen, der Kampf gegen die hungrigen Skels, das alles in ständiger Lebensgefahr und die traumatischen Erinnerungen an ein plötzlich verloren gegangenes Leben zehren an den Nerven. Der Roman setzt zu einer Zeit ein, als sich in einem weit enfernten "Buffalo" eine neue Führung gebildet hat, die versucht, die Situation wieder in den Griff zu bekommen. Marines haben ganze Landstriche von Zombies gesäubert und sind schließlich auch in der "Zone One" angekommen. Damit ist Manhattan gemeint, wo eine große Mauer mittendurch die Lebenden von den infizierten Untoten trennt.

Day of The Living Dead

Zone One beschreibt drei Tage im Leben eines gewissen "Mark Spitz", der es irgendwie geschafft hat am Leben zu bleiben. Gemeinsam mit einer kleinen Gruppe von Zivilisten ist er als "Sweeper" damit beschäftigt in den ausgestorbenen Blocks von Soho nach sogenannten Irrläufern zu suchen und sie zu liquidieren. Irrläufer sind eine Sonderform der Skels, vereinzelte Zombies, die an ihren ehemaligen Lieblings- oder Arbeitsplätzen hängengeblieben sind, und seit ihrer Infektionen in verlassenen Coffeeshop-Filialen vor sich hin dämmern oder mit verwesenden Gliedmaßen auf Basketballplätzen in grotesken Verrenkungen verharren.

Autorenporträt Colson Whitehead

hanser verlag

Dawn of the Living Dead

Colson Whitehead ist aber weniger an Heldengeschichten von Überlebenden interessiert als an den übriggebliebenen Artefakten der amerikanischen Zivilisation. Nach der Katastrophe werden Filialen von "französischen" Bäckerei-Franchise-Ketten, Drucker-Räume in verlassenen Großraumbüros oder zerschossene Auslagen von Luxusboutiquen zu absurden Erinnerungen an ein Leben davor, ein Leben, dass vor allem vergessen werden muss, um weiterleben zu können im Angesicht der Zerstörung und der Grausamkeiten des Kampfes gegen die Skels. Für Genre-Liebhaber, die sich von Romeros "Night of the Living Dead" bis "World War Z" durchgesehen haben, hat sich Colson Whitehead nichts rasend Neues einfallen lassen. Es sind "langsame" Zombies, mit gezielten Kopfschüssen zu töten, durch ihre Masse, ihren Hunger und ihre undurchschaubare Schwarmintelligenz allerdings unberechenbar und tödlich. Die Machenschaften von Politik und Militär sind wie üblich in solchen Fällen zwielichtig und scheinbar leere Häuser gefährlich. Der Fokus des Romans liegt allerdings ganz auf dem neuen Alltag von ehemals unauffälligen, "normalen" Bürgern, die sich plötzlich mit der Aufgabe konfrontiert sehen, einen Highway von kreuz und quer stehenden Autos zu befreien. Die Arbeit in und an der Apokalypse mit ungewissem Ausgang ist weniger Action-getrieben, der Horror liegt eher im Wesen des Kampfes um einen Rest von Menschlichkeit als in den blutigen Details der Ausführung.

Diary of the Living Dead

Colson Whitehead: Zone One, Übersetzung von Nikolaus Stingl,
302 Seiten
Hanser Verlag

Zone One ist ein zombiefizierter New York-Roman, in dem es ständig Asche regnet, eine apokalyptische Dystopie, geschrieben mit dem popkulturell geschärften Blick des ehemaligen Village Voice-Reporters Colson Whitehead, eine Art Kreuzung aus Cormac McCarthys Schwärze mit Douglas Couplands sanfter Zivilisationskritik.

Nach der Lektüre denkt man jedenfalls darüber nach, ob es wirklich lohnt, sich darüber zu echauffieren, dass das W-Lan im Zug so unzuverlässig ist oder der Bankomat an der Supermarktkassa nicht funktioniert. Es könnte ja sein, dass man morgen schon auf eine Horde Zombies zielen muss.