Erstellt am: 22. 2. 2014 - 12:02 Uhr
Die Wiederkehr der Eckkneipe
Das Comeback der Eckkneipe wurde beobachtet
Aus dem Leben der LoFi-Boheme
Christiane Rösingers Geschichten aus der deutschen Hauptstadt
Die Berliner Eckkneipe ist eine Institution und nur wirklich echt mit nikotinvergilbten Vorhängen, sterbenden Grünpflanzen und sinnlosem Nippes im Schaufenster, auch holzvertäfelte Wände und Furniertresen gehören ins Interieur.
20.000 dieser Eckkneipen gab es einst in Berlin. Wo auch immer zwei Straßen sich an der Kreuzung trafen, stand mindestens eine Eckkneipe, manchmal waren es auch vier. Etwa die Hälfte ist übrig geblieben. Das Aussterben der Eckkneipe kann jeder angesichts seiner Straße exemplarisch beschreiben.
CC BY-SA 2.0, flickr.com User: sludgegulper
In der Kreuzberger Pücklerstraße traf sich die trinkfreudige Nachbarschaft vor fünf Jahren noch in der Kneipe am Markt, man grölte Schlager zur Musikbox. An der Ecke gegenüber wurde bis 1996 noch im "Pückler- Eck" gesoffen, diagonal dazu stand das "Graf Yoster". Heute befinden sich in den Räumlichkeiten ein spanisches Restaurant, eine italienische Wein- und Mortadellabar und eine türkische Fußballkneipe.
Natürlich gibt es genug Cafès und Bars im Umkreis, in denen man Latte Macciato oder Cocktails trinken und Essen gehen kann. Aber manchmal wird eines vergessen: Es gibt sie noch, die normalen Kreuzberger, die nicht in kreativen Berufen arbeiten und nicht in Szenelocations abhängen wollen. Sie wollen Filterkaffee statt Latte Macciato, Schnaps und Bier statt italienische Weine, belegte Brote und Buletten statt teure Streetfood -Häppchen. Eine neuere Berliner Institution, der Spätkauf, konnte helfen und Teilfunktionen der Eckkneipe übernehmen. Das hat auch einen schönen völkerverbindenden Effekt: am türkisch-arabisch-bulgarischen Spätkauf treffen sich jetzt morgens die Handwerker zu Filterkaffee und Mettbrötchen, mittags die Alten und Gebrechlichen mit ihren Rollatoren zum Kaffee. Nur die Säufer bleiben außen vor.
Die Berliner Eckkneipe, Wohnzimmer und Rückzugsort der biertrinkenden Rentner, AlkoholikerInnen und Alt-Berliner war bedroht - teilweise auch, weil die Stammgäste nach und nach wegstarben und kein Nachwuchs in Sicht war. Ein Wohnviertel wird nicht unbedingt interessanter, wenn überall Kleinfamilien mit Bio-Hintergrund einziehen oder Erstsemester aus Westdeutschland. Ein Viertel wird interessant durch Migranten, Proleten, Originale, auch der vielzitierte Hipster ist per se nicht so interessant. Es hat direkt etwas Trauriges, wenn in den durchgentrifizierten Straßen die alten Einwohner durch die Lifestyle-Kulisse taumeln, als wüssten sie nicht wohin mit sich.
Nun hat aber das Eckkneipensterben ein Ende, weil auch die vielgeschmähten Neuberliner die authentischen Ausgehlokale mit den sehr günstigen Preisen entdeckt haben: 0,4 l Bier für 1.20 Euro. Dazu hat die traditionelle Eckkneipe interessante Schnäpse und Liköre wie "Mampe halb und halb", Futschi (Cola mit Weinbrandt) und Herrengedecke wie "Molle mit Korn" (Bier mit Schnaps) für 2.80 Euro im Angebot.
dpa/A3512 Roland Weihrauch
Die Eckkneipe wurde von den Zugezogenen als kuriose Feierlocation für Geburtstage entdeckt, man trifft sich dort zum Vorglühen und bringt so neues Leben in die Bude. Und spricht man mit den Wirten, scheint eine friedliche Koexistenz von Stammgästen und Neugästen möglich, solange die Neuen nicht wie Invasoren auftreten. Das liegt mitunter an der zeitlichen Einteilung. Während Rentner, AlkoholikerInnen, Anwohner und andere Stammgäste schon nachmittags den Tresen bevölkern, kommen die Jüngeren eher nachts, wenn die Alten schon auf dem Heimweg sind. Da kommt sich keiner in die Quere und keiner nimmt dem anderen den Platz weg. Kommt es doch einmal zu Begegnungen, so bleiben die Stammgäste unbeirrt sitzen und werfen nur ab und an einen kritischen Blick auf die junge Feierhorde.
Diese neue Mischung brachte den Wirten, die oft schon in zweiter oder dritter Generation Eck-Kneipier sind, einen neuen Aufschwung. Man freut sich über den frischen Wind, die angenehme Belebung und die volle Kasse.
Nur übertreiben darf man es nicht: Seit das Kreuzberger Traditionslokal "Schlawinchen" im Guardian unter die zehn besten Bars Berlins gewählt wurde, kommen die Stammgäste nur noch am Nachmittag, abends ist zu viel Rummel.