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Boris Jordan

Maßgebliche Musiken, merkwürdige Bücher und mühevolle Spiele - nutzloses Wissen für ermattete Bildungsbürger.

31. 1. 2014 - 14:51

Flimmern: Wie erziehe ich Elfjährige zu Misanthropen

Eine Wochenrückschau in freisteigenden Assoziationen: Von Pessimisten und Hologrammen

Wenn irgendwo irgendwas richtig flimmern kann, dann ist das das Netz. Auch wegen der lieben Netzneutralität, die viele schon wie selbstverständlich in die Charta der allgemeinen unveräußerlichen Menschenrechte oder die Genfer Konvention eingeschrieben sahen. Der könnte es aber bald an den Kragen gehen, Lieblings-Netzwichtigmacho Holm Friebe ist von seinem Medium enttäuscht, John Wooley zeigt sich selbst auf der Suche nach den Umgehungen der Neutralität, um das Internet "Sauberer" und "Sicherer" zu machen - Pessimismus allerorts.

Aber es gibt noch Hoffnung für jene, die sie suchen - genauer: für jene die sie in der Netzdemokratie Suchen: Auf Avaaz.org sammeln sich gerade (stand Wochenende) 650.000 UnterzeichnerInnen gegen die "Apokalypse Internet".

Überhaupt ist Avaaz ein Ort der Aufmunitionierung gegen das Schlechte in der Welt: Hier kann man bequem und schnell vom Nescafe-Tisch zuhause aus gegen die EU Saatgutverordnung, milde Vergewaltigerurteile in Indien, die frauenfeindliche Änderung der afghanischen Stafprozessordnung und das Freihandelsabkommen zwischen USA und EU protestieren. Oder auch für eine neue Heimat für Edward Snowden. Das beruhigt den Pessimisten fast ebenso stressfrei, wie früher die Münzen für die Sternsinger oder das Spenden für Greenpeace auf der Straße (wobei die ja nur mehr Daueraufträge wollen, arbeiten sie etwa mit Western Union zusammen?)

Die unbeugsamsten und unverbesserlichsten Optimisten sind wohl die "Dumpster", die frohgemut sich allerlei Mülltonnen nähern, um dort mit ungebrochener Zukunftsfreude immer was Brauchbares zu finden. Manche greifen auch mal ein paar Zentimeter oder Tage daneben, (sie trifft der Arm des Gesetzes mit voller Wucht), manche finden auch Geld oder lebende Babies. Und fröhliche Müllmänner, die das tun, was man sich von Müllmännern gemeinhin wünscht, nämlich den Müll mitzunehmen - sozusagen die andere fröhliche Seite des Dumpsterism - laufen bei uns auch schon mal Gefahr, sich des "Amtsmissbrauchs" schuldig zu machen.

Wen Gemeinheiten zum Pessimismus anregen, der wird im Mormonenstaat Utah fündig. Dort muss (wie überall) Geld für das Essen in Schulen bezahlt werden. Einigen elfjährigen SchülerInnen wurde dort kürzlich das Mittagsmenü in der Schulkantine zwar ausgehändigt, denen, deren Eltern noch Essernsgeld schuldig waren, aber wieder weggenommen und - in den Müll geworfen. Laut Gesetz darf in Utah nämlich kein Essen erneut ausgegeben werden, das vorher schon jemandem anderen ausgegeben wurde. Wenn man bisher noch keinen Weg gefunden hatte, Elfjährige zu Pessimisten zu erziehen, hier ist er.

Ein ungebrochener Optimist ist der jamaikanische Kulturwissenschaftler und (nach Ansicht des Verfassers größter lebende) Philosoph Stuart Hall, bei Huntington'schen Pessimisten als Miterfinder des Wortes "Multikulturalismus" bekannt. Er feiert dieser Tage seinen 80. Geburtstag und hat im Guardian Interview ein paar launige Worte zu den "London Riots" gefunden, wo Jugendliche ganze Stadtteile in Brand gesetzt hatten, weil sie sich vom Konsumversprechen ausgeschlossen wähnten: "The riots bothered me a great deal, on two counts. First, nothing really has changed. Some kids at the bottom of the ladder are deeply alienated, they've taken the message of Thatcherism and Blairism and the coalition: what you have to do is hustle. Because nobody's going to help you. And they've got no organised political voice, no organised black voice and no sympathetic voice on the left. That kind of anger, coupled with no political expression, leads to riots. It always has. The second point is: where does this find expression in going into a store and stealing trainers? This is the point at which consumerism, which is the cutting edge of neoliberalism, has got to them too. Consumerism puts everyone into a single channel. You're not doing well, but you're still free to consume. We're all equal in the eyes of the market."

Zugegeben, das ist das Gegenteil von Optimismus, aber es ist eine Analyse, und die sollte nie zu optimistisch sein: "Look, Gramsci, the Italian Marxist, believed in pessimism of the intellect, optimism of the spirit. You must look at what's happening now. If it's unpropitious, say it's unpropitious. Don't fool yourself. Analyse the conjuncture that you're in. Then you can be an optimist of the will, and say I believe that things can be different. But don't go to optimism of the will first. Because that's just utopianism

Wie Optimismus im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit - frei nach Arthur C. Clarke - "von Größenwahn nicht zu unterscheiden" sein kann, zeigt der für Bescheidenheit bekannte türkische Staatschef Erdogan. Er hat seinen Terminkalender dadurch erweitert, dass er sich, weil keine Zeit und so, kurzerhand als Hologramm - wie der tote Tupac auf Snoops Bühne beim Coachella - auf eine seiner Sitzungen hat projizieren lassen. Da ist noch vieles möglich, das man sich gar nicht ausmalen mag, will man noch ein bisschen "Optimist des Geistes" bleiben.

Und der in Ljubliana lebende amerikanische Musiker Chris Eckman liefert den Soundtrack für die Pessimismusreise. Er war 2006 gefragt worden, ob er für eine Mojo Compilation ein Lied beisteuern könnte. Es war dies ein Track-by-Track Cover von "Revolver" von den Beatles. Aber er war wohl zuwenig prominent oder zu langsam gewesen und sie hatten ihm nur mehr das angeboten, das Niemand sonst gewollt hatte. "I knew that the only choice I had was to destroy it."

So düster und klaustrophobisch hat das süße Kinderlied vom "gelben Unterseeboot" noch nie geklungen.