Erstellt am: 29. 1. 2014 - 16:30 Uhr
Saatgutverordnung auf Eis gelegt
Wie bei Autos oder Fernsehern möchte die EU-Kommission auch bei Saatgut einen einheitlichen europäischen Markt schaffen, sodass zum Beispiel ein französischer Saatgut-Hersteller in Kroatien, Dänemark und Österreich gleiche Bedingungen vorfindet, zu denen er sein Saatgut verkaufen kann.
"Höhere Standards" zu wessen Nutzen?
Derzeit ist der Handel mit Saatgut in der EU noch in zwölf verschiedenen Richtlinien geregelt, die neue Saatgutverordnung soll diese Richtlinien ersetzen. Es soll dann keinen Platz für nationale Ausnahmen mehr geben. Die EU-Kommission begründet diesen Schritt damit, dass die die Gesundheits- und Sicherheitsstandards in der gesamten Lebensmittelkette verbessern wolle. Denn nur mit sicheren Lebensmitteln lasse sich das Vertrauen der VerbraucherInnen wahren.
In der europäischen Union soll also nur noch mit registriertem und zugelassenem Saatgut gehandelt werden dürfen, eine abgeschwächte Registrierung soll es nur für althergebrachte Sorten geben. Gar keine Registrierung bräuchten HobbygärtnerInnen und "Mikrounternehmen", das sind Unternehmen bis 2 Millionen Euro Jahresumsatz. Sie dürften ihr Saatgut weiterhin tauschen und handeln, aber nur für private Zwecke beziehungsweise für "Nischenmärkte".
CC-BY-SA-2.0 - Scot Nelson - flickr.com/scotnelson
Protest aus der Zivilgesellschaft und parteienübergreifend
Die KritikerInnen, zu denen auch alle österreichischen EU-Abgeordneten gehören, werfen der EU-Kommission vor, dass die Verordnung nur der Agrarindustrie nütze, die bäuerliche Landwirtschaft weiter zurück gedrängt würde, und dass es darum bald noch mehr einheitliches Obst, Gemüse und Getreide geben würde, weil sich das im großen Stil besser vermarkten lässt. Für Vielfalt und Nachhaltigkeit würden nur noch Nischen blieben. Außerdem sollen mit der neuen Verordnung vor allem BäuerInnen und GärtnerInnen streng überprüft werden, die Saatgutindustrie dürfe sich weitgehend selber kontrollieren. Einiges deutet darauf hin, dass der Einfluss der Agrarindustrie bei der Erstellung der Verordnung groß war.
All diese Kritikpunkte haben viel Widerstand hervorgerufen, vor allem im deutschsprachigen Raum. Umweltschutz- und Landwirtschaftsverbände sammeln Unterschriften gegen die Saatgutverordnung, bisher haben 700.000 EU-BürgerInnen eine Protestpetition unterschrieben. Im Agrarausschuss des EU-Parlaments lehnen die Fraktionen von den Konservativen bis zu den Linkssozialisten die Verordnung ab. Jetzt wird debattiert, aber ob sich eine Abstimmung im Ausschuss oder gar im Plenum des Parlaments noch vor der EU-Wahl ausgeht, ist fraglich.
Lobbyisten für Saatgurvielfalt in FM4 Connected
Robert Zikmund hat heute in FM4 Connected die Lobbyistin für Saatgutvielfalt, Iga Niznik von Arche Noah, interviewt. Sie will PolitikerInnen vor allem mit Informationen versorgen und sieht sich in der Rolle des David gegen Goliath, den LobbyistInnen der Saatgutindustrie:
Robert Zikmund: Hast du den Eindruck, dass es da so einen Filz gibt, so eine ganz komische, enge Vernetzung zwischen Politikern und Lobbyisten?
Iga Niznik: Dieser Eindruck entsteht immer wieder und ist auch überprüfbar. Zum Beispiel wenn ein neues Gesetz entsteht: Dann werden ja die vorgeschlagenen Änderungen transparent gemacht. Und wenn man dann sieht, dieser Abgeordnete hat die Änderungen von der Industrie Copy-Paste übernommen, dann weiß man, dass die gut miteinander "befreundet" sind.
Robert Zikmund: Altes Saatgut darf von HobbygärtnerInnen und Mikrounternehmen ohnehin weiterhin gehandelt werden. Was hat die Arche Noah für ein Problem mit der geplanten Verordnung?
Iga Niznik: Grundsätzlich ist das Problem mit der Verordnung, dass hier nur ein Standard anerkannt wird, nämlich der Industriestandard. Die Verordnung erhebt die Industriepflanzen zum Gesetz. Vielfaltspflanzen, so wie sie in der Natur vorkommen, sind zuerst einmal grundsätzlich illegal. Und dann sagt man: Na gut, dann gestehen wir euch halt kleine Nischen zu und gewisse Menschen dürfen in einem gewissen beschränkten Ausmaß dieses Saatgut weiterhin handhaben. Für uns ist das aber genau der falsche Zugang. Die Vielfalt muss eine anerkannte Norm werden, auf Augenhöhe mit der Industrienorm.
Robert Zikmund: Was sollte denn in einer neuen Saatgutverordnung aus deiner Sicht stehen?
Iga Niznik: Als erstes stellen wir infrage, ob es überhaupt eine neue Saatgutverordnung braucht. Vielleicht reicht auch eine Richtlinie. Das wäre viel liberaler und die Mitgliedsstaaten hätten dann die Möglichkeit, national flexibler zu sein. Zweitens stellt sich die Frage, ob dieses Saatgutverkehrsrecht überhaupt noch angemessen ist. Das ist eigentlich ein historisches Relikt aus einem Saatgutmarkt, der nicht dominiert war von Konzernen, sondern wo viele kleine Anbieter waren und man wollte eine Sicherheit schaffen für den Bauern. Heute sagen wir aber, eine behördliche Zulassung von Sorten ist völlig überholt. Warum soll eine Behörde sagen, dass es den Granny Smith geben soll, aber einen anderen Apfel nicht. Das sollen der Konsument und die Konsumentin entscheiden.