Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Kulturelle Nahversorgung"

Anna Katharina Laggner

Film, Literatur und Theater zum Beispiel. Und sonst gehört auch noch einiges zum Leben.

22. 1. 2014 - 17:47

Kulturelle Nahversorgung

Wie es den österreichischen Programmkinos gelingt, im Schatten von Multiplex, Download, Streaming und Video on Demand weiterhin zu strahlen.

fm4.ORF.at/film

Kinorezensionen, Schauspieler-Porträts und Genrefilme

Die Nacht der Programmkinos am 24. Jänner 2014 in ganz Österreich.



Liebes Programmkino! Wie geht es dir heute? Markus Keuschnigg zur Situation der österreichischen Programmkinos

Als die Nacht der Programmkinos 2011 ins Leben gerufen wurde, hing über den seit den 1970er Jahren ohnehin schon unter latentem Besucherschwund leidenden Arthousekinos das Damoklesschwert der Digitalisierung. Mittlerweile ist die Digitalisierung abgeschlossen, viele Kinos konnten umrüsten (vor allem in Wien), viele mussten zusperren (vor allem außerhalb Wiens). Im letzten Herbst hat zum Beispiel das einzig verbleibende Stadtkino Wiener Neustadts - das Zentralkino - kurz vor seinem 100. Geburtstag zusperren müssen. Dem Aussterben der Zentren kleinerer Städte und der Verlagerung von Shopping und Entertainment an die Peripherie stehen Österreichs Programmkinos gegenüber, die als kulturelle Nahversorger dienen (und - wenn wir es wollen - überleben).

"Es hat mit Enthusiasmus zu tun und funktioniert wahrscheinlich nur deshalb, weil es einige Leute gibt, die das gerne machen", sagt Dietmar Zingl, der in Innsbruck das Leokino und den Cinematograph betreibt. Er findet es traurig, dass die österreichischen Programmkinos Arbeitskräfte nur sehr gering entlohnen können, meist nur auf dem Niveau der Kollektivverträge (zum Beispiel sind für eineN FilmvorführerIn in Tirol knapp 1000€/Monat kollektivvertraglich geregelt). "Zum Geld verdienen macht das niemand", sagt auch Gerald Knell, Projektleiter des Cinema Paradiso in St. Pölten und Baden.

Cinema Paradiso

Andrea Reischer/Cinema Paradiso

Das Cinema Paradiso in St. Pölten: Open Air im Sommer

Und wie ist es um den Enthusiasmus des Publikums bestellt?
2011 sind die Österreicherinnen und Österreicher zwei Mal ins Kino gegangen - laut den aktuellsten Zahlen der Statistik Austria. Das entspricht einem Rückgang um 3,1 Prozent zum Vorjahr, wobei Wien mit seinem großen Kinoangebot weit über dem Durchschnitt liegt. Seit 1975 sind die Kinobesuche in Österreich stetig zurückgegangen, am stärksten im Burgenland und in Kärnten. Nun könnte man annehmen, dass die Zahl der Kinobesuche mit der Zahl der Kinosäle korreliert. Das stimmt aber nicht: die Anzahl der Kinosäle hat sich seit 1975 nicht verringert (sondern bis 2011 um zwei Säle erhöht). Allerdings sind die bestehenden rund 570 Säle Österreichs geographisch schlechter verteilt. Anders gesagt: wo ein Kinosaal ist, ist meist ein weiteres halbes Dutzend gleich daneben. Heute findet nicht jeder Mensch, der in Österreich ins Kino will, in direkter Umgebung auch ein Kino, dessen Programm er sehen will.

"Als wir in St. Pölten 2002 angefangen haben, haben wir versucht, es anders zu machen, nämlich einen kulturellen Nahversorger zu bieten", sagt Gerald Knell vom Cinema Paradiso. Als solcher ist er seit November vergangenen Jahres auch in Baden im ehemaligen Beethovenkino tätig. Das Programm, sowohl in St. Pölten als auch in Baden, ist eine Mischung aus Konzerten, Lesungen, Film - und Gastronomie, die den laufenden Kinobetrieb mitfinanzieren muss.

Leokino von außen

CC BY 3.0, Wikipedia, User: Hafelekar

Leokino , CC BY 3.0

"Die finanzielle Situation war immer angespannt", sagt Dietmar Zingl, der seit den 1980er Jahren als Kinobetreiber in Innsbruck tätig ist. "Ich könnte nicht sagen, dass es 1984 lockerer war als heute. Wir haben aber natürlich einen größeren finanziellen Förderbedarf als er derzeit gegeben ist." Dietmar Zingl betreibt das einzige Kino in Österreich, das noch 70mm Filme projizieren kann. Ein Bildformat, das durch seine Breite mehr Detailreichtum und stärkere Vergrößerung möglich macht als die gewohnten 35mm, so etwas wie ein globales Seherlebnis, das allerdings nie sehr weit verbreitet war. Klassiker wie "Lawrence of Arabia", Stanley Kubricks "2011: A Space Odyssey" und der notorische Österreichfilm "The Sound of Music" wurden auf 70mm gedreht. Drei oder vier Mal im Jahr gibt es im Cinematograph in Innsbruck 70mm Vorführungen.

Am 15.2. um 11 Uhr ist der dänische 70mm-Experte Thomas Hauerslev zu Gast im Cinematograph und hält eine Lecture mit Filmbeispielen.

Diese Sonderveranstaltungen, Retrospektiven und Spezialprogramme, für die die Programmkinos bekannt sind, finanzieren sich über staatliche Förderungen und über die Auswertung von so genannten alternativen Blockbustern wie derzeit "12 Years a Slave".

Den zu geringen finanziellen Fördermitteln für die Umstellung von Film auf digitale Projektion sind zahlreiche Kinos in Österreich zum Opfer gefallen. Es hat - so der Euphemismus - eine Marktbereinigung stattgefunden. Das erweckt den Eindruck, ein großes Angebot an Programmkinos sei irgendwie Ausdruck einer stinkigen Gesellschaft. Tatsächlich ist es ein Faktum, dass heute weniger Menschen ins Kino gehen als vor vierzig Jahren, denn es gibt neben dem Kino diverse andere Möglichkeiten, Film zu konsumieren.

"Ich will nicht sagen, dass das Kino dadurch in einem Engpass ist", sagt Gerald Knell, "aber doch in einer Lage, in der es sich redefinieren muss, das heißt als sozialer Ort. Ich will mich mit Freunden treffen, ein Getränk trinken, mich über den Film unterhalten und einen gemeinsamen Abend verbringen im Gegensatz zu etwas auf dem iPad anschauen."

Stichwort sozialer Ort: Natürlich kann man sich heute im Burgenland, in Kärnten und auch sonst überall auf der Welt, wo es eine Breitbandverbindung gibt, ein individuelles Filmprogramm ins Wohnzimmer saugen. Man muss zwar Patschen und Pyjama nie ausziehen, droht allerdings sozial zu vereinsamen. Und das ist auch kein Kulturgenuss.

Eine beleuchtete Kino-Tafel mit dem Film-Programm

CC BY-SA 2.0, flickr.com, User: debaird

Empfehlungen für die Nacht der Programmkinos am 24.1.

Leokino/Cinematograph Innsbruck: "Die endlose Nacht" - deutsches Kino aus den 1960er Jahren

Cinema Paradiso St. Pölten: Live- Stummfilmvertonung "Der Mann mit der Kamera" vom "A Life, a Song, A Cigarette"-Mann Lukas Lauermann und dem Local Hero Marcus Hufnagl

Votivkino Wien: Cat-Videos! Wer hätte das gedacht? Am 14. Juni 2013 stürmten rund 1.500 BesucherInnen die Wiener Jesuitenwiese, um sich gemeinsam Katzenvideos anzuschauen. Obacht: im Votivkino ist nicht ganz so viel Platz. Also besser früh anschleichen.