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Daniel Grabner

Geschichten aus on- und offline, zwischen den Zeilen und hinter den Links

11. 12. 2013 - 18:00

Im Pausenraum der Gesellschaft

Ein Alltag zwischen Polizeistation, Rechtsberatung und Schulstunden: unterwegs mit dem afghanischen Asylwerber Zaker

„Diese Zukunft in Österreich ist wie die Zukunft in Afghanistan. Sie ist unklar.“ Zaker ist 21 Jahre alt, er spricht mit leiser Stimme. Hin und wieder muss ich ihn bitten, lauter zu sprechen, um ihn verstehen zu können. Früh vormittags treffe ich ihn vor dem Haus einer Flüchtlingsunterstützerin, bei der Zaker seit einigen Wochen wohnt. Er hat einen weiten Weg hinter sich. Vor ein paar Jahren trat Zaker seine Flucht aus Afghanistan an, verbrachte vier Jahre im Iran und ist dann weiter über die Türkei und Griechenland nach Österreich gekommen. Als Zaker nach einer dreitägigen Fahrt aus dem stickigen Laderaum des LKWs seiner Schlepper ausgestiegen ist und seinen Fuß auf österreichischen Boden setzte, hatte er nichts weiter bei sich als eine Wasserflasche und die Hoffnung auf ein besseres Leben.

So oder so ähnlich liest sich fast jede Flüchtlingsbiografie afghanischer Asylwerber, die es irgendwie nach Österreich geschafft haben. In diesem Jahr haben bis Oktober 2112 afghanische Flüchtlinge einen Antrag auf Asyl in Österreich eingebracht. Das macht rund 14,6 Prozent aller gestellten Asylanträge in diesem Jahr aus, ein Prozentsatz, der nur von Asylanträgen von Flüchtlingen aus der russischen Föderation geschlagen wird, die dieses Ranking mit rund 16,6 Prozent anführen. „In Afghanistan habe ich so viel Schlimmes gesehen. Ich hab gesehen wie Menschen vor meinen Augen getötet wurden. Dort bin ich mit Krieg und mit Unsicherheit aufgewachsen“, erzählt Zaker von den Gründen seiner Flucht.

Leben von Stempel zu Stempel

Doch Zakers Hoffnung auf ein besseres Leben in Österreich wurde bald zunichte gemacht. Auch hier verbringt er sein Leben in Ungewissheit. Als vor einem Jahr sein Asylantrag abgewiesen wurde, beteiligte er sich am Protestmarsch von Traiskirchen nach Wien und der anschließenden Besetzung der Votivkirche. Nach deren Räumung kam Zaker bei einer der einheimischen Unterstützerinnen des Protests unter. Seither muss sich Zaker täglich um neun Uhr vormittags bei der Polizei melden und sich per Stempel seine Anwesenheit bestätigen lassen. Dieses sogenannte „gelindere Mittel“, ist eine abgeschwächte Form der Schubhaft und garantiert dem Staat Österreich, Zaker jederzeit festnehmen und abschieben zu können. Auf dem Weg zur Polizeistation spricht Zaker nur wenig und eigentlich nur, wenn ich ihn direkt frage. Bei der Polizei angekommen geht alles ganz schnell, man kennt ihn schon und verlangt nicht erst noch nach einem Ausweis. „Wiederschaun, bis morgen!“, wird Zaker vom Beamten nach dem Stempeln verabschiedet. Was für den Beamten so nebenbei abgehandelt wird, ist für den jungen Afghanen täglich ein sehr belastender Moment: „Vor meinen Augen hat die Polizei ein paar Leute festgenommen und abgeschoben. Tag für Tag weiß ich nicht, ob ich die Polizeistation wieder verlassen werde.“

Transparente mit der Aufschrift "Ich möchte bleiben" während der Solidaritäts-Demo für die Flüchtlinge und Asylwerber in der Wiener Votivkirche am Samstag, 16. Februar 2013, in Wien

APA/HERBERT P. OCZERET

Transparente der Refugees

Ein Sonderfall unter vielen

Asylwerber im laufenden Asylverfahren haben nur sehr eingeschränkten Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt. Seit dem sogenannten „Bartenstein-Erlass“ 2004 dürfen sie nur als selbständig Erwerbstätige oder Saisonarbeiter tätig werden, oder eine Lehre in Berufen mit Lehrlingsmangel beginnen. Übersechzehnjährige haben keinen Zugang zu öffentlichen Schulen, Plätze in kostenlosen Bildungsprogrammen bekommen Asylwerber nur selten.

Zakers Tag hat heute einen zusätzlichen Programmpunkt, einen Termin bei der Rechtsberatung im Wiener Integrationshaus. Während wir am Weg dorthin still in der U-Bahn nebeneinander sitzen, beobachtet Zaker die Menschen um uns herum. Man sieht es ihm nicht an, dass er fast keinen Besitz hat, seine Kleidung ist modern: Jeans, Sneakers, was man so trägt.

Zaker erhält zwar die sogenannte Grundversorgung, d.h. Krankenversicherung und 320 Euro monatlich für Verpflegung und Miete, doch die für Asylwerber ohnehin schon sehr eingeschränkten Möglichkeiten, Teil an der Gesellschaft zu haben, die sie umgibt, sind für Zaker nun noch stärker beschränkt. Mit einem negativen Asylbescheid hat er praktisch gar keinen Zugang zum Arbeitsmarkt und sollte eigentlich sofort abgeschoben werden, er ist offiziell illegal in Österreich. Allerdings ist das nicht möglich, da die afghanische Botschaft in Österreich die dafür nötigen Heimreisezertifikate nicht ausstellt. Das Außenministerium befindet sich derzeit in Verhandlungen über die Vergabe dieser Heimreisezertifikate, die Situation könnte sich also bald ändern und Zaker abgeschoben werden. Der junge Afghane befindet sich in einer perspektivenlosen Grauzone: „Ich möchte hier in Österreich leben und arbeiten. Aber alles, was ich hier machen kann, ist schlafen und essen. Ich finde dieses Leben nicht gut.“

Keine Chancen?

Im Oktober dieses Jahres warteten in Österreich 21.907 Flüchtlinge auf ihren Asylbescheid. Sie sind in unserer Gesellschaft, aber nicht wirklich Teil davon. Immer wieder sind sie Gegenstand öffentlicher und politischer Diskussionen, meist spricht man über sie, selten mit ihnen.

Unterricht bei PROSA

Radio FM4 / Clemens Fantur

Unterricht bei PROSA

FM4 für Licht ins Dunkel

Wir unterstützen in diesem Jahr PROSA - Projekt Schule für Alle. Damit Flüchtlinge nach dem Pflichschulalter weiterhin Zugang zu Bildung haben. Alle Infos dazu auch auf fm4.orf.at/lichtinsdunkel.

Zaker besucht seit drei Monaten die Kurse von PROSA, einer Organisation, die Asylwerbern kostenlos Unterricht zur Erlangung des Pflichtschulabschlusses erteilt. Es gibt dort auch eine Fußballgruppe und ein eigenes Seminar zu politischer Bildung, in denen den Flüchtlingen auch vermittelt wird, was um sie herum politisch und gesellschaftlich geschieht. Auf die Frage, ob ihn die Zeit im Unterricht oder beim Fußball den beschwerlichen Alltag manchmal vergessen lässt, antwortet Zaker: "Ich habe nie ein gutes Leben gehabt, und es scheint, dass ich in Österreich keine Chance habe, ein besseres Leben zu führen. Ich habe keinen Grund glücklich zu sein."