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Burstup

Physische Welt, virtuelle Realität. Politik und Kultur.

8. 12. 2013 - 10:33

X Rebirth

Die am kontinuierlichsten erscheinende Weltraum-Serie der Videospiel-Geschichte inkarniert zum siebenten mal - doch die Wiedergeburt ist eine schwere.

1984 veröffentlichte der Brite David Braben sein Videospiel "Elite". Damit erbrachte der britische Programmierer und Gamedesigner gleich zwei Pionierleistungen: Er schuf das erste Open-World-Game mit 3D-Grafik und erfand das Genre der Spacesims. Zuletzt hat David Braben an der Erfindung des Kleincomputer Raspberry Pi mitgearbeitet. Derzeit arbeitet er am Weltraumspiel "Elite Dangerous".

Das Genre der Weltraumsimulationen ist fast so alt wie die Kunstform Videospiel selbst. Seit 1984 heißt die Idee: Als Pilot mit einem räudigen Raumschiff und wenig Geld ausgestattet im Weltraum zu überleben, indem man Handel betreibt, zivile oder militärische Aufträge annimmt, selbständig Jagd auf Verbrecher macht oder sich selbst als Weltraumpirat verdingt.

Landeplattform

Egosoft

Auf der Landeplattform einer Raumstation

Mit sieben Teilen ist die vom deutschen Gamedesigner Bernd Lehmann (Egosoft) seit 1999 gestaltete Spieleserie "X" die am kontinuierlichsten erscheinende Weltraumsimulation der Videospiel-Geschichte. Weil gerade in den letzten Jahren nur wenige Spacesims veröffentlicht wurden, wird jedes neue "X" von den Liebhabern des Genres sehnsüchtig erwartet.
Rund um die Serie hat sich seit Ende der neunziger Jahre eine höchst aktive Community entwickelt, die jeden Teil nicht nur intensiv spielt, sondern auch fleißig modifiziert, verbessert und erweitert. Egosoft unterstützt die Modding-Community, etwa indem die Aktivierung und Deaktivierung einzelner Fan-Erweiterungen bequem aus dem Spielmenü ermöglicht wird.

Die sieben Teile der "X"-Serie heißen in chronologischer Reihenfolge: X Beyond The Frontier, X-Tension, X2 The Threat, X3 Reunion, X3 Terran Conflict, X3 Albian Prelude, X Rebirth

Vertrieben wird die Spieleserie mittlerweile nicht nur als Schachtelversion durch den weltweiten Medienkonzern Koch/Deep Silver, sondern auch digital über Steam. Und mit dem aktuellen Teil der Serie namens "X Rebirth" will Bernd Lehmann der Serie einen lange angekündigten Neustart hinsichtlich Story und Spielkomfort geben. All das wären gute Voraussetzungen für einen immensen Erfolg des neuen "X". Ein Blick auf Metacritic offenbart jedoch ein anderes Bild: Die Durchschnittswertung beträgt 32 Prozent und so mancher Journalist hält "X Rebirth" für eine der größten Gameskatastrophen des Jahres. Was ist passiert?

Eigentlich hat sich Lehmann auf Bewährtes verlassen: "Trade, Fight, Build, Think" heißt sein Rezept, das er seit 1999 auf die Verpackungen der Spiele schreibt. Weltraumbürger können in "X Rebirth" auf eigene Faust Handel betreiben, Krieg führen und die Galaxie erkunden. All das wurde im Lauf der Zeit allerdings zunehmend komplizierter. "X"-Spiele sind mittlerweile nicht nur für tiefgehendes Gameplay, sondern auch für eine steile Lernkurve und stark verschachtelten Menüs bekannt. Mit der Wiedergeburt wollte Lehmann den Einstieg ins Spiel erleichtern und die Benutzung des Spiels vereinfachen.
Und weil sich Weltraumfans ohnehin ständig mehr Immersion wünschen, verband Lehmann den Gedanken der einfacheren Benutzerführung mit einer guten Idee: Sämtliche Schiffsfunktionen und Aktionen würden durch Befehle an Crewmitglieder durchgeführt.

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Eine Copilotin wäre von Anfang an mit an Bord, die übrige Mannschaft würde man durch Besuche auf Raumstationen rekrutieren. Letztere wären das erste mal in einem "X"-Game betret- und begehbar. "Denk an GTA im Weltraum", sagte Bernd Lehmann voriges Jahr und zeichnete ein Bild, das Spacesim-Liebhaber und Science-Fiction-Fans wie hungrige Huskys sabbern ließ.

Mehr Spielereviews auf

Mit der Umsetzung dieser Ideen ist Egosoft allerdings gescheitert. Die besuchbaren Raumstationen stellen sich als immer gleich aussehende Bars und Landeplattformen heraus. Dort stehen Figuren herum, die aus ebenfalls ständig gleichen Charaktermodellen bestehen - drei an der Zahl, zudem recht hässlich gestaltet. Stark repetitiv sind auch die gesprochenen Sätze der NPCs - es kann geschehen, dass man innerhalb weniger Minuten ein- und denselben humorlosen und amateurhaft eingesprochenen Satz mehrmals hört. Selbst die Copilotin nervt mit ihrer ständig wiederkehrenden Beleidigung des Bordcomputers ("Nun halt endlich die Klappe, Betty"). Von der Lebendigkeit und der Vielfalt einer Stadt wie San Andreas oder Liberty City ist "X Rebirth" leider sowohl in auditiver, als auch in visueller Hinsicht mehrere Lichtjahre entfernt.

Yasha

Egosoft

Copilotin Yasha: Eine Gesichtstextur wie vor zehn Jahren. Dafür ein Brustfenster im Raumanzug.

Fragwürdige Entscheidungen hat Lehmann aber auch beim Design jener Teile getroffen, die in "X"-Spielen bisher gut funktioniert haben: Die Cockpit-Grafik des eigenen Raumschiffs - das übrigens den Namen "Skunk" (Stinktier) trägt - kann nicht deaktiviert werden, verdeckt aber gut ein Drittel der Weltraumansicht. Vor oder nach der Kommunikation mit Crewmitgliedern müssen langwierige Animationssequenzen wie das Hinsetzen in einen Pilotensessel (der sich wie von magischer Hand selbständig dreht) betrachtet werden. Spricht man schließlich mit den NPCs, dann müssen erst recht wieder Menütasten oder Dialogbäume abgearbeitet werden. Anstatt der versprochenen Erleichterungen fühlt sich die Bedienung des Spiels wesentlich langsamer und umständlicher an.

Neu ist in "X Rebirth" auch die Existenz sogenannter "Highways". Innerhalb dieser Weltraum-Autobahnen, die das Reisen im X-Universum erleichtern sollen, kann man sich ans Heck anderer Raumschiffe heften, um deren "Windschatten" auszunützen und die eigene Geschwindigkeit zu erhöhen. Dieses von manchen englischsprachigen Journalisten als "ship humping minigame" bezeichnete Spielelement wirkt aufgesetzt und lächerlich.

Egosoft

Auch ein Tanz-Minigame fehlt in "X Rebirth" nicht. Das hat schon in "Star Wars Galaxies" niemand gebraucht.

Gänzlich unbrauchbar sind die Sternenkarten von "X Rebirth", die zweifellos als die unübersichtlichsten der Videospielgeschichte bezeichnet werden können.

Kill the bugs

Die seltsamen Design- und Gameplay-Entscheidungen seitens Egosoft sind jedoch nur eine Facette des verunglückten Fortsetzungstitels. Zahlreiche Programmfehler trüben den Spielspaß, manche verhindern im Storymodus sogar das Weiterspielen: Handelsschiffe liefern Ware nicht wie befohlen aus, Landeplattformen erlauben das Andocken nicht, Missionen können nicht beendet werden. Auf vielen Computern werden multiple Grafikprozessoren nicht erkannt und die Grafik stattdessen nur mit einem Kern oder gar nur mit der CPU berechnet - so kann es passieren, dass man auf einem Computer mit i7-CPU und neuester Nvidia-GPU eine Framerate von unter 20 fps erdulden muss. Die Spieler helfen sich derzeit, indem sie - wie schon in der Vergangenheit - das Spiel modifizieren. Im Netz exisitieren wenige Wochen nach dem Release Mods, die das unnötig große Cockpit ausblenden, die sich ständig wiederholenden Sprüche der Copilotin deaktivieren oder die tanzenden Striptease-Hologramme in den Weltraumbars verschwinden lassen. Bernd Lehmann selbst hat mehrere Patches veröffentlicht, die einige der gröbsten Bugs beseitigen. Doch von einem halbwegs fehlerfreien Spiel kann nach wie vor nicht die Rede sein.

Cockpit

Egosoft

Das klobige Cockpit verdeckt in "X Rebirth" ein gutes Drittel des Sichtfeldes.

Die Lehren aus dem Rushed Release

Da "X Rebirth" wenige Wochen vor Weihnachten erschienen ist, liegt die Vermutung nahe, dass das Spiel in höchster Eile publiziert wurde, obwohl es noch unfertig war. Der Druck, dem Entwicklerstudios von ihren Verlagen in der Endphase der Entwicklung eines Spiels ausgesetzt werden, kann gerade in Hinblick auf das wichtigste Quartal des Handelsjahres immens werden. Das relativ kleine Entwicklerstudio Egosoft hat einen Vertrag mit Koch Media, der nicht nur einer der größten Gamespublisher der Welt ist, sondern auch berüchtigt für "rushed releases".

So frei kann man den Weltraum nur betrachten, wenn man eine von Fans erstellte Modifikation installiert.

Egosoft

So frei kann man den Weltraum nur betrachten, wenn man eine von Fans erstellte Mod installiert.

"X Rebirth" ist nicht die große Gameskatastrophe, als die es in manchen Fachmedien und auf Metacritic derzeit dargestellt wird. Das ist aber vor allem der Hardcore-Fangemeinde der "X"-Serie zu verdanken, die es gewohnt ist, mit Bugs zu leben und das Spiel im Lauf der Zeit den eigenen Wünschen entsprechend anzupassen. Diese Modding-Community hat derzeit mehr zu tun als je zuvor.

Die Affäre zeigt vor allem, wie gefährlich und vor allem wie altbacken das Geschäftsmodell ist, auf das sich Egosoft einlässt. Ein Spiel mittels eines auf Aktienkurse und Umsatzkurven schielenden Publishers zu veröffentlichen (und das gilt sowohl for Koch, als auch für Valve/Steam), dafür aber den Druck dieser mächtigen Konzerne auf sich nehmen zu müssen, steht der Strategie erfolgreicher Indie-Gamedeveloper der jüngsten Zeit diametral gegenüber: Mojang hat vor drei Jahren mit "Minecraft" einen gewaltigen und anhaltenden Verkaufserfolg gelandet, ohne auf Steam präsent zu sein und ohne sich einem großen Verlag auszuliefern. "Minecraft" wurde bewusst als Alpha-Version, also ebenfalls in einem unfertigen Stadium, aber für einen vergleichsweise geringen Preis veröffentlicht, und die Community wurde stark in die Spielentwicklung eingebunden.

Zahlreiche Gamedesigner folgten in den letzten Jahren Mojangs Beispiel: Das Survival-Horror-Sandbox-Game "7 Days To Die" wird gerade unter Beteiligung der Community als Alpha-Version verkauft, genauso wie die interessante Weltraum-Sandbox "Star Made". David Brabens vierter Teil der "Elite"-Serie wird ohne Publisher nur durch Crowdfunding von Fans finanziert, ebenso wie die neue Spacesim des "Wing Commander"- und "Freelancer"-Schöpfers Chris Roberts. Auf diese Weise befreien sich die Spieleentwickler vom enormen Druck der Publisher und sichern sich von Anfang an das Feedback sowie die kreative Beteiligung der Hardcore-Fans. Vor allem aber geben sie den Spielern das Gefühl, ehrlich behandelt und nicht verarscht zu werden. Das Gegenteil ist im Fall von "X Rebirth" passiert.

Vielleicht sollte auch Bernd Lehmann, der bereits seit 1999 Erfahrung mit der Veröffentlichung der "X"-Serie sammeln konnte, über neue Wege der Vermarktung seiner Serie denken. Das fast ausschließlich negative Feedback jener Kunden, die sich "X Rebirth" zum Vollpreis gekauft haben, es aber nicht fehlerfrei spielen können, sollte ihm zu denken geben. Ein zukünftiges "X"-Spiel unter stärkerer Beteiligung der ohnehin höchst aktiven Modding-Community, finanziert durch Crowdfunding und vor dem Release ausgiebig von Hardcore-Fans getestet, könnte der Serie helfen, zu jenem "GTA im Weltraum" zu werden, von dem Bernd Lehmann und viele seiner Fans träumen.