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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

7. 12. 2013 - 17:46

Tief unten

Wenn Kino plakativ Geschmacksgrenzen unterschreitet: Notizen zur Irvine Welsh-Verfilmung "Filth" und verwandten Popfilm-Schweinereien.

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Kinorezensionen, TV-Highlights und Porträts von SchauspielerInnen

Begonnen hat alles mit "Trainspotting". Ganz vom Geist der neunziger Jahre beflügelt, in denen das Authentische mit dem Artifiziellen auf spezielle Weise kollidiert, wählt Danny Boyle damals einen neuen Weg für sein Drogendrama.

Anstatt sich dem Thema Heroinmissbrauch so todernst und zeigefingerhaft zu nähern wie viele Filme davor, schmeißt der britische Regisseur die Moral über Bord. Boyle kümmert sich aber auch nicht um klassische Erzählweisen. Er will einen schnellen, schnittigen Film, der die Sucht als halluzinatorische Erfahrung präsentiert. Und er stürzt sich auch begierig auf den grimmigen Glamour, den Junkies gerne kultivieren.

Das Ergebnis ist anno 1996 pures Popkino, so typisch für die Zeit wie bestimmte Prodigy-Videoclips, der Ravesound von Underworld oder die Buchvorlage von Irvine Welsh. "Trainspotting" wird zum Teil von der Kritik zerissen, von wegen knallbunter Drogenverherrlichung, ein junges Publikum in aller Welt liebt den Film jedoch innig.

Das wirklich problematische ist der Einfluss auf andere Regisseure. Während Danny Boyle seinen Zugang zum Kino in den Jahren danach weiterentwickelt und verändert, stürzen sich viele Nachfolger auf den ach-so-kühlen Reigen der Anstößigkeiten.

Trainspotting

Miramax

Trainspotting

Schmuddelsex, knallbunt verpackt

Versautes Collagenkino, inklusive comichafter Figuren, schweinischer Sprüche und fetziger Schrifteinblendungen wird zum Non-Plus-Ultra für junge, wilde Bilderstürmer in den 90ern. Auch "Pulp Fiction" und "Natural Born Killers" mit ihren formalen Brüchen hinterlassen diesbezüglich tiefe Spuren. An die Originale kommt niemand heran.

Passend zum 90er-Revival feiert das provokant-platte Popkino auch gerade ein kleines Comeback. Wobei es ja auch nie wirklich weg war, siehe Filme wie "Crank" oder auch das Frühwerk von Guy Ritchie. Aktuelles Beispiel aber: die Charlotte-Roche-Verfilmung "Feuchtgebiete", ein Streifen, bei dem das Vorbild "Trainspotting" fast schon überdeutlich scheint. Man muss nur Menstruationsblut, Sperma und Schmuddelsex gegen verbotene Substanzen tauschen. Auch Regisseur David Wnendt möchte Kontroversen entfachen, gleichzeitig aber das Eklige und Tabuisierte so knallbunt verpacken, dass die Kinocharts gerockt werden können.

Ein weiterer Film, der sich in die Reihe der Popkino-Sauereien mustergültig einfügt: Das Polizistendrama "Filth", auf deutsch noch deutlicher "Drecksau" betitelt, auf den Spuren des angeblich heftigsten Romans von Irvine Welsh.

Filth - Drecksau

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Filth

Sauereien als Leerlauf

Willkommen im Alltag von Bruce Robertson. Der junge Detective Sergeant vereint sämtliche Vorurteile, die man gegenüber Polizisten einfach nur haben kann. Angetrieben von einem tiefen Menschenhass und Weltekel taumelt er korrupt und intrigant durch das Glasgow der Gegenwart. Ob Polizeikollegen, Freunde oder Verbrechensopfer: Robertson verachtet alle, lügt, betrügt, fügt psychische und physische Wunden zu.

James McAvoy, einer der angesagtesten britischen Jungstars, hat sich auf diese ergiebige Rolle wohl gestürzt. Denn auch, wenn andere Figuren des Schauspielers schon mit der dunklen Seite geflirtet haben (siehe "Wanted" oder "Trance"), so eine Drecksau wie Bruce Robertson kommt nicht alle Tage daher. Koksend, fluchend und sexsüchtig liefert er eine Performance, die man wohl Tour de Force nennen könnte. Und gleichzeitig hat der darstellerische Amoklauf etwas Aufgesetztes und Verkrampftes.

Aber auch die grundsätzlich höchst talentierten Nebendarsteller, von Jamie Bell bis Eddie Marsan, hinterlassen einen zwiespältigen Eindruck. Zu sehr versucht Regisseur Jon Baird mit seiner Irvine-Welsh-Verfilmung an das überdeutliche Vorbild "Trainspotting" anzuknüpfen. Und dieses Vorbild in punkto Sauereien zu übertreffen.

Es geht ganz tief nach unten in diesem Film. Trotzdem tümpelt er nur an der Oberfläche herum. Die ganze inhaltliche und formale Raserei läuft ins Leere und mutet irgendwann auch reichlich hausbacken an. Wie böse und mitreißend ein "Bad Lieutenant" sein kann, haben die Regiegötter Abel Ferrara und Werner Herzog demonstriert. "Filth" wirkt dagegen bloß wie ein Relikt aus den Neunzigern.

Filth - Drecksau

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Filth