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Gerlinde Lang

Innerlichkeiten. Äußerlichkeiten.

23. 8. 2013 - 10:27

Zuckersüßes Trauma

Feuchtgebiete, der Film: Gar nicht mal so schlecht. Im Interview mit Buchautorin Charlotte Roche.

Einmal im halben Jahr steht man von einem Sonntags-Tatort auf und sagt: "Das war jetzt aber heute gar nicht einmal so schlecht." So ähnlich ging mir das mit der Verfilmung von "Feuchtgebiete". Und das nicht nur, weil Tatort-Cop Axel Milberg den Vater der seelisch, hygienisch und proktologisch zerrissenen Protagonistin Helen Memel spielt.

Charlotte Roche

Nicolas Kantor / Majestic

Autorin Charlotte Roche.

Mit Charlotte im Gespräch

So nett, dass wir dich interviewen dürfen - du hast doch gar nicht so viel zu tun gehabt mit dem Film.

"Genau. Ich hab nicht mitgearbeitet an dem Film. Gar nicht. Ich helfe nur, Werbung zu machen, damit die Leute wissen, der kommt jetzt in die Kinos. Und ich mach' das SO GERNE. Weil der Film so verdammt gut geworden ist. Ehrlich!"

Schwöre!

(Roche befeuchtet zwei Finger der rechten Hand mit Spucke, führt sie zur linken Brustwarze und erhebt sie dann zum Schwur:) "Ich schwöööre!"

Hart aber herzig

"Feuchtgebiete" ist ohne popkulturelle Peinlichkeiten verfilmt worden. Großer Seufzer der Erleichterung. Die Hauptdarstellerin, Carla Juri, macht uns alle in Helen Memel verliebt. Sie spricht sogar im Rocheschen Duktus. Wenn überhaupt, ist Juri fast ein bisschen zu süß. Tampontausch mit der besten Freundin und Regelblut am Grillbesteck? Achselbehaarung? Longboard? Hämorrhoiden kratzen? "Leicht und betörend aus der Hose nach Muschi riechen"? Bad Religion Tshirts? Alle Drogen dieser Welt? Im Film wird das alles zu einem herzigen Musikvideo.

Luna Film

Carla Juri als Helen Memel in der Eingangssequenz von "Feuchtgebiete".

Auf der Blutwiese

(Roche ist eine sehr höfliche, fürsorgliche Interviewpartnerin. In Eisilhouetten-Bluse und mittelweiten Hosen mit Stiefelchen angereist, zieht sie sich vor dem Gespräch um in ein damenhaftes Shiftdress mit Auberginenprint. Sie sagt fast nie "Ich" und meistens "man". Sie schenkt Wasser ein, kümmert sich um angenehme Raumtemperatur und will Kritik hören:)

"Wie hat dir der Film denn überhaupt gefallen?", fragt Roche.

Die Hauptdarstellerin - sehr gut. Aber nach dem Buch hätte ich mir die Film-Helen räudiger vorgestellt. Härter. Nicht so die entzückende Teenie-Rebellion.

Ja. Das ist ein Unterschied zwischen Buch und Film, dass ich mir Helen hässlicher vorstelle. Durch ihre Schönheit macht Carla Juri die schlimmen Sachen erträglicher. Das ist schon so, es ist alles einfacher anzugucken. Die Vorstellung im Buch, die Fantasie der Leser, ist manchmal schlimmer als das, was im Film tatsächlich zu sehen ist. Das ist so. Ich glaube auch, dass die Helen im Buch hässlicher ist als Carla. Ja, wirklich! Hässlicher, edgiger, gestörter. Es gibt ja immer Diskussionen, wenn ein Buch verfilmt wird, nä? Da gibt's die Fans vom Buch, dann gibt's neue Fans vom Film ... und dann treffen die sich auf einer Wiese und hauen sich auffen Kopf."

Luna Film

Ich sag nur: Hüttenkäse!

Carla Juri hat im Kopf der Autorin inzwischen die "geschriebene" Helen ersetzt. Eben weil sie so eine strahlende Neuentdeckung ist. Helen Memel aus "Feuchtgebiete", dem Buch, begann ziemlich in 2D, als Ordner auf Roches Desktop, in dem sie die Auswüchse der Hygieneindustrie vom parfümierten Tampon abwärts und die delirierendsten Körpermaßstäbe der Frauenmagazine sammelte. Dazu gesellten sich Schicksalsschläge aus Roches Leben.

Das Schlimmste, was du dir vorstellen kannst

Roches forté als Autorin ist nicht das Kreieren sublimer Stimmungen oder leichtfüssiger Figuren. Die Beste-Musikvideo-Moderatorin-jetzt-Autorin erzählt immer wieder, dass ihre Therapeutin ihr rät, die Niederschriften lieber in der Schreibtischlade liegen zu lassen. Roches Bücher treffen mit der Wucht von Augenzeugenberichten. Bücher wie "Herbstmilch" fallen mir ein, unumwundene Lebenserinnerungen an harte Zeiten, stellenweise kaum auszuhalten.

"Mir tut das dann leid, wenn dir das so nahegeht, aber - es ist ja auch so, dass ich das tatsächlich erlebt habe. Ich schlepp das immer mit mir rum und bin es gewohnt, diese Sachen im Kopf zu haben. (Versonnene Pause.) Ich bin aber auch stolz, dass ich nur mit Worten körperliche Reaktionen bei den Lesern hervorrufen kann. Was man mit Worten schaffen kann! Es gibt Seiten im Buch uns Szenen im Film, wo man eine Pause machen muss oder weiterblättern. Und das verursacht man nur durch die Aneinanderreihung mit Worten. Und das macht richtig Spaß! Man kann den Leser traurig machen, aufgeilen, schockieren, ekeln und so, alles nur mit aneinandergereihten Worten. Das ist schon ganz schön cool."

Ich merke Allmachtsgefühle aufkommen.

Ja, beim dritten Buch ist es auf jeden Fall so, dass ich meiner Art zu schreiben treu bleibe. So wie ich spreche. Ganz klare, kurze Sätze. Wo ich denke, das ist nah an der Wahrheit. Zack, das geht richtig so rein ins Herz und macht da was."

lunafilm

Vorsicht bei der Intimrasur, sonst muss der Proktologe ran.

Igitt! Und Wäh!

Warum also hält Roche in den Talkshows dieser Welt immer als die Expertin für Wäh!/Feminismus her (sodass sogar eine Sylvie Van Der Vaart die Belastung durch "Rasierterror" zugibt) , wenn der Kern ihrer Werke doch "Trauma" heißt? Scheidung. Selbstmord. Unfalltod. Das Weiterleben nach dem Worst Case.

"Ich bin total gewöhnt, mit Journalisten zu reden, oder dass Jorunalisten über mich schreiben, die das Buch nicht gelesen haben. Die also schreiben, ohne recherchiert zu haben. Das ist die Erklärung für mich, dass man sagt: Uuuh, Iiiih, das sind diese ekligen Sexbücher! Und das bringt mich gar nicht so auf die Palme, denn ich versuche mich Fernzuhalten von so einer skandalisierenden Mediendarstellung. Die ist immer falsch. Je lauter eine Zeitung ist, je größer die Buchstaben, umso schlechter (oder garnicht) ist recherchiert worden. Oder es ist gelogen. Oder dumm. (Lacht.) In klugen Zeitungen mit kleinen Buchstaben macht niemand ein Interview, der das Buch nicht gelesen hat. Die sagen dann: Aha, das ist ja nicht nur Sex, das ist ja nicht nur ekelhaft. Das ist ja ne ganz traurige Familiengeschichte. Also meine. Und wenn man mit Lesern spricht oder mit Kinozuschauern, die verstehen das alles richtig. Und darauf konzentrier ich mich. "

Kudos für "Feuchtgebiete", den Film, weil er auch die "Häuflein-Elend"- Seite der Erzählung hervorkehrt. Falls man ihn nicht anschaut, um mitreden zu können, dann sollte man ihn sich genehmigen, um einer der ehrlichsten und klügsten weiblichen Stimmen momentan seine Reverenz zu erweisen.

Lunafilm

Da ein Hämorrhoiden-Selfie nicht so einfach ist und es auch plausibler erscheint, eine eigene Familie zu gründen als die Herkunftsfamilie zu flicken, taucht irgendwann auch Love Interest und Krankenpfleger Robin im Film auf.

Halt die Luft an

Die Rechte für Roches zweites Buch "Schossgebete" sind schon verkauft. Der Film ist bereits abgedreht, aber noch nicht geschnitten. Roches drittes Buch befindet sich schon "im Geburtskanal. Erstmals habe ich Anfang, Mitte und Ende deutlich vorm inneren Auge stehen. Irre. Jetzt darf ich nicht auf den Kopf fallen oder Alzheimer kriegen, sonst ist alles weg."

Was hast du mit dem Geld gemacht, das du mit den Büchern und Filmrechten verdient hast? Wenn du das sagen magst?

Kein Problem. Ich hab von meinen Eltern leider nicht beigebracht bekommen, gut mit Geld umzugehen. Ich kann das überhaupt nicht. Ich war als Jugendliche und junge Erwachsene auch stark verschuldet.

Warum?

Als ich bei VIVA war, hab ich für mein junges Alter schon gut verdient. Und wenn man gut verdient, kann man bei der Bank auch extrem viel Kredit holen. Wenn ich mit meinem Buch "Feuchtgebiete" nicht so erfolgreich gewesen wäre, hätte ich diese Schulden immer noch. Die konnte ich also abbezahlen, aber ich muss Geld vor mir verstecken. Gut, dass mir der Erfolg mit 30 passiert ist und nicht mit 20. Sonst wäre das ganze Geld für Drogen draufgegangen. Aber weil ich ja jetzt verantwortungsbewusst und älter und Mutter bin, und an die Rente denken muss, hab ich in Betongold investiert, in Immobilien.

Und wer wohnt da jetzt in deinen Betongold-Geldspeichern?

Lauter nette Mieter, die rufen mich immer an.

"Frau Roche, bei uns tropft's durch's Dach!" Und du sagst dann...?

Halten Sie die Luft an, ich komme!