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Daniela Derntl

Diggin' Diversity

3. 11. 2013 - 16:53

Linz, are you happy now?

Zwischen Club und Klause war viel Platz für magische Momente am Ahoi-Pop-Festival: Gefeiert wurde mit Austra, Sohn, Friska Viljor und Thees Uhlmann im Posthof Linz.

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Freitag

Darüber sinniere ich, während ich auf das Austra-Interview im Mittleren Saal im Posthof Linz warte, der vier Tage lang als geräumiger Backstage-Bereich für das Ahoi Pop Festival dient. Doch statt Katie Stelmanis kommt zuerst Obaro Ejimiwe alias Ghostpoet in blendender Plauderlaune hereinspaziert.

Wir haben gar kein Interview ausgemacht und weil er mich für eine der zahlreichen Musikerinnen des Ahoi-Pop-Festivals hält, beginnt er ungefragt und kollegial aus dem Nähkästchen zu plaudern: sein Konzert am Vortag hat ihm ziemlich Spaß gemacht und das Linzer Publikum war sehr freundlich zu ihm. Doch als dauergestresster Londoner verwundert ihn die österreichische Gemütlichkeit schon sehr: Soviel "Easy", "Chill" und "Relax" hört er sonst nirgends und das zwingt ihn, einen Gang zurückzuschalten. Aber so ist das hier und das ist gut so. Das Ahoi-Pop-Festival ist eine über die Maßen angenehme Angelegenheit für alle Beteiligten.

Austra

Auch für die müde Austra-Sängerin Katie Stelmanis. Sie hat zwar keine Schminke mehr im Gesicht, wirkt aber dennoch gezeichnet vom Vortag: "Halloween is our favorite holiday of the year, you know". Alles klar!

Christoph Thorwartl/subtext.at

Austra

Das Konzert im Wiener Flex war deshalb als große Verkleidungssause gedacht, zumindest für die Band. Das Publikum war leider eher zurückhaltend, hierzulande gibt es eben keine Halloween-Tradition. Aber auch ohne Halloween-Brimborium ist Austra beim Ahoi-Pop-Festival die am besten zurechtgemachte Band auf der Bühne. Die strahlend blonde Katie Stelmanis trägt ein weißes Kleid, mit dem sie ihrer Namenspatronin Austra, der lettischen Göttin des Lichts, alle Ehre macht.

Auch der Rest der Band kann sich sehen lassen, besonders der Keyboarder im weißen Trainingsanzug mit Notenlinien statt Adidas-Streifen. Austra scheuen weder eine extravagante Bühnenaufmachung, noch die große Geste. Die klassisch ausgebildete Katie Stelmanis unterstreicht jeden Ton mit einer theatralischen Handbewegung und erinnert dabei ein bisschen an die liebenswürdige Weltklasse-Performerin Kate Bush. Böse Zungen im Publikum nennen dass Bühnen-Yoga, aber die haben anscheinend von Yoga keine Ahnung.

Austra

Austra

Austra-Sängerin Katie Stelmanis

Austra klingen viel heller, tanzbarer und schwereloser als erwartet. Diese filigrane Leichtigkeit unterstreichen auch die weißen Papierschirmchen auf der Bühne, die in wechselnden Farben mit dem Beat pulsieren. Würde Katie Stelmanis mit einem dieser Schirme aufsteigen wie der fliegende Robert oder Marry Poppins, wäre das auch nicht weiter verwunderlich, sondern eine weitere große Geste im Repertoire.

Apropos mit dem Beat pulsieren. Erst bei "Beat and the Pulse" fegen Austra diese Leichtigkeit mit einem Donnerbusch von der Bühne. Mit schweren Industrial-Hämmern zimmern sie dann das Podium für einen Hexensabbath. Die eben noch tanzbare Melancholie bekommt Grabesschwere. Genau in diesem Moment sind Austra am besten, weil am dunkelsten, in einem Konzert, in dem phasenweise leider die Luft heraußen oder zu viel Beliebigkeit drinnen war. Oder sie haben am Vortag einfach zu viel gefeiert?!

SOHN

Christoph Thorwartl/subtext.at

S O H N

S O H N

Deshalb ging der Kelch für das beste Konzert am Freitag auch an SOHN, der jeden Mikromillimeter des großen Posthof-Saals mit seinem Klangkosmos auszufüllen vermochte. Es klang so intensiv und überwältigend wie Dolby-Surround-Sound und so melancholisch und traurig wie Allerheiligen selbst. Nicht umsonst werden für SOHN fleißig neue und schicke Schubladen ausgedacht, die diese Elegie einfangen sollen: Sad-Wave, Sob-Step oder Soultronica.

Da stellt sich doch die Frage, ob der britische Singer/Songwriter deshalb in Wien wohnt, weil hier eine gewisse Morbidität qua Leitungswasser frei Haus kommt und eine volle Badewanne einem Meer voll Tränen gleichkommt, in der man wohlig versinkt? Wie auch immer. Ein Konzert von SOHN birgt etwas kostbares und intimes, elektronische Seeleninspektion zwischen Club und Klause.

Christoph Thorwartl/subtext.at

S O H N

Samstag

Wieder Backstage. Ein Laptop plärrt, Thees Uhlmann flucht. Er schaut sich ein Fußballspiel an und rauft sich dabei die Haare. Wenn man von Thees Uhlmanns Leidenschaft weiß, wundert das nicht. Zu sehen, wie er da tatsächlich mitlebt, bringt einen dennoch zum Schmunzeln. Der Typ mit der schwarzen Lederjacke, dem weißen Shirt und den Jeans ist real, wie man so schön sagt. Nach dem Soundcheck trifft er sich dann auch mit den Local Heroes vom FC Blau-Weiß-Linz, um die oft besungene und besprochene Theorie des völkerverbindenden Mannschaftssports in die Praxis umzusetzen.

Fiction

Christoph Thorwartl/subtext.at

Fiction-Sänger Mike Barrett

Ich unterhalte mich einstweilen mit Fiction, einem Indie-Rock-Quintett aus London. Die haben heuer ihr gelobtes, schwer Eighties-lastiges Debüt-Album "The Big Other" herausgebracht. Vier Jahre hat es gedauert, bis die Platte fertig war, denn die Bandmitglieder mussten alle noch ihr Studium vorher beenden, was ja total vernünftig, aber wenig Rock'n'Roll im Sinne von "We don't need no education" ist. Darauf kontert Sänger Mike Barrett: "Education is the new Rock'n'Roll". Sehr weise. Er selbst bezeichnet die Musik seiner Band als Outsider-Indie, weil sie, erstens, noch nicht berühmt sind und zweitens, sich an Singer/Songwritern wie Edwyn Collins und Jarvis Cocker orientieren:

"They have a certain unsatisfaction for their place in society or a certain unease about the way things are running in the country. With this kind of starting point, you write your songs from an outsider-point looking to the inside."

Fiction ist eine sehr reflektierte Band, auch über ihren Achtziger-Jahre-Bezug, der ihnen Vergleiche mit den Talking Heads oder The Smiths einbrachte: "We know we don't particulary sound like a completely new band, we have a lot of composite parts from other eras. And we are quite interested, why that is. Maybe it's because we are less talented than other bands or is it just the way the music industry is these days? We try to discover the reasons for that in the recent songs we've been writing."

Fiction

Christoph Thorwartl/subtext.at

Volle Kanne 80s: Fiction

Auf das Ergebnis dieser Nabelschau darf man gespannt sein, denn das Konzert gleicht tatsächlich einer Zeitreise, bei der ausschließlich die fehlenden Schulterpolster in den Sakkos als Indikator für die Gegenwart dienen. Glitzernder Synthie-Pop mit New-Wave-Anleihen, der Schlagzeuger grinst wie ein Honigkuchenpferd und das Publikum ebenso.

Christoph Thorwartl/subtext.at

Friska Viljor

Friska Viljor

Lautstark werden Friska Viljor empfangen. Die Schweden haben offensichtlich viele Fans in Linz, für die sie sich extra schick in eine weiße Schale geworfen haben. Bis auf einen. Der hat eine Lederjacke und Jeans an und steht zu Beginn des Konzerts mit dem Rücken zum Publikum.

"He schau, da Thees spüt a mit", sagt der Typ neben mir. Das wäre natürlich ein Traum, bei dem es auch bleibt. Der Bassist hatte wohl keine Lust auf eine Fête Blanche und scheint auch sonst gern seine eigene Show abzuziehen. Aber der Posthof ist ja auch eine Bühne für Kleinkunst und Kabarett. Da wird gelacht, getanzt und gefeiert.

Das Publikum kennt alle Texte für die kindlichen Melodien, reagiert hoch empathisch für die Bierseligkeit und Bromance der Band. Mitten im Freudentaumel eines Songs drückt die Band allerdings auf Pause. Nichts geht mehr. Die Bandmitglieder erstarren in ihren Posen, wie in einem Video mit Übertragungsschwierigkeiten. Über eine Minute dauert dieses "Buffering", das Publikum kommt sich vor wie im Wachsfigurenkabinett und beginnt zu jubeln und fotografieren. Endlich ein Foto von Friska Viljor, vermeintlich voll im Einsatz, aber nicht verschwommen.

Christoph Thorwartl/subtext.at

Friska Viljor

Mit "Wohlwill", "On and On", "Arpeggio" und "Shotgun Sister" beenden sie das wirklich fulminante Konzert und auch Sänger Joakim Sveningsson war ganz angetan: "Linz, are you happy now? I am. I haven't had so much fun onstage for a very long time. I´m too old for this shit. Thank you!"

Kann so ein Konzert überhaupt noch was toppen?

Christoph Thorwartl/subtext.at

Ja. Der Thees-a-Rock-n-Roller, der kann das.

Christoph Thorwartl/subtext.at

Thees Uhlmann

Thees Uhlmann hat die seltene Gabe, stets die richtigen Worte zu finden, auch wenn er nicht singt. Die Songs und Bühnenmoderationen ergeben somit ein großes Ganzes. Das Konzert funktioniert wie ein zeitgenössischer Erzählband eines norddeutschen Fußballfans, Vaters, Sohns und Kumpels, mit dem man gerne mal einen heben würde. Und das Publikum tut das auch und prostet ihm fleißig zu. Auch Thees Uhlmann freut sich, wieder im "magischen Österreich" zu sein und er eröffnet das Konzert mit "Weiße Knöchel" und "Das Mädchen von Kasse 2". Bei "Jay-Z singt uns ein Lied" muss er alleine rappen, weil "Caspar heute in der Provinzstadt Wien auftritt". Gelächter und Jubel!

Christoph Thorwartl/subtext.at

Thees Uhlmann in Siegerpose

Weitere Sympathiepunkte bekommt Thees Uhlmann natürlich, weil er am Nachmittag mit den FC-Blau-Weiß-Linz kicken war. Er ist eben ein Musiker zum Anfassen und im Endeffekt will ihn das Publikum gar nicht mehr aus den Fingern lassen. Uhlmann schickt seine neuen Freunde mit der fürsorglichen Bitte, vorsichtig nach Hause zu fahren, in die kalte Nacht hinaus. Farewell, Ahoi Pop! Superfun wars!