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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

19. 10. 2013 - 19:04

"Mein zweites Leben"

Die Frankfurter Buchmesse ist vorbei und nicht nur Boris Becker hat dort seine zweite Autobiografie vorgestellt. Auch eine berühmte Berlinerin namens Christiane F. ist zum zweiten Mal mit ihrer Lebensgeschichte zur Bestsellerautorin geworden.

Das Leben der Lo-Fi-Boheme

Geschichten aus Berlin, jedes Wochenende von Christiane Rösinger

"Wir Kinder vom Bahnhof Zoo", 1978 vom Stern herausgebracht, prägte das Lebensgefühl einer ganzen Generation und das Bild West-Berlins. Niemand, der in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern groß wurde, kam an diesem Buch vorbei und an den Predigten der verschreckten Eltern.

Als 1981 "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" verfilmt wurde, war Christiane F. endgültig zur Kultfigur geworden, der heroinabhängige Teenager wurde gar eine Art Rolemodel für Jüngere, sie überlasen die Passagen zu Drogenelend und Kinderprostitution oder nahmen sie nicht ernst und bewunderten eher Freiheit, Glam und Kaputtheit des Lebens auf der Straße. Vielleicht wurde der Berliner Heroinchic nur in den Köpfen der westdeutschen Leser kreiert.

35 Jahre nach "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" hat die jetzt 51-jährige Christiane F. zusammen mit der Journalistin Sonja Vukovic ihre zweite Autobiografie "Mein zweites Leben" geschrieben. Auf ihrer Facebook-Seite erklärt Christiane F.: "Mein zweites Leben" ist "eine Geschichte von Hoffnung und Hölle, glücklichen Jahren in Griechenland, Überlebenskampf im Frauenknast, Abenteuern unter Rock-Idolen, Literatur-Stars und Drogenhändlern."

EPA/ARNE¦DEDERT

Christiane F. heute

Sie erzählt, was für ein Schock es damals als 15-Jährige war, aus der U-Bahn zu kommen und am Kiosk das eigene Gesicht groß auf der Titelseite des "Stern" zu sehen. Dass sie damals ihren wahren Namen und ihre Identität preisgegeben hat, sieht sie im Rückblick als ihren schlimmsten Fehler an. Nun war Christiane F. damals 15 und konnte die Folgen nicht einschätzen, aber warum musste der "Stern" das junge Mädchen unbedingt auf dem Titelbild abbilden? Hätte ein verantwortungsbewusster Verleger ihr damals nicht raten müssen, die Anonymität zu wahren?

Aber wahrscheinlich sollte der Sterntitel mit ihrem Foto "authentischer wirken" und welche Werbeabteilung würde wohl auf den wertvollen Schockeffekt verzichten: Das junge hübsche Mädchen mit den großen traurigen Augen - ein Junkie, der geht auf den Kinderstrich geht!

Carlsen

Es hat funktioniert. "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" wurde über zwei Millionen Mal verkauft. Das neue Buch ist auch schon ein Bestseller und dabei Beichte, Abrechnung und Promi-Biografie in einem. Ein Leben zwischen Glanz und Elend wird beschrieben: An einem Tag hängt Christiane F. mit AC/DC ab, oder trifft David Bowie, am nächsten Tag übernachtet sie im Obdachlosenheim oder bei den Junkie-Freunden im Park. Sie versucht es als Sängerin und Schauspielerin, lebt kurz in L.A., ist zwischendurch immer mal wieder clean, immer mal wieder rückfällig. Sie lebt zeitweise bei einem Verleger-Ehepaar in der Schweiz, trifft Loriot, Dürrenmatt, Federico Fellini und Patricia Highsmith und stürzt doch immer wieder ab, pendelt zwischen Jet-Set und Obdachlosenasyl.

Heute wohnt sie im Umland von Berlin, hat eine kaputte Leber und alle möglichen Sucht-Folgeschäden, finanziell ging und geht es ihr aber immer gut. So hat sie auch das neue Buch nicht des Geldes wegen geschrieben, denn nach 35 Jahren lebt sie immer noch von den Tantiemen von "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo". Das Geld hat sie, recht erstaunlich für eine Süchtige, damals langfristig und sicher angelegt. Sie hat zwischendurch immer ein paar Jahre ohne Heroin gelebt, ist jetzt gerade clean, holt sich regelmäßig ihr Methadon, manchmal auch ein, zwei Gramm Heroin, die Abhängigkeit bleibt immer.

"Aber warum hat sie dann das Buch geschrieben?", fragt sich die teilnehmende Beobachterin. "Warum macht sie den ganzen Rummel mit, Buchmesse, Interviews, Fernsehen?"
Schließlich schlägt ihr von der Presseseite nicht nur Wohlwollen entgegen, nur ein Journalist beschreibt sie als Powerfrau, die anders als man es bei einer 51-jährigen Langzeitabhängigen erwarten würde, erstaunlich gut und frisch aussieht. Viele andere hingegen sehen sie als kaputte Existenz, als Häufchen Elend und titeln "Christiane F: Manchmal weine ich tagelang".

Deutscher Levante Verlag

Dann wird gefilmt, wie sie zwischendurch zum Apfelkornfläschchen greift, dabei spricht sie ganz offen über ihre Süchte, darüber, dass sie dem Alkohol zugeneigt ist und auch ab und zu kifft, dass ihre Leber kaputt ist und von dem lästigen Schwitzen, einer der Nebenwirkungen des Methadon. Im Fernsehen werden ihre Bilder mit einer vorwurfsvoll-betroffenen Moderatorenstimme unterlegt: Sie braucht heute immer noch die Ersatzdroge Methadon, eine Droge, die auch süchtig macht! Sie ist deutlich gealtert! Zwischen 15 und 51 bleibt eben ein deutlicher Alterungsprozess nicht aus...

Am Kreuzberger U-Bahnhof Kottbusser Tor kann man täglich besichtigen, wie Langzeitabhängige so aussehen. Dort hält regelmäßig ein Bus, der frische Spritzen ausgibt , Druckräume in der Nähe bieten eine saubere Umgebung für den nächsten Schuss an. Langzeitabhängige sehen nicht besonders gesund aus, manche recht zombiemäßig und verelendet, das ist dann nicht mehr ganz der Heroinchic, den man von Nico, Velvet Underground, Kate Moss und Doherty kennt. Aber die Menschen sehen auch so fertig aus, weil sie überleben und älter werden. In Berlin steigt die Lebenserwartung von Heroinsüchtigen seit ein paar Jahren, weil man sich durch die kontrollierte Methadonabgabe und andere Programme mehr um sie kümmert. Es gibt sogar schon Altersheime für Langzeitabhängige. Wäre die Spritzenabgabe an Junkies in den Siebzigern nicht verboten gewesen, dann wäre Christiane F. vielleicht die Hepatitis C erspart geblieben, unter der sie heute leidet.

Unterm Strich bleibt ein ungutes Gefühl bei dieser neuen Christiane F.-Medienoffensive. Christiane F. sagt, sie habe das Buch geschrieben, weil sie nicht nur für ihre Sucht bekannt sein will, weil sie mit 51 keine Drogenikone mehr sein will. Vielleicht ist die einst berühmteste Süchtige Europas auch im Konflikt zwischen dem zweifelhaften Drogen-Ruhm und der Sehnsucht nach Ruhe.