Erstellt am: 17. 10. 2013 - 17:40 Uhr
The daily Blumenau. Thursday Edition, 17-10-13.
Noch recht neu; der Versuch das klassische Journal in der Form von 2003, '05, '07, 2009 und 2011 durch ein kürzeres Format zu ersetzen. Mit Items aus diesen Themenfeldern. Heute monothematisch, weil mit einer langen Gast-Lecture.
#media #paradigmenwechsel
Meet Katherine Viner!
Die Britin ist stv. Chefin des Guardian, einer der beiden besten Medienprodukte der Welt und hat im Frühjahr den Guardian Australia gelauncht.
Katherine Viner hat vor wenigen Tagen in Melbourne eine lecture mit dem Titel The rise of the reader: journalism in the age of the open web gehalten, die einen exzellenten survey über jüngste Erkenntnisse und einen Praxistest beeinhaltet.
Ich bette das Video dazu ein. Frau Viner spricht fast 50 Minuten. Für alle, denen das zu hart ist: ich fasse drunter, kurz und deppensicher, das Wichtigste zusammen.
Viner kommt schnell auf die These des dänischen Professors Thomas Pettitt zu sprechen: die der Gutenberg Parenthesis. Der hat, als in der Wissenschaft bereits Anfang der 80er klar wurde, dass die digitale Kommunikation alles verändern würde, eine Secondary Orality vorausgesagt.
Um Jeff Jarvis zu zitieren: Today, these Danes say, we are coming to the other side of the parenthesis.
Die These der Gutenberg-Parenthesis, die Gutenberg-Klammer. sagt nichts anderes, als dass wir radikal umdenken müssen, wenn wir die Gegenwart (und in weiterer Folge: die Zukunft) verstehen wollen.
Nicht die Gutenberg-Galaxis der 500 letzten Jahre, die menschliche Kommunikation großteils verschriftlicht hat, ist die Normalität. Sie ist vielmehr die Ausnahme, eine historisch einmalige Klammer, die jetzt geschlossen wird.
Die Menschheit findet nämlich, was ihre Kommunikation betrifft, wieder in den natürlichen Modus von davor zurück: oral communication, fluide Kommunikation in Markt- und anderen Plätzen.
Das mit dem Druckvorgang geschlossene und somit Solididät vortäuschende Medium hat seine Vormachtstellung bereits verloren.
Ich weiß wie schwer das zu packen ist. Als ich vor ein paar Jahren eine ähnliche These über die unabhängige Popmusik publiziert habe, bestanden die Reaktionen aus reiner Empörung. Gegen mich, nicht gegen die Realität, nicht gegen ein Pop-System, dass in diesem Jahrtausend eben wieder in die Maßstäbe der 50er zurückgefallen war. Die fetten Jahre, als Autoren ihre Musik selber produzieren und vertreiben konnten, sind aber unwiederbringlich vorbei.
Die Digital Natives sehen das alles bereits heute so, künftige Generationen werden gar nicht mehr auf die Idee kommen an eine Überlegenheit der fixiert-unveränderlichen Schriftlichkeit auch nur zu denken. Die second orality wird sich dank der bereits in Gang gesetzten Technologien weitestgehend weitläufiger verbreiten und sehr schlecht kontrollierbar sein.
Da sich die Menschen in den letzten 500 Jahren daran gewöhnt haben, das, was sie kennen, als "normal" und "richtig" zu definieren, betrachten sie schriftliche Information als valider: ein Buch hat immer Recht, ein Paperback oft, eine Zeitschrift auch, die Zeitung manchmal - es haben sich Hierarchien des Zuschreibungs-Denkens entwickelt, die durch nichts gerechtfertigt sind.
Nie wurden so viele verlogene und grundfalsche Sachbücher veröffentlicht. Und selbstverständlich diente der Druck in den letzten 500 Jahren fast ausschließlich den Interessen der Machthaber, der Aufrechterhaltung unterdrückerischer Systeme. Und: es gibt keinen Unterschied in der Kommunikations-Qualität zwischen der Gesellschaft in ancient greek zu heute.
Deshalb läuft ein Abwehrkampf, der darauf abzielt, die aufkommende Flut so lange wie möglich rauszuzögern - was natürlich nicht funktionieren kann, aber das wollen die alten Medien-Strukturen nicht hören.
Weil sie das nicht hören wollen, hört man auch nichts davon im intermedialen Diskurs. Da lavieren Österreichs Print-Mächige zwischen subtiler Lächerlichmachung und japsendem Wirsindehauchdabei!
Die These der Gutenberg-Parenthesis ist dort, wo sie diskutiert gehört, bei den diversen Medientagen und den vielen Podiumsdiskussionen der Verleger, kein Thema. #badjournalism
PS
Da für jemand Aufgeklärten wie Katherine Viner die Gutenberg-Parenthesis unaufhaltbare Tatsache ist, beschäftigt sie sich in ihrer feinen Rede auch mit anderen wesentlichen journalistischen Prinzipien.
Journalisten sind truth-teller, sense-maker, explainer.
Those not chasing the pack.
Und noch ein schönes Zitat von Lord Northcliffe aka Alfred Harmsworth, dem Erfinder der britischen Boulevard-Presse aus den 20ern: News is what somebody somewhere does not want printed. All the rest is advertising.