Erstellt am: 8. 10. 2013 - 14:00 Uhr
In Liebe
Diogenes
- Gabriel Roths "Gleichung mit einer Unbekannten" ist in einer Übersetzung von Anna-Nina Kroll bei Diogenes erschienen.
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Amazon findet nicht, dass man Büchereinpacker ordentlich bezahlen muss. Das Management sieht "für Kunden und Mitarbeiter keinen Vorteil in einem Tarifabschluss". Die kommende deutsche "Huffington Post" findet nicht, dass sie ihre Schreiber überhaupt bezahlen muss. Foxconn findet nicht, dass ein paar kleine Pausen während einer Zwölf-Stunden-Schicht am tschechischen Fließband zu wenig sind.
Eric hat all diese Sorgen nicht. Weil er die Benutzeroberfläche für ein Start-Up teuer verkaufen konnte, ist der Amerikaner sehr jung sehr reich geworden. Das Soziale ist dabei ein wenig auf der Strecke geblieben, vor einem weiteren Propheten, über den der Zuckerberg gekommen ist, muss man sich aber nicht fürchten, weil Eric in Gabriel Roths "Gleichung mit einer Unbekannten" andere Probleme haben wird als der junge Mark Z.
Eric trifft die Journalistin Maya. Wie eine Art Computermanual spult sich die folgende Liebesgschichte vor uns Lesern ab, denn der gerne obergescheite Glücksritter möchte alles richtig machen und setzt sorgsam einen Fuß vor den anderen. Langsam verwandelt sich der uncoole Außenseiter-Eric in einen aufmerksamen Eric-das-ist-mein-Freund, der seiner Freundin von frühen Flow-Erlebnissen berichtet: "Ich versuche, das Gefühl zu vermitteln, das ich habe, wenn ich in den Hackmodus verfalle (...) Wir sind am meisten wir selbst, wenn wir in etwas Höherem aufgehen, ist ein Paradox, das auf dem Grund jeder mystischen Praktik liegt, Programmieren ist da nicht ausgenommen." Aha. Und was macht Eric, wenn die umgebende Matrix unberechenbar wird?
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Schlaf, Serotonin und Würde
Nach einer Jugend voller Drogenparty und Selbstmitleid hat Eric also jetzt auch die Liebes-Slackline erklommen. Um da nicht runterzufallen, braucht es "Schlaf, Serotonin und Würde", hält er einmal fest. Es braucht wahrscheinlich aber auch ein bisschen Glück, sobald der anfängliche Dornröschentraum zu Ende geht. Im vorliegenden Fall kommt die Gefahr aus der Vergangenheit: Maya hat als Kind ein paar Furchtbarkeiten erlebt. Sie kann damit umgehen, ja, sie kann auch darüber sprechen, aber die Geschichte treibt trotzdem einen Keil zwischen das Paar.
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Andere Gleichung, ähnlich dringende Probleme: Happiness = Reality – Expectations?
Problembewusst, erwachsen, unraffiniert... not! In all ihrer Selbstreflexion hüpfen Maya und Eric einem lustig aus der Schublade, in die man sie gerade packen wollte. Beispiel Elternbesuch: Eric kann nicht so gut mit seinem ewig erfolglosen, wehleidigen Vater. Der sitzt aber zufällig in jenem Café, wo Eric Maya erwartet. "Man kann ihn ja eigentlich nicht verfehlen", wird sie später erklären. "Im Gesicht sieht man die Ähnlichkeit". Eric darauf, "okay, dann geh ich mich jetzt mal umbringen". Macht er aber eh nicht.
Was gut ist, weil man so dabei sein kann, wenn Eric aufhört, sein Leben wie eine ewige Generalprobe zu führen und zur Uraufführung übergeht. Und weil man herausfinden kann, ob Generalprobe oder Uraufführung den traurigen Clown dazu veranlasst haben, sein Leben als "eine Mischung aus Schmerz, Reue, traurig-trockenem Humor und Selbsterkenntnis" zu beschreiben.