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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

8. 10. 2010 - 09:56

Sozial asozial

In "The Social Network" bricht David Fincher das Phänomen Facebook auf die emotionale Ebene herunter. Und das auf vielschichtige, sarkastische Weise.

Ist das jetzt ein sinistrer Thriller geworden, wie ihn die ersten Teasertrailer und Kampagnen versprochen haben? Oder gar ein verschwörungstheoretisches Epos, das die eventuellen dunklen Mächte und geheimen Fädenzieher hinter Facebook erforscht?

Keineswegs. David Fincher, der Regisseur dem wir zentrale Werke des Körperkinos verdanken, solche modernen Klassiker wie "Se7en" oder "Fight Club", dürfte manche Fans mit seinem neuesten Film wohl vor den Kopf stoßen. "The Social Network" entpuppt sich als elegant inszeniertes, aber doch vollkommen straightes Drama, in dem die Dialoge im Mittelpunkt stehen.

Keine bodenlosen Abgründe tun sich auf, niemand wird physisch traktiert, keine der handelnden Personen ist ein geheimer Serienkiller.

Seit 2004 gibt es Facebook. Zur Zeit nutzen 500 Millionen User in 74 Sprachen das Social Network-Portal. Gründer und Chef von Facebook ist der 26-jährige gebürtige New Yorker Mark Zuckerberg. Der jüngste Milliardär der Welt enthält sich zum Film "The Social Network" jeder Meinung.

Stattdessen flirtet Fincher mit Teenmovie-Archetypen, erinnert kurz an typische Gerichtssaal-Krimis und legt seinen Protagonisten Satzstakkatos in den Mund, die wie aus einer Screwball-Comedy für das Geek-Zeitalter klingen. Ja, es wird sehr viel geredet in diesem Film.

Langweilig ist "The Social Network" trotzdem nicht. Weil David Fincher und Drehbuchautor Aaron Sorkin zum ersten Mal zeigen, wie der Mann tickt, dem 500 Milllionen Menschen ihre intimen Daten anvertrauen. Der Mann, der unseren gesamten gesellschaftlichen Zugang zur Privatsphäre verändert hat. Und ihn noch viel mehr verändern wird.

The Social Network

Sony

Mark Zuckerberg, heute eine unbestrittene Webzweinull-Gottheit, ist am Anfang von Finchers Film noch ein 19-jähriger Neuzugang an der Eliteuniversität Harvard. Kein klischeehafter Bilderbuch-Nerd, aber ein Eigenbrötler. Arrogant, clever, besserwisserisch, nach außen völlig unauffällig.

Als ihn seine Freundin gleich in der sarkastischen Eröffnungssequenz abserviert, stellt er seine giftigen Gedanken über sie nicht nur sofort in sein Blog. Mark hackt sich auch in die Unidateien und bastelt eine illegale Website, auf der man(n) sämtliche Harvard-Studentinnen gegeneinander ausspielen kann.

Wie aus dieser Bubenidee rasant ein allgemeines Uni-Netzwerk wird, das alle Rekorde schlägt, eine zwingende Vision, ein unglaublich mächtiges Unternehmen namens Facebook, das erzählt David Fincher fernab von jedem Cyberkitsch. In flott geschnittenen, aber bewusst zurückhaltenden Bildern, die vom pulsierenden Trent Reznor-Score angetrieben werden.

Von minutiöser Recherche berichtet Aaron Sorkin in Interviews. Mit dem parallel entstandenen Facebook-Enthüllungs-Bestseller "The Accidental Billionaires" von Ben Mezrich teilte sich der Drehbuchautor viele Quellen. Die These, die Sorkin letztlich aufstellt, ist so simpel wie banal wie für manche sicher enttäuschend: Mark Zuckerbergs digitale Revolution speist sich primär aus Frustration und Verbitterung.

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Facebook ist entstanden, sagt "The Social Network", weil Zuckerberg damit seine Ressentiments kompensieren wollte. Gegenüber Frauen, gegenüber Kommilitonen aus besserem Hause, auch gegenüber seinen besten Freunden. Wie sich "Zuck" der Reihe nach mit dem engen Kreis der frühesten Mitstreiter überwirft, wie aus Streitereien Millionenprozesse werden und sich die Gründungsclique vor Gericht gegenübersteht, das ist der eigentliche Kern von David Finchers Film.

Das Mastermind des größten sozialen Netzwerks, hämmert uns dieses Leinwandportrait mit bitterer Ironie ein, ist im Grunde ein soziophober Typ, zumindest war er das am Anfang. Und gerade aus der Unfähigkeit zur echten Kommunikation wurde das Bedürfnis geboren, sich virtuell zu vernetzen.

David Fincher erzählt die Geschichte des jüngsten Milliardärs des Planeten als Antiheldensaga.

Nun rückten dsyfunktionale Charaktere nicht erst in der letzten Dekade ins Spotlight der Popkultur. Bei Künstlern, Autoren oder Musikern läuft wenig ohne einen sozialen Defekt, das Comickino wimmelt von Nerds, die über sich hinauswachsen.

Der famose Jesse Eisenberg hat in Filmen wie "Zombieland" oder "Adventureland" schon solche charmanten Sonderlinge verkörpert. Als Mark Zuckerberg wird er aber wohl keine Coolheits-Punkte kassieren. Mr. Facebook nervt als verbissener, neunmalkluger und kalter Internet-Magnat im Kapuzenpulli, der für sein Web-Baby alles opfert. "Du bist einfach ein Arschloch", sagt seine Exfreundin im Film zu Zuckerberg. Und hat damit volkommen recht.

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Aber, und damit stellt sich noch einmal die wichtigste Frage, ist so eine Story nicht besser in einem Nachrichtenmagazin aufgehoben? Reicht das alles wirklich für einen spannenden Film? Ist es wert, sich einen Kinoabend in die geschäftlichen Querelen öder Elite-Studenten einzuklinken?

Ich gebe zu, dass ich nach dem Verlassen des Kinosaals auch einen Moment lang unschlüssig war. Aber dann wirkt "The Social Network" nach, sickert ein, lässt einen nicht mehr los. Denn egal ob man Teil der gigantischen Facebook-Familie ist oder wie meine Wenigkeit zum kleinen Kreis der Verweigerer gehört: Dem Thema entkommt man nicht.

Wie authentisch "The Social Network" letztlich ist, lässt sich natürlich schwer sagen. Zumindest zeichnen auch die wenigen Portraits von den ausgesuchten Journalisten, die Mark Zuckerberg an sich rangelassen hat, ihn als menschenscheuen Kontrollfreak. Der Mann, der die Privatsphäre nach seinen aktuellen Interviews für ein verstaubtes Relikt hält, lebt zurückgezogen und hat wenig reale Freunde.

Und David Fincher mag zwar im Sinne Hollywoods plakativ emotionalisieren, aber er dämonisiert weder noch singt er ein Loblied auf den amerikanischen Erfindergeist. Wie schon in seinem Meisterwerk "Zodiac" lässt der Regisseur verschiedene Blickwinkel aufeinanderprallen, ohne Antworten zu liefern.

Wenn schon, dann entreisst Fincher den sozialen Utopien, von denen viele Online-Propheten schwärmen, ihr Mäntelchen des Idealismus. So schmierig wie Justin Timberlake etwa den Napster-Mitbegründer Sean Parker spielt, so autistisch wie Eisenberg/Zuckerberg agiert, präsentiert sich das Digital Wonderland als Spielplatz sexistischer Jungs, die für ihre kapitalistischen Ideen über Leichen gehen. Same as anywhere also, die schöne neue Webwelt gleicht verblüffend der alten analogen.

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