Erstellt am: 1. 11. 2009 - 11:21 Uhr
Abenteuer in Indieland
Es gibt ja immer noch Menschen da draußen, die an die Möglichkeit einer unbedingten Individualität glauben, an die Aussicht, sich den Zugriffen diverser Medienmechanismen, Marketingmanipulationen und Moden gänzlich entziehen zu können.
Einerseits finde ich solche vehementen Verweigerer-Standpunkte ermüdend. Weil sie in ihrer Naivität die ungeheure Komplexität einer Gegenwart ignorieren, in der Gut und Böse, Subversion und Kapitalismus, alternative Visionen und ökonomische Zwänge bis ins Kleinste ineinander verstrickt sind.
Auf der anderen Seite hege ich seit jeher eine Sympathie für radikale Lebensentwürfe, sturschädelige Haltungen und unvernünftig ausgespuckte Statements.
Was mir letztlich aus diesem Zwiespalt zwischen einem realistischen Blickwinkel auf eine gänzlich ausverkaufte Welt und meinen Outsider-Fantasien bleibt, ist eine verwirrende Ambivalenz. Eine Zerrissenheit, die ich wohl mit vielen teile und die man gerne auch bei Houellebecq, Palahniuk, Rocko Schamoni, Sybille Berg und anderen Gegenwartschronisten nachlesen kann.
Rowohlt
Besonders stark empfinde ich diese Zerrissenheit übrigens, wenn ich in fremden Städten Shoppingexkursionen unternehme. Denn natürlich ist mir beim Einkauf diverser Dinge, die wenigstens mit dem Hauch des Andersartigen behaftet sind, völlig klar, dass ich auch nur ein bestimmtes Konsumentenklischee bediene.
Am erschreckendsten und gleichzeitig am ergiebigsten sind diesbezüglich Beutezüge in Urban-Outfitters-Filialen, die ich bei keinem London-Aufenthalt auslasse. Denn hier finden sich Unmengen von Goodies unter einem Dach, die allesamt mit dem alternativen Mainstream flirten.
Ja, hinter diesem Konzept stecken hochgradig perfide Strategen. Ja, sämtliche der karierten Fetzen, lustigen T-Shirts, Weirdo-Folk- und Electro-Alben, Harmony-Korine-Notizbücher oder bizarren Geschenkartikel sind perfekt für Narren wie dich und mich kompiliert. Ja, mit Urban Outfitters bleibt von mehreren Dekaden Pop-Underground nur mehr ein Supermarkt übrig, der etwas bunter schillert.
Mir ist die Perversion des Ganzen voll bewusst. Und trotzdem gebe ich mich ihr hin. Genauso, und das möchte ich mit diesem langen Prolog sagen, ergeht es mir mit Teilen des so genannten amerikanischen Indie-Kinos.
Centfox
Sich Streifen wie meinetwegen den gefeierten Konsenserfolg "Juno" anzusehen, die Will-Ferrell-Tragik-Komödie "Stranger Than Fiction" und für mich besonders paradetypisch (500) Days Of Summer, in diese Filme hineinzukippen, das ist für mich wie Einkaufen bei Urban Outfitters.
Diese durchaus gut gemeinten Arbeiten machen Spaß, verdrehen einem mit ihrem nicht ganz so mainstreamkonformen Ansichten den Kopf, bewegen sich eine klitzekleine Spur außerhalb der Spur. Trotzdem bleibt für mich das Gefühl zurück, einem Team von Marktforschern auf den Leim gegangen zu sein, die sämtliche Indie-Gefühligkeiten ausgiebig studiert haben.
Denn unter der liebevollen Oberfläche aus The-Smiths-Songs, juvenilem Aufbegehren und Leidensgeschichten aus dem schnöden Alltag lauert ein Nachgeschmack des zu genau Kalkulierten.
Da muss nicht einmal Urban Outfitters als Vergleich her, obwohl etwa "(500) Days Of Summer" wie die erste Filmproduktion dieser Kette wirkt. Diverse Hipster-Läden in Williamsburg, Berlin Mitte oder Shoreditch vermitteln genau dieselbe Stimmung. Wie gesagt, das soll keine aggressive Kritik sein, ihr findet mich ja auch in solchen Geschäften. Ich weigere mich bloß, den Versprechungen der entsprechenden Filme zu vertrauen.
Luna Film
Dabei bedarf es - um der süßlich eingerichteten Ecke des Corporate-Indie-Kinos zu entkommen - nur einiger Brüche, verquerer Ansichten, anderer Ästhetiken. Die große Sofia Coppola badet sich filmisch beispielsweise in Sweetness, aber ihre Werke verzichten auf übertriebene stilistische Mätzchen und erzählen von einer Entfremdung, die sich nicht in schmalzigen Happy Endings auflöst.
Mit ganz anderen Mitteln wehrt sich Komödienregisseur Kevin Smith immer wieder gegen die Hollywood-Vereinnahmung. Seit seinem Durchbruch "Clerks", einem der Filme, die die US-Indie-Revolution zum Rollen brachten, benutzt er die Sprache als Waffe.
In Kevin-Smith-Filmen, so konventionell ihre Form auch sein mag, fliegen Flüche, Obszönitäten, F-Wörter nur so um sich. Und das noch vor der Judd-Apatow-Ära der verbalen Saubarteleien.
Auf den Höhepunkt treibt Smith die Verbalerotik in seinem aktuellen Streifen. Wie die österreichische Komödie "Nacktschnecken" erzählt er in "Zack & Miri Make A Porno" von jungen Leute, die aus Geldmangel auf die Idee kommen, ins Pornofilmgeschäft einzusteigen.
Luna Film
Zack (Seth Rogen) und Miri (Elisabeth Banks) sind beste Freunde seit Highschool-Tagen, sie teilen sich eine gemeinsame Wohnung und ihre intimen Erfahrungen, aber nicht das Bett. Hintergedanken gäbe es keine in ihrer platonischen Beziehung, behaupten die beiden. Geredet wird aber andauernd über Sex.
Als die Haushaltskasse wieder einmal leer ist und die Bude eiskalt, folgen aber Taten. Zack und Miri beschließen, zusammen mit einer Gruppe gecasteter Akteure ins Amateurpornobusiness einzusteigen. Dieser Versuch, der erwartungsgemäß schief läuft, ist dank Herrn Rogen, Frau Banks und der ganzen Kevin-Smith-Clique in Nebenrollen durchaus vergnüglich anzusehen.
Vom Corporate-Indie-Kino setzt sich Smith, als einer dessen Hauptvertreter, neben der Kanonade an Hardcore-Pornotalk mit einer bestimmten Räudigkeit ab. Alles, von den Frisuren bis zur Kleidung und der Wohnungseinrichtung, wirkt schmuddelig, uncool, billig. Zooey Deschanel würde es vermutlich grausen.
Eine Mogelpackung ist "Zack & Miri Make A Porno" dennoch. Denn wie meist bei Kevin Smith versteckt sich hinter der derben Außenseiter-Fassade eine fast schon zu herzige Romantic Comedy. Es bleibt letztlich also nur das Prädikat "eh nett" übrig, und da auch nur die Originalfassung betreffend.
Miramax
Wie alle hier angestellten Überlegungen plötzlich überflüssig werden, erlebte ich vor kurzer Zeit in der Pressevorführung von "Adventureland". Meine Erwartungen waren mittelmäßig, überrascht wurde ich mit nichts Geringerem als dem besten Coming-Of-Age-Film des Jahres.
Mit dem überzogenen Teenie-Klamauk "Superbad" (ebenfalls mit Seth Rogen) landete Greg Mottola einen der Überraschungshits 2007. Mit "Adventureland" schließt er allerdings, ohne den Comedyguru Judd Apatow im Hintergrund, eher an seine Anfänge als sensibler Indiefilmer an.
Wir schreiben das Jahr 1987. Disco und New Wave haben das Zeitliche gesegnet, der Rock'n'Roll feiert ein Comeback, Grunge ist aber noch nicht explodiert. Ein popkulturelles Durchhängejahr irgendwie.
Ein Gefühl von Stagnation macht auch dem schüchternen Provinz-Highschool-Absolventen James zu schaffen. Der elterliche Geldmangel zwingt den cleveren Burschen zu einem ungeliebten Ferienjob. James beginnt im abgetakelten lokalen Freizeitpark "Adventureland" zu arbeiten, einem Sammelsurium skurriler Charaktere.
Zu den Lichtblicken zählt dort die junge Em, ein selbstbewusstes Mädchen mit einiger Männererfahrung, in die sich James prompt verknallt. Aber plötzlich beginnt auch die heiß umschwärmte Autodrom-Queen Lisa einen Flirt mit ihm. Es wird ein Sommer der hormonellen Verwirrungen, euphorischen Erfahrungen und schmerzhaften Entscheidungen.
Miramax
"Adventureland" ist weder eine simpel gestrickte Postpubertäts-Komödie mit untergriffigen Lachern und moralistischen Untertönen noch einer der erwähnten geschmäcklerischen Indie-Filme, denen man die Berechnung ansieht. Greg Mottola gelang gerade durch das Zurückschrauben des Pointenlevels ein kleines Filmwunder.
Ganz präzise und überlegt, aber frei von Manierismen in Kamera und Schnitt, sieht er einfach seinen Figuren beim Lieben und Leben zu, beim Flirten, Weinen und Witzemachen. Und wie diese Figuren lieben und leben. Der patscherte Nerd James, die frühreife Em, die laszive Lisa und all die Loser und Schlawiner um sie herum, sie könnten potentielle Comic-Stereotypen sein.
Aber stattdessen nimmt sie der Film ernst, macht sich bei allen komischen Situationen niemals über einen Charakter lustig, auch nicht über die Provinzdisco-Königin oder den älteren Abschlepper.
Miramax
Es fällt schwer, jemanden aus dem fantastischen Ensemble herauszuheben, vom köstlichen Jesse Eisenberg ("The Squid & The Whale") bis zum verschrobenen Martin Starr ("Freaks & Geeks"). Aber Kristen Stewart, die auch deine kleinere Schwester aus "Twilight" kennt, erweist sich endgültig als charismatischste Schauspielerin ihrer Altersklasse. Ihre forsche Attitude, ihre Bestimmtheit und Präsenz, vor allem diese wahnsinnige Sehnsucht nach mehr in ihren Augen, das ist mehr Indie als 500 Tage mit Juno.
Dieser Film gleitet dahin, er swingt, er schwebt und rockt. Er eröffnet Möglichkeiten. "Adventureland" ist das feinfühligste Generationenportrait seit zirka Linklaters "Dazed & Confused". Und ganz nebenbei ist der Soundtrack, von Hüsker Dü bis Velvet Underground, schon alleine den Kinobesuch wert.