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Robert Zikmund

Wirtschaft und Politik

30. 9. 2013 - 18:26

"Willkommen in einer neuen Beliebigkeit"

Die Dynamik unserer Zeit erlaubt den Parteien einfach keine festen ideologischen Grundsätze, meint der Politologe Vedran Dzihic.

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Die Nationalratswahl auf FM4

Auch am Tag nach der Nationalratswahl beschäftigt uns natürlich das gestrige Wahlergebnis. Was bedeutet es für dias politische System Österreich in den nächsten fünf Jahren?

Der Politikwissenschaftler Vedran Dzihic war dazu zu Gast bei Robert Zikmund im FM4 Connected Studio.

Politikwissenschaftler Vedran Dzihic

FM4 / Alex Wagner

Robert Zikmund: Schon am Wahlabend war von der Zersplitterung des "bürgerlichen Lagers" die Rede. Traditionell ist das ja irgendwie alles, was nicht sozialistisch ist. ÖVP-Obmann Spindelegger hat sich ja auch in den TV-Duellen sich explizit an die "Bürgerlichen" gewandt. Jetzt haben wir mit den NEOS und - zum ersten Mal jetzt auch gewählt - dem Team Stronach zwei weitere nicht-linke Parteien im Parlament. Was heißt denn "bürgerlich" überhaupt noch. und ist dieses Lager jetzt wirklich zersplittert?

Vedran Dzihic: Aus meiner Sicht hat der Begriff des Bürgerlichen schon längst die Bedeutung verloren, die er im 19. und 20. Jahrhundert und der Zeit der Klassenkämpfe hatte. Es ist heute ein recht diffuser Begriff für - wie du schon gesagt hast - alles was sich jenseits der Sozialdemokratie befindet und eigentlich ein Sammelsurium von Dingen, die an sich gar nicht zueinander passen. Wir finden hier explizit rechts gerichtete Parteien, die sich bürgerlich nennen, wir haben eine alte konservativ-bürgerliche Schicht, die auch nicht mehr ganz genau weiß, was das jetzt eigentlich heißt, und noch weitere unterschiedliche Schichten. Angefangen von Bauern bis hin zu einem städtischen Bürgertum. Und dann gibt es jetzt auf einmal auch die NEOS, die auch gern ein liberales Bürgertum vertreten möchten.

Im Grunde genommen würde ich sagen, man müsste sich vom Begriff des Bürgerlichen, der einfach überstrapaziert wurde, verabschieden. Man sollte versuchen, wirklich die Nuancen der einzelnen Parteien herauszustreichen. Sonst sorgt man einfach für Verwirrung. Und letztlich ist auch die Zeit dieser großen rechts-links oder bürgerlich-sozialdemokratisch Dichotomien vorbei. Wir haben eine sehr lebendige WählerInnenlandschaft. Die Wähler und Wählerinnen bewegen sich sehr schnell und lassen sich auch von ganz anderen Motiven leiten als das noch vor 20 oder 30 Jahren der Fall war. So gesehen: Willkommen in einer neuen Lebendigkeit. Oder: Willkommen in einer neuen Beliebigkeit. Und das betrifft eben auch den Begriff des Bürgerlichen.

Jetzt haben wir über das bürgerliche Lager geredet. Inwieweit hat sich denn das Lager der Arbeiter verändert? Die gibt es ja noch, also Menschen, die von ihrer Hände Arbeit leben müssen. Da sehen wir, dass die FPÖ die SPÖ gestern überholt hat. Ist die FPÖ jetzt wirklich schon die klassische Arbeiterpartei geworden?

Das hat sich auch sehr stark gewandelt. Ich würde die FPÖ keinesfalls als klassische Arbeiterpartei bezeichnen. Das ist wirklich ein Sammelbecken von Unzufriedenen und von jenen die ganz einfach die Proteststimmen abgeben. Das sind allerdings zu einem großen Anteil die Arbeiter, was mit ihrer Lebenseinstellung und Lebensposition zusammenhängt. Die haben - weil sie oft auch hart arbeiten - einfach nicht die Zeit, um sich über die unterschiedlichen Differenzen in der Politik zu informieren. Und sie reagieren - wie auch die anderen, aber in einem etwas stärkeren Ausmaß - auf Moment-Dinge. Sie reagieren auf Sensation, auf einen geschickt lächelnden Spitzenkandidaten. Sie reagieren auf lockere Sprüche und sie reagieren vor allem auf große Verprechungen. Die dann in der Regel aber nicht eingelöst werden, weil die die sie gegeben haben - wie bei der FPÖ - einfach nicht an der Macht sitzen, oder - wie bei den anderen - das dann nach dem Wahlabend auch sehr stark vergessen.

So gesehen: Die Arbeiter sind eine Erscheinung, die man heute auch als eine fluide Kategorie bezeichnen kann, die sich auf jeden Fall daran orientiert, was so an spitzen Sprüchen und Infotainment von den Spitzenkandidaten kommt. Und das hat scheinbar in diesem Wahlkampf HC Strache am besten gemacht.

Und es gibt natürlich noch etwas, bei den Arbeitern, aber auch bei allen anderen wo die Freiheitlichen punkten konnten: Das sind diese Appelle an die Angst, die bei vielen Menschen offenbar vorhanden ist ohne dass es dafür einen realen Grund gibt. In diesem Fall war mit Dingen in Richtung "Österreich den Österreichern" und "Wir gehören uns", so absurd das klingt, die freiheitliche Partei erfolgreich. Das wird sie auch weiterhin machen. Also an die Angst appellieren, Ängste schüren und mit diesen dann auch die Stimmen fangen. Das funktioniert bei den Arbeitern und bei den anderen, bei den Arbeitern unter Umständen etwas mehr.

Gestern war viel die Rede von einem Rechtsruck. Obwohl man sagen muss, dass FPÖ und BZÖ bei der letzten Wahl eigentlich gemeinsam mehr Prozente hatten als jetzt. Dann hat am Abend in einer TV-Diskussion Franz Schellhorn gemeint, die FPÖ wäre wirtschaftspolitisch eigentlich eine links-populistische Partei. Kann man das so sagen?

Das ist schwer. Weil man die freiheitliche Partei ideologisch eigentlich nur schwer einordnen kann. Sie versucht schon manche sozialdemokratischen Grundsätze mit rechtsgerichteten Grundsätzen zu kombinieren, was im Grunde genommen aber nicht funktioniert. Ich würde sagen, die FPÖ ist eine Partei, die in sehr vielen Punkten ganz beliebig argumentiert und einfach versucht, vor einem Wahlabend eine Position einzunehmen die opportun erscheint. Und mit dieser Strategie scheint sie gut zu fahren. Ich würde keine ideologische Grundverschiebung der FPÖ hin zu sozialdemokratischen Positionen sehen. Aber wer weiß. Es kann sein, in einem post-ideologischen Zeitalter, dass auch die Sozialdemokraten mit den Freiheitlichen eine gemeinsame Basis finden. In einem post-ideologischen Zeitalter ist alles möglich.

Ich habe noch eine Frage was die Strategien der Parteien jetzt betrifft. Es gibt ja die Möglichkeit weiterhin Rot-Schwarz zu machen. Man kann noch fünf Jahre so weitermachen wie bis jetzt und dann kommt bei der nächsten Wahl vielleicht das wirkliche blaue Wunder. Zumindest glauben das alle. Welche Strategie sollten denn jetzt ÖVP und SPÖ gegenüber der FPÖ fahren. Es wird ja wahrscheinlich zu wenig sein, die jetzt als unbelehrsame Rechtsextreme ins Pfui-Eck zu schieben.

Das mit dem Pfui-Eck funktioniert schlicht und einfach nicht. Das hat ja auch bei dieser Wahl nicht funktioniert. Die SPÖ hat mit ihrer Warnung vor Schwarz-Blau genau das versucht. Schwarz-Blau in einer Kombination mit FRANK wird diesmal aber ohnehin nicht kommen, weil Spindelegger und die ÖVP sich das nach dem Schüssel-Debakel der 2000er Jahre vermutlich nicht trauen. Und es wäre meiner Meinung nach auch ein Todesschein, den sie sich da selbst ausstellen würden.

Auf der anderen Seite glaube ich, dass die große Koalition - die es höchstwahrscheinlich geben wird - beginnen sollte, tatsächlich bestimmte Dinge anzupacken. Wie zum Beispiel Pensionen, Bildung, den Bereich Integration, die Frage der Migration, was eben bei den Freiheitlichen groß auf den Fahnen steht. Wenn sie aber diese Politik des Langsamen und Gemächlichen weiter praktizieren - die aber anscheinend auch ganz erfolgreich ist, im internationalen Vergleich steht man ja ganz gut da - dann wird es bei den nächsten Wahlen aber trotzdem nicht zwingend einen klaren Sieg der Freiheitlichen geben. Dann könnte es auch wieder neue Protestparteien geben, oder die NEOS könnten noch mehr von der ÖVP wegnehmen, die Grünen könnten weiter stärker werden,... Im Grunde genommen ist alles offen.

All diese Dinge hängen - und das vergisst man in Österreich oft - auch von der großen europäischen Politiklandschaft ab. Das heißt: Sollte sich die wirtschaftliche Situation in der Euro-Zone stabilisieren, sollte es hier wieder einen Aufschwung geben, dann sollte es auch für die Großparteien leichter sein, ihr Programm durchzubringen. Sollte es andererseits eine weitere krisenhafte Zuspitzung in Europa geben, noch schlimmer als es jetzt ist, dann kann man davon ausgehen, dass die Stimmen an die Protestparteien, linke wie rechte, schlicht und einfach zunehmen werden. Und da werden die Freiheitlichen wieder da sein und nach diesen Stimmen fischen. Aber ich würde nicht - wie das jetzt die meisten tun - sagen, dass es da einen Automatismus gibt: Wenn sie noch fünf Jahre weiter machen, dann gibt es einen freiheitlichen Bundeskanzler.

Wenn wir bei der Unterteilung bleiben, wer hier wie die Wirtschaft gestalten will: Da haben wir jetzt eine richtige - also wie es im Lehrbuch steht - liberale Partei im Nationalrat. Inwieweit werden denn die NEOS die Parteienlandschaft verändern. Welchen Impuls kann das denn geben?

Ich erhoffe mir von den neuen Parteien doch einen wichtigen Schub. Und dieser Schub kommt - das ist ja ganz interessant - zu einem paradoxen Zeitpunkt. Nämlich genau zu dem Zeitpunkt wo in Deutschland die Liberalen mit großem Trara aus dem Bundestag fliegen.

Es kommt bei den NEOS wohl vor allem darauf an, wie sehr sie es schaffen werden, die beiden Top-Themen zu besetzen. Die ersten Ankündigungen scheinen in die richtige Richtung zu gehen. Die Parteiförderung muss gekürzt werden, das wird sicherlich Zuspruch finden bei den Wählern und Wählerinnen, und dann die Fragen der Pensionsvorsorge und die Fragen der Bildung. In anderen Staaten wurde das in Krisenzeiten als Chance gesehen. In Deutschland hat man genau da dann in Bildung investiert, auch in Hochschulbildung und Forschung. In Österreich hat man das alles sogar eher gekürzt.

Das heißt, wenn hier NEOS es schafft von dieser liberalen Ecke aus Neues in die Debatte hineinzubekommen, dann kann man davon ausgehen, dass sie es schaffen können, einen fixen Platz in der Parteienlandschaft zu finden, der dann aber zuungunsten der ÖVP und manch anderer Partei erarbeitet werden muss. Und das ist aus meiner Sicht positiv. Eine Demokratie ist zwar eine langweilige Herrschaftsform - sie bietet nicht jeden Tag neue Highlights - aber wenn man in so einer Demokratie ohne Highlights eine Dynamisierung zu Stande bekommt, wenn es mehr Parteien gibt, wenn es mehr Widerspruch und Streitkultur gibt, dann kann das für die österreichische Demokratie, die ja in den letzten Jahren in vielen Bereichen so ein bisschen sanft entschlafen war, nur gut sein.

Wenn jetzt jemand die letzten 30 Jahre im Tiefschlaf verbracht hätte, und der wacht jetzt wieder auf. Wie würden sie dem erklären, was in diesen 30 Jahren mit der Parteilandschaft in diesem Land passiert ist?

Die letzten 30 Jahre, also vor allem die 80er Jahre, sind ja in Europa die Zeiten der großen Veränderungen gewesen. Die großen Blöcke sind aufgebrochen worden, die großen Ideologien und Auseinandersetzungen sind nicht mehr da. Und es herrscht auch in wirtschaftlicher Hinsicht jetzt eine neoliberale Herrschaftsform in der ganz einfach die Grundsätze der 70er und 80er Jahre, dieser Zeit des Wachstums, nicht mehr da sind.

Jemand der so lange geschlafen hat, käme jetzt de facto auf einen neuen Planeten zu sich. Die Welt heute, und Europa heute, das ist nicht derselbe Planet, den wir vor 30 Jahren gehabt haben. Jetzt gibt es auf neuen Planeten ja manchmal Marsmännchen oder ähnliche Dinge, und so etwas in der Art gibt es auch in der Parteienlandschaft. Ich möchte sie jetzt nicht so nennen, aber sie verhalten sich doch so. Auf jeden Fall würde er glaube ich viel lachen und gleichzeitig auch ein wenig weinen. Weil es etwas vermissen würde was einmal da war. Das war Stabilität und Berechenbarkeit. Die gibt es schlichtweg nicht mehr und wird es auch in den nächsten Jahren nicht mehr geben.

Dieses links-rechts, diese Dualität ist ja auch etwas in Bewegung. Das sieht man ja auch an den NEOS ein bisschen. Muss man dieses Links-Rechts-Denken nicht auch ein bisschen hinter sich lassen?

Das ist ja schön längst überdacht worden. Links-Rechts in seiner klassischen Form ist auch in der Politologie schon längst passé. Man spricht von einem post-ideologischen Zeitalter, von einer Annäherung der Parteien in vielen Fragen. Das hat auch mit Tony Blair und dem dritten Weg begonnen und das hat auch damals mit Viktor Klima in Österreich Einzug gehalten. Das heißt: Die Parteien haben sich einander in vielen Fragen angenähert und man könnte fast sagen, in vielen Punkten sind sie sich zum Verwechseln nahe. Und in diesem Trend ist es eben auch möglich, dass eine Partei etwas kombiniert, das vor 20 oder 30 Jahren nicht möglich gewesen wäre.

Ich glaube die Zukunft der Parteienlandschaft liegt nicht mehr in diesem Rechts-Links-Gegensätzen sondern geht in die Richtung, dass man es schaffen muss, Menschen, die sich normalerweise für etwas anderes interessieren, an einem bestimmten Punkt für die Wahl zu bekommen. Dann muss man über die fünf Jahre hinweg schauen, dass man das anbietet was man versprochen hat, und man muss sich flexibel zeigen und sich anpassen an die Dynamik der Zeit. Die ist ganz einfach enorm und erlaubt feste ideologische Grundsätze schlicht und einfach nicht. Das ist zumindest jetzt so. Es kann aber natürlich sein, dass in vier, fünf Jahren die großen ideologischen Klüfte wieder entstehen. Aber das ist ein Blick in die Kristallkugel. Und die ist in den Tagen nach der Wahl ziemlich verschwommen.