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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

14. 9. 2013 - 14:38

Wahl oder Nicht-Wahl

In einer Woche sind Bundestagswahlen in Deutschland, wir sind also in der sogenannten "heißen Phase" des Wahlkampfes. Gleichzeitig ist die Hilflosigkeit und Unentschiedenheit aller Orten groß.

Aus dem Leben der Lo-Fi Boheme

Geschichten aus Berlin von Christiane Rösinger

Wo man hinhört das gleiche Problem: Die Leute wissen nicht mehr was sie wählen sollen, können sich für keine Partei mehr entscheiden. Wer bislang grün gewählt hat, will es nach den Erfahrungen der letzten rot-grünen Regierung nicht mehr tun, die Grünen werden mehr und mehr als Partei der Besserverdienenden mit öko-moralinsaurem Anspruch gesehen. Sie haben zu ihren Regierungszeiten viele Grausamkeiten mitgetragen. Energiepolitik und Wärmedämmung scheinen ihnen wichtiger zu sein als soziale Gerechtigkeit, sie wirken abgehoben und kalt was soziale Fragen angeht.

Umgedichtetes Wahlplakat Die Linke.

kotzendes-einhorn.de

Die Linke wiederum wollen viele wegen der Stasivergangenheit nicht wählen. Beim Thema Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa hat die Vorsitzende Sarah Wagenknecht nationale Töne angeschlagen: Es sollen hier keine Jugendlichen aus den südeuropäischen Ländern ausgebildet werden, zuerst sind die Deutschen dran. Das schafft nicht gerade Vertrauen in die Partei.

Und selbst wer sich überlegt vielleicht doch der alten Tante SPD eine Stimme zu geben - immerhin soll dann sofort ein allgemeiner Mindestlohn eingeführt werden und die Banken sollen reguliert werden - wer will schon Peer Steinbrück als Bundeskanzler?

Peer Steinbrück mit großen Augen, umgedichtetes SPD-Wahlplakat

Christiane Rösinger

Die Piraten dagegen haben so gründlich alles falsch gemacht, was falsch zu machen war und sich selbst diskreditiert. Die unausgegorenen Vorschläge zur Abschaffung des Urheberrechts haben alle Künstler, Musiker, Autoren, also alle Urheber aufgebracht. Letzten Analysen zufolge werden die Piraten wahrscheinlich nur auf drei Prozent der Wählerstimmen kommen. Also was tun: Gar nicht wählen, oder vielleicht die Tierschutzpartei?

Weil es zur Bundestagswahl 2013 wohl so viele Nichtwähler wie nie zuvor geben wird, ist eine große Diskussion zum Thema angestoßen worden. Journalisten bekennen in Nachrichtenmagazinen, dass sie bei dieser Wahl das Kreuzchen verweigern wollen, Kommentatoren, Soziologen und Politikwissenschaftler raten ab. Nichtwähler haben in Deutschland, einem Land, dass im letzten Jahrhundert zwei Diktaturen ohne freie Wahlen erlebt hat, kein gutes Image. Nicht wählen geht nicht. Anderswo wird um freie Wahlen gekämpft! Und hierzulande macht man vom Wahlrecht keinen Gebrauch? Wie undankbar! Wählen ist Bürgerpflicht. Diese Argumentation erinnert allerdings an die Mittagstischdiskussionen der 1970er Jahre: In Afrika hungern die Kinder und du isst deinen Teller nicht leer?!

Modifiziertes CDU-Plakat mit dem Spruch "Rassismus und Ausbeutung: So bleibt Deutschland stark"

kotzendes-einhorn.de

Und wenn man schon nicht voller Überzeugung sein Kreuzchen bei CDUFDPSPDGRÜNELINKE machen kann, dann kann man doch wenigstens "das kleinere Übel" wählen.
Wer aber immer nur das kleinere Übel wählt, hält das Übel am Leben, argumentieren die Nichtwähler. Nicht zu wählen ist ein Akt der Aufkündigung eines Einverständnisses mit der Politik der Parteien. Wählen legitimiert das System in dem es eigentlich nichts zu wählen gibt.

Es stimmt ja: die Parteien sind austauschbar, Koalitionszwänge stehen über dem Parteiprogramm und so scheint es letztendlich egal, wer an der Regierung ist. Aber vielleicht lohnt es sich wegen der ganz kleinen Verbesserungen, die erreicht werden können, doch die eine oder andere Partei zu wählen?

Beschmiertes CDU-Wahlplakat: Angela Merkel mit Hitlerbärtchen

Christiane Rösinger

Das einzig Lustige in diesen trüben Wahlkampfzeiten sind die Wahlplakate, die in Berlin und anderswo von fleißigen Händen verschönert, übermalt, umgedeutet und umgetextet werden und uns gut sichtbar im öffentlichen Raum mit ihren Botschaften erfreuen.

Da gibt es die seit Schulzeiten bemalten Klassiker "Hitlerbärtchen" und "schwarze Zähne", die blutenden Augen der Angela Merkel, die Batmanohren des SPD- Kanzlerkandidaten. Dieses Jahr waren die Slogans der großen Parteien so nichtssagend, dass die inhaltsleeren Nonsens-Sprüche, mit denen sie überklebt wurden, gar nicht auffielen. So eng liegen Satire und Wirklichkeit in diesen Tagen beieinander.

Modifiziertes FDP-Plakat zur Homo-Ehe

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