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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

29. 8. 2013 - 18:49

Schönes Schaudern

Anlässlich der Horror-Retrospektive "Carnival of Souls" im Filmmuseum: Ganz persönliche Erinnerungen an wohligen Kindheitsgrusel.

Könnt ihr da draußen euch noch an eure allerersten filmischen Schocks erinnern? Ich für meinen Teil werde diese Momente nie vergessen, auch wenn ganz viele andere Erlebnisse aus meiner frühesten Kindheit schon gänzlich verblasst sind.

Meine Ersterfahrung in Sachen Horror muss wohl vor dem Kindergartenalter gewesen sein. Abendliches Fernsehen war da noch strengstens tabu, allerdings erhaschte ich immer wieder Blicke auf den leuchtenden Bildschirm. Irgendwann, als ich meiner mich gerade wegschiebenden Mutter über die Schulter schielte, sah ich es. Im Dunkeln des Wohnzimmers blitzte ein Gesicht auf, eine weiße Fratze, ein Kerl, der seine spitzen Zähne langsam zu einem Grinsen entblößte.

Dracula

Universal

"Carnival of Souls", kuratiert von Christoph Huber, präsentiert im Österreichischen Filmmuseum 51 Werke aus den Jahren 1918-1966. Von absoluten US-Klassikern wie James Whales "Frankenstein"-Filmen, dem Außenseitermanifest "Freaks", "King Kong" oder "White Zombie" bis zu raren Meisterwerken aus Japan ("Onibaba"), Italien ("Operazione Paura"), Großbritannien ("The Plague of the Zombies") oder Brasilien ("À meia-noite levarei sua alma") reicht die Auswahl. Acht "Double Feature"-Programme erinnern an diese wunderbare Kinotradition aus der Zeit der Grindhouse-Kinos und Drive-In-Cinemas. Die Retrospektive dauert vom 30. August bis 17. Oktober und wird im Herbst 2014 fortgesetzt.

Da meine Eltern aus Prinzip keine Horrorfilme oder überhaupt irgend etwas Fantastisches anschauten, könnte das geheimnisvolle Antlitz auch aus einer käsigen Vampir-Parodie gestammt haben. Als Winzling konnte ich das klarerweise nicht dechiffrieren, ordnete es gefühlsmäßig den schaurigen Märchenwelten der Brüder Grimm zu, aber es hat sich jedenfalls eingebrannt, dieses Gesicht.

Sehr wohl auf die Spur kam ich einer anderen TV-Erfahrung, die ich in jüngsten Jahren aufgeschnappt hatte. Ein düsteres Haus verfolgte mich da eine Weile selbst in meinen Tagträumen, umwunden von Efeuranken, zu dessen furchterregenden Bewohnern auch eine herumkrabbelnde Hand gehörte. Mit einem gelassenen Schmunzeln konnte die düstere Kindheitsfantasie später als "The Addams Family" entlarvt werden, die alte US-Serie, deren Comedyfaktor mir als zirka Fünfjährigem völlig entgangen war.

The Addams Family

ABC

Das unfassbare Grauen in Schwarzweiß

Die eigentliche, die zentrale Initation erfolgte dann, als ich immerhin schon eine viel zu große Schultasche am Rücken tragen durfte, aber vom Erwachsenen-Fernsehen noch ferngehalten wurde. Praktischerweise wiederholte der ORF damals, in der Steinzeit der zwei TV-Programme, manches sinistre Gustostückerl aus dem Nachtprogramm am Vormittag.

Das Glück wollte es, das eine leichte Angina meinerseits mit "The Thing from Another World" korrelierte, dem Gänsehautklassiker aus den frühen Fünfzigern, den John Carpenter später kongenial neu verfilmte. Auch perfekt: Meine Mutter ließ mich auf der Wohnzimmercouch liegen und war beruflich viel zu beschäftigt, um öfter nach dem kleinen Patienten zu schauen.

Komplett gebannt kniete ich also alleine vor dem alten Schwarzweiß-Fernseher. Bis zu der Szene, in der eine Gruppe von Wissenschaftlern in einer einsamen Arktis-Forschungsstation sich auf die Suche nach dem außerirdischen Eindringling macht. Gänge durchforstet. Tür für Tür öffnet. Und dann ist es für einen Augenblick im Bild, das unfassbare Grauen. Der entsetzlichste Schrecken. Das Ding aus einer anderen Welt.

The Thing

Kinowelt

"The Thing from another World"

Alles nur Hokuspokus

Etliche Jahre später lief er wieder, der Film, der das lustvollste Urtrauma meinerseits verursacht hatte, in irgendeinem Kabelkanal. Kopfschüttelnd blickte ich auf Make-Up und Kostümierung des Aliens, dessen schundiger Look wie eine Rumpelkammer-Version von Frankensteins Monster wirkte. Viel davon hatte ich seinerzeit nicht gesehen, denn in dem Augenblick, in dem das Wesen im Türrahmen auftauchte, flüchtete ich panisch auf den Balkon. Und blieb dort zitternd, bis mich meine Mutter wieder reinholte. Es war wunderbar.

Ohne es in irgendeiner Form analysieren zu können, spürte ich als Kind nach diesem einmaligen Schock die fundamentalste Wahrheit in Zusammenhang mit dem Medium Film: Alles nur herrlichster Hokuspokus. Kein Außerirdischer verfolgte mich auf den Balkon, dort lauerte nur die winterliche Kälte. Im Gegensatz zur feindlichen Realwelt und ihren Schrecken in Form von diabolischen Lehrern, aggressiven Mitschülern, zermürbenden Turnstunden oder bissigen Hunden konnte einem vor dem Fernseher oder im Kino nichts passieren.

Ein Schalter legte sich in mir um, ausgelöst auch von kleinen Ankündigungsfotos in TV-Zeitschriften oder den knalligen Aushangbildern vor dem lokalen Provinzkino. Fiebrig versuchte ich wieder etwas von dem schönen Schauer zu erfassen, mich auf die Achterbahnfahrt des Horrors zu begeben. Die letzte halbe Stunde von "The Bride of Frankenstein" erwischte ich zufällig im TV, ein Augenblick, der einem religiösen Erweckungserlebnis glich. Boris Karloff verfolgte mich in meine süßen Albträume, ließ mich nicht los, hätte es schon Videotheken oder das Internet gegeben, alle infantilen Sicherungen wären freudig durchgebrannt.

Frankenstein

Universal

"Frankenstein"

Monster und monströse Durchschnittsbürger

Gestillt wurde der Hunger nach dem Horror einerseits im Kino, in den damaligen Kinder- und Jugendvorstellungen. Godzilla und all seine mutierten Monsterfreunde trampelten immer wieder über japanische Großstädte, dazwischen humpelte eine gigantische Frankenstein-Version aus Nippon über die Leinwand oder ein mottenzerfressener King Kong der Toho Studios. Die Vorstellung von kleinen japanischen Männern, die in monströsen Gummianzügen liebevolle Pappkulissen zerstören, lässt noch heute mein Herz hüpfen.

Andererseits explodierte die Vorfreude bei gewissen Fernseh-Ankündigungen und die Euphorie hielt wochenlang an. Als der berühmte "Dracula" der Hammerstudios ausgestrahlt wurde, wühlte das sogar meine filmisch eher ignoranten Kollegen in der Unterstufe auf. Den Tag danach, als jeder von dem Pflock im Körper des Blutsaugers redete, werde ich nie vergessen. Christopher Lee und Peter Cushing begannen meinen elfjährige Psyche genauso zu vereinnahmen wie zuvor Boris Karloff und die Universal-Monster. Dazwischen mischte sich die deutsche Edgar-Wallace-Reihe und die flackernden Augen des Klaus Kinski.

Der wahre Terror ging aber noch viel öfter von jeden Durchschnittsbürgern aus, die all die Psychothriller bevölkerten, die der ORF am Samstagsnächten zeigte. "What Ever Happened to Baby Jane?", "Dead of Night", "Bunny Lake is missing" jagten mir tatsächliche Angst ein, der ungefilterte Stoff von Hitchcock himself gab mir, während meine Eltern ihre Bekannten besuchten, den Rest.

Ich wollte mehr von dieser gefahrlosen Konfrontation mit der Gefahr, mehr Vampire, die im Dunkeln durch Studiokulissen huschen, mehr Monster, die tragische Tränen weinen, mehr sprechende Puppen, unschuldig tuckernde Spieluhren, blinde Verdächtige in Rollstühlen, aufgelösten Frauen, die durch dunkle Gassen hetzen, mehr Grusel, mehr Horror.

Psycho

Universal

Wurmalarm in Echt

Der Übergang zu einer anderen Art des filmischen Terrors erfolgte dann mit knapp zwölf. Dank familiärer Beziehungen und großem Vertrauen meiner Eltern in meine filmanalytische Persönlichkeit durfte ich mich öfter in Vorstellungen mit dem Stigma "Jugendverbot" schmuggeln. Neben all den Italowestern, Kung-Fu-Spektakeln und Action-Thrillern lockten auch diverse Horrorschocker - und schreckten gleichzeitig ab. Ein obskurer Tierschocker namens "Squirm" wurde zur Mutprobe, nachdem der weiße Hai schon diverse Adriaurlaube in der Fantasie bedroht hatte.

Der billige Exploitationfilm, der in einer Gewitternacht spielt, in der Stromstöße die hungrigen Würmer in einer Kleinstadt aus der Erde locken, toppte alles bisher Gesehene. Ich rutschte aus der ersten Stammreihe weit nach hinten im Kinosaal, vergaß auf die Sportgummi-Diät, war paralysiert. Ganz offensichtlich, das wurde mir auch beim Wiedersehen eine Dekade danach klar, hatte man "Squirm" aus Kostengründen mit echten Viechern gedreht. Sehr vielen davon.

Squirm

constantin film

Unvergessen der Heimweg, bei dem ich mich nach glitschigen, fleischfressenden Würmern umsah, auch die folgende Nacht, als ich in die Decke eingewickelt wachgelegen bin. Eine seelische Tortur - und ich wollte unbedingt mit anderen Filmen diese Erfahrung wiederholen. Das blutige Splatterkino mit seinen expliziten Schocks war nicht mehr so fern. Aber das ist eine andere Geschichte.

Die großartig programmierte Retrospektive "Carnival Of Souls" im Filmmuseum holt sie jedenfalls für mich wieder aus der von Spinnweben verklebten Erinnerung, diese Zeit der Entdeckungen, der dunklen Andeutungen und unheilvollen Ahnungen. Beschimpft mich in dieser Hinsicht ruhig als Nostalgiker - an wenig denke ich lieber zurück als an die schönen Schauer meiner Kindheit.

Vampyr

Filmmuseum

"Vampyr"

PS: Natürlich würden mich jetzt eure ersten filmischen Gänsehauterlebnisse brennend interessieren....