Erstellt am: 10. 8. 2013 - 11:49 Uhr
Veggie Day
Aus dem Leben der Lo-Fi Boheme
Geschichten aus Berlin von Christiane Rösinger
Die Urlaubszeit geht langsam zu Ende und das politische Berlin stimmt sich auf die heiße Phase des Wahlkampfs ein - am 22. September ist Bundestagswahl. In Umfragen liegt die CDU vorne, die NSU-Affäre hat Kanzlerin Angela Merkel nicht geschadet. Trotzdem versuchen die Christdemokraten dieser Tage, die Verantwortung für die Abhöraktion den Sozialdemokraten in die Schuhe zu schieben.
Im Wahlkampf wird das aber keine großen Punkte bringen; denn erstaunlich wenig Menschen regen sich über die Enthüllungen zu NSU, Prism & Co wirklich auf. Erstaunlich vielen deutschen Bundesbürgern ist es relativ egal, ob ihre Gespräche mitgehört und ihre Mails gelesen werden.
Arg und flächendeckend aufgeregt hat man sich in der letzten Woche hingegen über den Vorschlag der Grünen einen "Veggie Day" einzuführen: Donnerstags sollen die Kantinen in Deutschland nur noch vegane und vegetarische Gerichte anbieten. Die Empörung war groß und die Grünen konnten mit diesem Vorschlag wieder ihren Ruf als Bevormundungspartei festigen. Zunächst verwundert der Vorstoß - vegetarische Gerichte werden inzwischen ja in allen Kantinen und Mensen angeboten. Und immer mehr, vor allem junge Leute, werden Veganer, Vegetarier oder Flexitarier (Menschen, die nur wenig Fleisch essen und wenn, dann Biofleisch).
dpa/Bernd Thissen
Aber die Statistik sagt: Die Deutschen essen zu viel Fleisch, im Durchschnitt 61 Kilogramm pro Kopf im Jahr. Und die meisten denken nicht darüber nach, welche Folgen das für Menschen, Tiere und Ökosysteme anderswo auf der Welt hat. Fleisch ist in Deutschland viel zu billig und das wird mit dem Leid der Tiere in der Massentierhaltung erkauft, den Horrorjobs der Akkordarbeiter in der Schlachterei und dem massenhaften Antibiotikaeinsatz in der Tiermast. 75 Prozent der Deutschen sind aber trotzdem sogenannte "unbekümmerte Fleischesser". Das bedeutet: Nur jeder vierte Deutsche hat überhaupt in Erwägung gezogen, den Konsum im Sinne der Tiere, der Umwelt oder der eigenen Gesundheit einzuschränken.
Angesichts dieser unbestreitbaren Tatsachen hatte Renate Künast von den Grünen die Empfehlung ausgesprochen, dass in Kantinen einmal in der Woche ein fleischloser Tag eingeführt wird. Von einem flächendeckenden Gesetz auf Bundesebene war dabei nie die Rede.
EPA
Die Grünen haben sich jedenfalls mit dem Vorschlag keinen Gefallen getan, denn wer will sich schon von Politikern vorschreiben lassen, was er wann zu essen hat? Und hinter dem Veggie-Day-Vorschlag steckt doch der oberlehrerhafte Impetus: "Wir wissen, was gut für euch ist, aber ihr noch nicht!"
Diese Verbotsmentalität, das neo-pietistische Verzichtgebot, wird von vielen Nicht-Grünen als arrogant empfunden, als Entmündigung des Bürgers, als Gängelung seiner Lebensgewohnheiten vom Spritverbrauch bis hin zu Reise- und Ernährungsgewohnheiten.
Ein Abgeordneter der Liberalen (FDP) bastelte gar mit Fotomontage ein Plakat, das den Veggie-Day-Vorschlag der Grünen bildlich mit Nazi-Methoden im Dritten Reich vergleicht. Nach Protesten wurde das Plakat schnell von der Homepage genommen, aber in Zeitungen und Onlineforen wird aufgebracht über das Fleischverbot am Donnerstag debattiert.
EPA
Die flächendeckende Empörung kann aber auch daher rühren, dass die Bundesbürger befürchten, dass die Politik immer mehr in ihre Privatsphäre eingreift.
Letzte Woche wurde einem Rentner per Gerichtsurteil verboten, in seiner Wohnung zu rauchen, eine Studie erklärte, dass die Deutschen zu viel fliegen und verreisen und in ihrer Freizeit lieber mal zu Hause bleiben sollten. "Was kommt als nächstes?", fragen sich viele. Zuckerverbot für Übergewichtige? Autoverbot und Fahrradpflicht für Bewegungsfaule? Alkoholverbot im öffentlichen Raum und Gaststätten?