Erstellt am: 9. 8. 2013 - 14:33 Uhr
So weit, so Winnetou
Der Mann mit der Maske: Die gute Nachricht: „The Lone Ranger“ ist besser als erwartet. Die schlechte: Johnny Depp versteckt sich schon wieder hinter Make-Up. (Christian Fuchs)
Dieser Film stand nie unter einem guten Stern, mehr unter einem unheilvollen Meteoriten. Seit bekannt wurde, dass "Lone Ranger", eine in den USA bis Ende der 1950er Jahre beliebte Radio- und TV-Serie fürs Kino adaptiert werden würde, war der Grundtenor der Berichterstattung leicht spöttisch. Spott und Misstrauen gegenüber Disney-Projekten (mit Ausnahme Pixar) ist ohnehin üblich, aber mit Johnny Depps Darstellung des amerikanischen Ureinwohners Tonto, der Gefährte des Lone Ranger, kippte auch die kollektive Meinung über den Schauspieler. Der ehemalige Indie-Darling, das Königskind der 90er Jahre, der coole Hegel hatte irgendwie eine exzentrische Rolle zuviel gespielt.
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Ein überlanger Flop
Probleme gibt es von Anfang an: Immer wieder kommt es zu Verzögerungen und Verschiebungen, statt 2011 reitet "Lone Ranger" erst zwei Jahre später in die Kinos ein - mit dem schweren Gepäck eines 215 Millonen Dollar Budgets gesattelt. An den amerikanischen Kinokassen wird der Film eine riesige Enttäuschung. Die Kritik wirft mit Superlativen um sich, ähnlich wie Regisseur Verbinski bei Actionszenen irgendwie nie weiß, wann genug ist, wird auch in Kritiken mit schweren, teils übertriebenen Schmäh-Geschossen aufgefahren.
"Lone Ranger" ist wirklich kein wahnsinnig guter Film. Im Grunde ist er überhaupt kein Film, sondern der Versuch einer erneuten, erfolgreichen Franchise-Gründung. Das "Fluch der Karibik"-Wunder soll wiederholt werden und so muss der Film weit ausholen, und die beiden Backstories des Lone Ranger und Tonto erzählen. Bis dann aus dem Staatsanwalt John Reid endlich tatsächlich der maskentragende Reiter geworden ist, sein Pferd einen Namen hat und er sogar das aus der Fernsehserie stammenden "Hi Ho Silver, Away" ausruft, sind fast zweieinhalb Stunden vergangen.
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Ist ein Script Doctor anwesend?
Zweieinhalb Stunden, in denen man die eigene innere Buchhalter-Natur aufweckt und sich fragt, ob man von den kolportierten 215 Millionen Dollar Budget nicht ein bisschen was für einen Script Doctor hätte abzweigen können, oder besser für ein ganzes Script Spital. Ich male mir aus, was Quentin Tarantino wohl aus der Geschichte gemacht hätte. Hätten bloß der Mann mit der Maske und der Mann mit dem toten Vogel auf dem Kopf nur einen einzigen Dialog wie King Schultz und Django gehabt. Ein Dialog, der eventuell einen Hauch Motivation dafür liefert, wieso sich der Komanche überhaupt dem ehemaligen Staatsanwalt anschließt (um den Mörder des Bruders der Justiz übergeben zu können nämlich). Ein Dialog, der versucht ein Band zwischen den beiden Charakteren zu knüpfen. Aber Verbinski will Spektakel statt Story. Wie Christopher Walken in diesem Sketch immer nach noch mehr cowbell verlangt, weiß Verbinski die Action nicht wohldosiert einzusetzen.
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Die Sache mit Tonto
Das Spektakel beginnt da, wo auch "Oz", ein anderer 200 Millionen Dollar Film seinen Anfang nahm: Auf einem Jahrmarkt. Dort, im Jahr 1933, betritt ein kleiner Junge mit Augen so groß wie Suppenteller und in voller "Lone Ranger" Montur ein Zelt, das einen Ausflug in den Wilden Western verspricht. Dort steht als Ausstellungsstück mit dem Begleittext "The Noble Savage" Johnny Depp in vollem Alters-Make-up, das von "Little Big Man" inspiriert wurde. Der alte Tonto löst seine starre Haltung und ebenso starren Blick, bewegt sich und beginnt dem kleinen Jungen die Geschichte von ihm und dem Lone Ranger zu erzählen. Kurz hab ich Hoffnung. Kurz glaube ich, Verbinski versucht sich hier mal auf dem Gebiet der Metapher und so wie Tonto sich im Diorama bewegt und vom Ausstellungsstück zur Figur wird, so könnte doch dieser Film ein Versuch werden, das stereotype Bild der amerikanischen Ureinwohner zu brechen. Neu zu definieren. Immerhin war das auch der Anreiz Johnny Depps die Rolle des Tonto zu übernehmen: "The whole reason I wanted to play Tonto is to try to [mess] around with the stereotype of the American Indian that has been laid out through history or the history of cinema at the very least."
Jack Sparrow mit weißer Schminke
Auf dem Minenfeld der political correctness und beladen mit all der Vorgeschichte der zur Karikatur erstarrten Darstellungen der amerikanischen Ureinwohner in Filmen, die es zu korrigieren galt, wurde aber alles, was Tonto betraf ein Spießrutenlauf, bei dem alles schief ging. Es begann mit Johnny Depps Aussage, dass seine Ur-Großmutter "quite a bit of Native American" sei "Creek or Cherokee". Waren die einen empört, dass er nicht mal genau über seine Vorfahren Bescheid wisse, wollten die anderen quasi einen gerichtlich begutachteten Stammbaum als Beweis. Erneute Empörung gab es, als der erste Still zu "Lone Ranger" veröffentlicht wurde und Johnny Depp als Inspirationsquelle für Make Up und Kopfbedeckung das Porträt eines (weißen) Malers von einem fiktiven amerikanischen Ureinwohner angab. Es folgte der kleine Skandal, um den Designer der "Lone Ranger Fashion Acessoires" namens Gabriel GoodBuffalo, der sich als so gar nicht native american herausstellte. Und schließlich war die Hoffnung, dass Depps Tonto in der Geschichte der Darstellung amerikanischer Ureinwwohner das Ruder herumreißen würde, gestorben.
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Tonto sieht also aus wie Jack Sparrow, der in den KISS-Make-Up-Topf gefallen ist, aber dankenswerterweise agiert er nicht so. Johnny Depp schraubt die Hektik und Überdrehtheit zurück, so weit zurück, dass man auf der Suche nach Vergleichsmöglichkeiten bei Buster Keaton landet. (Und tatsächlich findet sich später im Film eine Szene mit einer Lore, die an Keatons "The General" erinnert). Als Tonto das erste Mal spricht, versinke ich ein bisschen im Erdboden. Zwar redet er nicht von sich in der dritten Person, doch alles andere, das artikel-lose, naive Formulieren, die kurzen Sätze, so weit, so Winnetou.
Winzige Brüche
Die Brüche mit dem Stereotyp, sie sind winzig. Dass Tonto den toten Vogel auf seinem Kopf immer wieder mit zerbröselten Erdnüssen füttert, ist zum Beispiel auf keine alte Legende zurückzuführen, in denen die Worte "ewige Jagdgründe vorkommen", sondern ein Tick, der mit einem Kindheitstrauma zu tun hat. Einmal nimmt Tonto dem Ranger ein Glas Whiskey aus der Hand, trinkt es aus und behauptet das sei eine Art Ehrerweisung nach Art der Komanchen. Alles Schmarrn, natürlich. Tonto ist ein ein bisschen ein Schmähführer. LeAnne Howe, Uni-Professorin und Co-Autorin des Buchs "Seeing Red, Hollywood's Pixeled Skins: American Indians and Film" nennt Depps Tonto einen trickster und erklärt, dass derartige Figuren fixer Bestandteil von Legenden der amerikanischen Ureinwohner sind. Howe ist eine der wenigen, die nicht nur Kritik an "Lone Ranger" äußert.
Allen anderen geht es ein wenig so wie dem im Drehbuch als "Inuit Man" bezeichneten Mann in einer Folge von "Malcolm in the Middle": "You white boys are all the same. I've got dark skin, so I must dance with the bears and listen to the spirits of the wind! I've got news for you, pal: I work for a living! I'm a Baptist and I'm proud of it! Oh, and I have only one word for snow...SNOW!"
Wiederholte Klischees
Die große Verärgerung über Depps Tonto wird verständlicher angesichts der großen Bedeutung und Bekanntheit der "Lone Ranger"-Serie in den USA. Jay Silverheels, ein Mohawk, schlüpfte damals in das weit weniger exzentrische Tonto-Kostüm. Howe erklärt die enorme Wichtigkeit von Silverheels: "For American Indians my age, Silverheels was the only Native actor we would ever see on television. Imagine growing up in America and never seeing a white actor on television — except one. So of course Tonto was a heroic character for us."
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Howe zitiert auch die Aktivistin Vine Deloria, die das Problem auf den Punkt bringt: "Americans love to love Indians that never existed". Wirft man einen Blick auf die Darstellungen der amerikanischen Ureinwohner in der Popkultur, so sieht man, dass sie Recht hat. Nicht nur handelt es sich um festgefahrene Klischees, die es noch dazu so nicht wirklich gegeben hat, taucht eine native american Figur in einem Film auf, so wird ihre Herkunft zum einzigen, was sie definiert.
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Das Verbinski-Problem
Es ist unmöglich mit nur einer Figur und ausgerechnet einem Disney-Blockbuster all die Verfehlungen wieder gut zu machen, "Lone Ranger" hätte sich von bisherigen Darstellungen aber einfach ein bisschen mehr abheben können. Doch auch Johnny Depp greift bereits bei der Beschreibung, was er mit Tonto will, daneben: “I wanted to maybe give some hope to kids on the reservations. They're living without running water and seeing problems with drugs and booze. But I wanted to be able to show these kids, ‘Fuck that! You're still warriors, man.’
Hinzu kommt, dass die Darstellung des Tonto nicht das einzige Problem des "Lone Ranger" ist. Regisseur Gore Verbinski ist ein passabler Choreograph der Opulenz, ein Dirigent von Action, Tempo und Karacho. In fast all seinen aufgeblasenen Spektakeln, vergisst er aber der Geschichte und den Motivationen seiner Figuren Aufmerksamkeit zu schenken. Da wäre Chemie zwischen Armie Hammer und Johnny Depp, wenn man ihnen bloß ein bisschen Platz zu spielen und eine Handvoll guter Dialoge gegeben hätte.
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Hammertime!
Hammer, der Mann mit dem Gesicht wie aus goldenen Studiozeiten, umarmt den Wahnsinn des Films. Zieht Grimassen, spielt übertrieben. Phasenweise entwickelt die altmodische Westernwelt, in der Bösewichte die Herzen ihrer Feinde essen, eine Anziehungskraft. Helena Bonham-Carter hat eine wunderbare kleine Rolle als Freudenhaus-Besitzerin mit einem Elfenbein-Bein. Der Showdown, der auf und in zwei parallel fahrenden Zügen stattfinden strotzt vor guten Ideen, die Darstellung der US Army als Marionette von privatwirtschaftlicher Gier kann man als aktuelle Kritik oder kleine Korrektur am Weltbild von klassischen Western lesen. Ebenfalls schön ist das Bild, wenn eine komplett einbandagierte und derangierte Kapelle mit verbeulten Instrumenten "Stars and Stripes Forver" spielt. Falsch und schief.
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Tonale Schwankungen
Wenn in meinem Notizheft nach einem Film nichts steht, dann war der Film entweder so mitreißend, dass ich auf meine Existenz vergessen hab oder aber, es gab nichts aufzuschreiben. Unter "Lone Ranger" stehen in meinem kleinen Heft nur drei Worte: "Angst vor Katze". Im vielleicht schönsten Moment des Films setzt Tonto sich einen Vogelkäfig auf und äußert diesen Satz. Der Film hätte mehr dieser verschrobenen Momente gebraucht.
Aber die tonalen Schwankungen von Regisseur Gore Verbinski haben für mich noch jeden seiner Filme in sich zusammenbrechen lassen. Auf slaptsickartige Komik folgt ein Massaker an Komanchen mit Maschinenpistolen. Auf gewaltige, epische Bilder von Wüstenlandschaften, in denen sich der Lone Ranger endlich zu seiner Catchphrase ""Hi Ho Silver, Away! "aufrafft, folgt das wahrscheinlich schlimmste, was man in so einem Film machen kann: Ironische Distanz. Never do that again, sagt Tonto und erstickt den wohl einzigen Moment, der an die Vorlage erinnert, im Keim.
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Hollywoods Implosion
Never do that again hoffen auch die amerikanischen Kritiker nachdem sie "Lone Ranger" gesehen haben und man kann den Ratschlag noch mehr ausweiten. Ausgerechnet Steven Spielberg und George Lucas, die beiden Regisseure die mit dem Konzept "Blockbuster" das Ende des New Hollywood eingeläutet haben, sagen eine "Implosion Hollywoods" voraus und kritisieren die millionenschwere Reboot,-Sequel und Franchise-Taktik der amerikanischen Filmbranche. "There's going to be an implosion where three or four or maybe even a half-dozen megabudget movies are going to go crashing into the ground, and that's going to change the paradigm.",so Spielberg hier. "Lone Ranger" ist für Disney ein Verlust von 160 bis 190 Millionen Dollar. "Lone Ranger" Produzent Jerry Bruckheimer klammert sich an den Gedanken, dass "Lone Ranger" in ein paar Jahren eine Re-evaluierung erfährt: I think The Lone Ranger, ten years from now, is going to be seen as something entirely different to the film that some of the critics have labelled it as. Vielleicht wird er ja einer der Filme sein, die die von Spielberg vorausgesagte Veränderung einläuten.