Erstellt am: 9. 8. 2013 - 14:34 Uhr
Der Mann mit der Maske
So weit, so Winnetou: Über das millionenschwere Wrack namens "Lone Ranger", das Problem mit Johnny Depps Darstellung des Komanchen Tonto und wieso Hollywood vielleicht ohnehin bald implodiert. (Pia Reiser)
Kann mir irgendwer die Faszination der „Pirates-Of-The-Caribbean“-Saga erklären? Der Schreiber dieser Zeilen ist nun wirklich kein vehementer Gegner von Popcorn-Spektakeln. Oder jemand, der nur Viennale-Retros über vergessene portugiesische Autorenfilmer besucht. Aber bereits beim ersten Teil der Reihe über die Abenteuer von Jack Sparrow & Co. bin ich an meine Grenzen gestoßen, wie sonst nicht einmal bei richtig ärgerlichen Blockbuster. Und überschritt das grundsätzliche, das fundamentale Tabu im Zusammenhang mit Filmen: Ich habe mittendrin abgedreht.
Auch weitere Versuche, dieses Phänomen im Heimkino zu begreifen, funktionierten nicht. Wahrscheinlich hätte ich mich der ganz großen Leinwand stellen müssen. Aber die Angst stundenlang im Kinosaal gefangen zu sein, eingekerkert in die sedierende Fadesse und Belanglosigkeit dieser Streifen, mit einem getriebenem Blick auf die Uhr, sie war zu immens.
Disney
Nicht gering war daher auch meine Sorge vor der Pressevorführung von „The Lone Ranger“, dem neuen Streich des eingespielten Teams Gore Verbinski, Jerry Bruckheimer und Johnny Depp. Die Befürchtung, dass hier erneut die totale Leere des Eventkinos lauern würde, das gigantisch aufgeblasene Nichts, erfüllte sich jedoch nur teilweise.
Der Film, der sich mitterweile als zentrales Hassobjekt der amerikanischen Kritiker entpuppte und als veritabler Flopp für den Disneykonzern, birgt tatsächlich tolle Momente.
Da blitzt, weit weg von der eiskalten Marketing-Berechnung, manchmal ein infantiler Spirit auf, der an alte Hollywood-Serials und Stummfilm-Slapstick erinnert. An die unbeschwerte Leichtigkeit der „Indiana-Jones“-Streifen. Und, hier wird es persönlich, sogar an die göttliche Naivität der wunderbaren „Winnetou“-Filme von Harald Reinl fühlte ich mich erinnert.
Disney
Einst: Unser Mann in Hollywood
Problematisch empfand ich unter anderem ausgerechnet jenen Darsteller, der eigentlich als cooles Rädchen im Getriebe der Blockbuster-Maschinerie gilt. Johnny Depp, dessen Engagement sich die Produktion von „The Lone Ranger“ überhaupt erst verdankt, hat sich mit der Figur des Tonto wirklich endgültig von jeder ernsthaften Ambition verabschiedet.
Wir spulen etwas zurück und erinnern uns: Es gab eine Zeit, da galt Depp zurecht als einer der mitreißendsten Grenzüberschreiter in Hollywood. Der entfremdete Teenage-Rebell und zurückgezogene Außenseiter, der von einem hübschen Knaben zum bildschönen Mann herangewachsen ist und sich den dysfunktionalen Künstlern des Kinos verpflichtet sieht: Das war der Stoff, aus dem die Leinwandträume sind.
Miramax
Zurecht blieben die Freaks und Geeks aus den popkulturellen Schattenzonen damals ihrem Johnny treu, der auch als Multimillionär sein Geld gut in die Förderung von abgefuckten Malern, radikalen Literaten und herrlich hirnverbrannten Rock’n’Rollern investierte.
Gleichzeitig liebte ihn das Mainstreampublikum, schmunzelte über seine verhuschten Auftritte in Tim-Burton-Werken, kniete vor seiner schüchternen Attraktivität auf dem roten Teppich.
Johnny Depp legte einen Balanceakt hin, der viele Kollegen und Kolleginnen zurecht neidisch werden ließ. Dank „Dead Man“, „Ed Wood“ oder „Fear & Loathing In Las Vegas“ wurde er auch noch als Sympathieträger und lässiger Hund gefeiert, als seine regulären Gagen bereits spektakulär waren und sein Machtfaktor in der Industrie gewaltig. Schließlich folgte auf jeden überzogenen Entertainment-Ausflug ein Film wie „Blow“ oder „Donnie Brasco“, der Depp intimer, verletzlicher und rauer präsentierte.
Disney
Heute: Langweilige Vorhersehbarkeit
Der letzte grandiose Abstecher in ein Kino, das wirklich im schmerzhaften Leben verankert ist und etwas vom Zuschauer fordert, ist Michael Manns digitale Gangster-Geschichte „Public Enemies“, in dem Johnny Depp den legendären John Dillinger verkörpert. Das war 2009. Dazwischen und vor allem danach scheint sich der mittlerweile Fünfzigjährige von ernsthafteren Rollen verabschiedet zu haben.
Den Wendepunkt markiert der Mega-Erfolg von „Pirates Of The Caribbean“ und dessen Nachfolgefilmen. Jack Sparrow, der zugegeben als Idee lustige Freibeuter-Kapitän, katapultierte den ohnehin erfolgreichen Akteur in eine nochmal ganz andere Liga. Als einer der bestbezahlten Superstars auf dem Planeten kann sich Johnny Depp heute jeden Part aussuchen und extra schreiben lassen. Aber wie reagiert er auf diese ungeheure Freiheit? Definitiv nicht mit Rollen, die sein Talent ausschöpfen und eventuell auch seinen Lebensjahren gerecht werden.
Warner Bros
Der untote Barbier in „Swenney Todd“, der verückte Hutmacher in „Alice In Wonderland“, der Obervampir in „Dark Shadows“: Besonders mit seinem Mentor Tim Burton hat sich die einst so fruchtbare Zusammenarbeit in langweilige Vorhersehbarkeit gewandelt. Ein weitere Zusammenarbeit des (Alb-)Traumteams Depp und Burton lässt heute wohl sogar ewige Gruftis ungestört im Sarg weiterschlummern. Und jetzt reitet Tonto über die Leinwand: Bis zur Unkenntlichkeit geschminkt und putzig-schrullig wie immer gibt Johnny Depp den Comic-Indianer an der Seite des „Lone Ranger“.
Ein Blick in die nähere Zukunft sorgt für mehr Achselzucken. Weitere Exkursionen ins Reich von Jack Sparrow und Alice kommen, mehr verschrobene Wunderlinge in seltsamen Kostümierungen stehen an. Mehr Kriegsbemalungen und Kosmetik. Ist das die Saturiertheit eines Mannes, der alles hat und nichts mehr will? Oder, wie ich eher vermute, die Furcht des ewigen Peter Pan, sein Alter in Großaufnahme verbergen zu wollen?
Jedenfalls: Während Brad Pitt, sein Konkurrent in Sachen Erfolg und Schönheit, abseits von Zombie-Epen auf riskante Rollen setzt und nichts verbirgt, versteckt sich Johnny Depp leider. Hinter Schichten von Make-Up, mehr Make-Up und noch mehr Make-Up.
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