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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

27. 7. 2013 - 09:12

Die Sommerplagen

Glühende Hitze, Touristen-Belagerung und die "Rache des Ballermanns". Jammerstimmung in Berlin.

Aus dem Leben der Lo-Fi Boheme

Christiane Rösingers Geschichten aus Berlin. Jeden Samstag auf fm4.orf.at

Es ist heiß in Berlin, furchtbar heiß. Die Schwimmbäder und ca. 400 Seen in und um Berlin sind überbelegt, dabei ist die Stadt gleichzeitig leer und total überfüllt. Die Berliner müssten eigentlich weg sein, man findet Parkplätze en masse, Kaufhäuser, Märkte und Kinos sind leer. Voll sind die Cafés und Parks, natürlich voll von Touristen. Aber selbst die sind in der Hitze irgendwie zahmer, als hätten sie genug mit den Temperaturen zu schaffen und nicht mehr soviel Kraft, unangenehm aufzufallen.

Andererseits ist man als Einheimischer von der Hitze auch weichgekocht und milde gestimmt. Was soll man sich immer aufregen? Sollen sie in Kreuzberg und Neukölln halt die Straßen bevölkern und interessant vor den Cafés rumposen und überlaut im unschönsten Awesome-Amerikanisch ihre langweiligen Erfahrungen und Projekte herum posaunen. Sollen sie halt mit ihren geführten "Bike-Tours" die Straßen blockieren und die Häuser angaffen, sollen sie halt nachmittags schon in Scharen mit den Bierflaschen in der Hand grölend durch die Straßen ziehen - man kann eh nix dran ändern. Seien wir gelassen, nehmen wir das Lärmen der spanischen Hostel- und Ausgehhorden demütig als "Rache des Ballermanns" hin.

Es ist ja auch uncool und wird zunehmend geächtet, sich über Touristen zu beschweren. Denn es stimmt ja, wir Berliner verreisen auch gerne in andere Städte und sind dann Touristen. Viele Langzeit-Berliner haben hier auch mal als Touristen angefangen. Und man darf sich ja auch nicht die eigene Stadt vermiesen lassen.

Ist die Gegend ums Schlesische Tor verloren und okkupiert, sind die letzten Türken aus der Wrangelstraße vertrieben, gibt es keine Bäckereien, Gemüse- und Buchläden mehr, weil eine reine Imbiss-Monokultur entstanden ist, dann können wir uns zum Ausgehen neue Ecken suchen, die noch keiner kennt. Nur wohnen wird schwierig, denn umziehen kann sich keiner mehr leisten. Aber das Jammern lassen wir uns nicht nehmen, denn dass der Tourismus unsere Stadt so ganz zum Erlebnispark vulgarisiert, müssen wir zwar hinnehmen, aber es nicht auch noch gut finden.

Koffer, Cover des Buchs "Die elfte Plage" von Peter Laudenbach

Tiamat Verlag

Zum Thema Berlin und Tourismus ist vor einigen Monaten im Berliner Tiamat Verlag das Buch "Die elfte Plage" von Peter Laudenbach erschienen, ein höchst unterhaltsames Pamphlet gegen die Berlintouristen. Darin beschreibt der Autor, was die Bewohner der attraktiven Innenstadtbezirke längst kennen: Das was passiert, wenn in einer armen Stadt Tourismus der einzig ernstzunehmende Wirtschaftsfaktor ist und die Subkultur zum "weichen Standortfaktor" wird. Die Stadt wird zur Kulisse und das Leben in ihr zur Inszenierung. Läden und Kneipen sind vielerorts nur noch "Boheme-Viertel-Signale". Umgeben von Ablegern von Konzernen und Modeketten sind die übrig gebliebenen Szene-Lokale nur noch urbane "Authentizitäts-Lieferanten".

Das Problem sind ja nicht die Städtetouristen, die das Brandenburger Tor, den Reichstag, Checkpoint Charly und das Jüdische Museum sehen wollen. Es sind eher die, die vom Mythos Kreuzberg, von Klein-Istanbul gehört haben und in die kleinen Kreuzberger Kieze kommen. Es entsteht ein Paradoxon: Die Menschen kommen her, um dieses Alte, Widerständige, Schrille der Straßen kennen zu lernen, aber dieser Charme wird bald durch den Kommerz überlagert. Denn in den Straßen öffnen immer mehr Läden, die sich nach den Bedürfnissen der Besucher richten und nicht nach den Anwohnern. In der Folge einer solchen Kommerzialisierung kommen nach einem ersten Pionierschritt, die Fressmeile, dann gewöhnlich die Hostels und die Backpacker, der Todesstoß für Straßen.

Im Kapitel "Heitere Aussichten: Berlin 2022" wagt der Autor einen Blick in die Zukunft. 2022 sind Teile der Berliner Innenstadt als "Touristische Zone" ausgewiesen, dort patrouilliert neben der Polizei auch der Wachdienst des Tourismusverbandes. Verboten sind in diesen Zonen: Straßenhandel, Betteln, Demonstrationen, Prostitution, Skateboards und schnelles Fahrradfahren (könnte die Golden-Age-Touristen erschrecken).

Besonders beliebt beim zahlungskräftigen Publikum der Generation 50 plus sind die "Love-Parade-Techno-Retro-Wochen". Sie finden im Sommer und Herbst in einem fest installierten Feierareal im ehemaligen Tiergarten, heute "Google-Party-Zone" statt.

Weiter schreibt Laudenbach: "Weil zahlreiche kleinere Clubs infolge hoher Mieten im Lauf der Zehner Jahre aufgeben mussten, Clubbesuche als touristisches Angebot aber weiter stark nachgefragt sind, hat "Visit Berlin" eine Reihe nostalgischer Clubmodelle mit starkem Retro-Appeal ("Modell Illegaler Club Neukölln 2004", "Modell Techno-Großraum Stil 1996", "Rock'n Roll Club Stil White Trash 2005", "Freak Out Party Club Stil Bar 25" etc.) als Franchise-Kette entwickelt".

Graffitti: No More Rollkoffer

Christiane Rösinger

Dass es nicht ganz so arg wie hier beschrieben kommen möge, dafür könnte auch die Politik sorgen. Der Kreuzberger Bürgermeister Franz Schulz hat in den letzten Jahren immerhin das Verbot von weiteren Kneipen in Szenekiezen, von Luxussanierungen und Zweckentfremdung von Wohnraum als Ferienwohnungen in sogenannten Milieuschutzgebieten durchsetzen können.

Außerdem rettete er das Jugendprojekt Yaam, sicherte den Erhalt des Kreuzberger Prinzessinnengartens, ließ Flüchtlinge am Oranienplatz campieren und setzte gegen die Interessen der Investoren einen Park an der Spree durch. Am 1. August legt Franz Schulz nun aber aus gesundheitlichen Gründen sein Amt nieder und ob seine Nachfolgerin genauso zäh ihren Bezirk gegen die fortschreitende Touristifizierung verteidigt, bleibt abzuwarten.