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Tim R. Zazzara

Der Wortlaut-Gewinner 2012 berichtet vom Wettlesen in Klagenfurt.

6. 7. 2013 - 12:15

Wer wird's?

Spekulationen über den Gewinner oder die Gewinnerin des Bachmannpreises. Nichts ist verführerischer.

Tim Zazzara

Radio FM4/Alex Wagner

Tim R. Zazzara hat 2012 den FM4 Kurzgeschichten-Wettbewerb Wortlaut gewonnen. Er liest im Rahmenprogramm zum Ingeborg-Bachmann-Preis aus seiner Kurzgeschichte "Milch".

Eigentlich bringt es ja nichts, über Gewinner zu spekulieren, wenn wir am Sonntag sowieso schon die Auflösung erfahren. Warum es dann trotzdem tun? Weil es Spaß macht!

Also dann: Als klare Favoritin gilt spätestens nach ihrer Lesung Katja Petrowskaja. Die Jury liebt die Geschichte über eine fiktive oder nicht-fiktive jüdische Großmutter. Nur Jandl hat einige Zweifel. Was ist Petrowskajas Text? Nun, vordergründig eine Erzählung über die Vorfahren der Erzählerin. Durch teils bruchstückhafte, teils falsche oder womöglich falsche Erinnerungen ist aber nie ganz klar, was von dem Geschilderten real ist und was Fiktion.

Die Erzählerin versucht den Tod ihrer Großmutter aufzuschieben, nicht von ihm zu erzählen, indem sie den Weg, den die Großmutter zu dem Ort geht, an dem sie erschossen werden wird, länger und länger macht, indem sie sich in mäandernde, rekursive Schleifen hineinbegibt. Achilles, der die Schildkröte nie erreicht, kommt in dem Text dementsprechend auch vor. (Nicht mit Hase und Igel zu verwechseln.)

Katja Petrowskaja

Tim R. Zazzara

Katja Petrowskaja

Die Auseinandersetzung mit der Deportation von Juden im Zweiten Weltkrieg sei ein schweres und ausgetretenes Thema, das die Autorin gelungen mit Leichtigkeit erzähle und mit poetologischen Fragen kombiniere, so die Jury.

Zé do Rocks Beitrag sorgte am Freitag für die meisten Lacher. Ein Text in einem bunt gemischten Kreol, einem mit brasilianischen und dialektalen Ausdrücken versetzten Kunstdeutsch mit höchst eigenwilliger, schillernder Orthographie. Der Text ist auf Papier ein bisschen anstrengend zu lesen, eben weil "wi" statt "wie" geschrieben wird, aber im Vortrag stört das überhaupt nicht.

Im Text bekommt man höchst witzige Anekdoten zu hören, hier und da eingestreut bissige Seitenhiebe auf Religion und Nichtraucherwahn. Sie haben etwas für den "Fetzigkeitsfaktor" der Sendung getan, meint Keller. Winkels erkennt eine Einheit von Sprache und Inhalt, beide hätten sich dem Synkretismus verschrieben. Strigl meint, dass der Text einen dazu bringe, über grauenhafte Dinge zu lachen (z.B. über die Beschreibung eines erst zwölfjährigen Mörders), was eine hohe Kunst sei. Sehr lobend wird Steiner, der hier den Grundkonflikt zwischen Chaos und Ordnung verarbeitet sieht. Der Text zeige eine Welt, in der das Chaos immer stärker sei als die Ordnung. Winkels und Jandl holen Steiner zurück auf den Boden: Nein, es gebe sehr wohl ein Ordnungsprinzip, nämlich die klassische Anekdotensammlung. Letzten Endes spiele der Text nur mit klassischen Klischees (über Länder, Geschlechter etc.). Jandl: "Man soll Texte nicht hochinterpretieren." Wohl auch wahr.

Menschen in einer Lesepause

Tim R. Zazzara

Zwischen und nach den Lesungen vor dem ORF-Landesstudio in Klagenfurt

Cordula Simons Text über ein Mädchen, das davon träumt, ihrem Heimatort samt Mutter, Großmutter und Urgroßmutter zu entkommen, ruft ein gemischtes Urteil hervor. Die Fabulierlust wird gelobt und die in der Geschichte beschworene Welt, in der alles "magisch und böse ist". Spinnen outet sich als Tatortgucker und meint, dass ihn das alles zu sehr an Dorfklischees aus Landkrimis erinnere. Keller nimmt der Erzählerin den Fluchtwunsch nicht wirklich ab, dafür sei der Duktus zu sehr ein "träger Märchenton". Eben das ist ja das Unheimliche, widerspricht Strigl: dass die Energie zum Ausbruch fehlt. Man wird sich nicht eins.

Bachmannpreis 2013
Bis 7. Juli finden in Klagenfurt die Tage der deutschsprachigen Literatur statt. Eine Reihe Veranstaltungen und Lesungen werden online und auf 3sat übertragen, fünf Preise werden vergeben, darunter der renommierte Namensstifter.

Die Geschichte von Philipp Schönthaler um einen Querflötisten, der sich schamlos vermarktet, lässt mich ratlos zurück. Strigl meint, dass es hier um einen Mann geht, der im "Spalt zwischen Kunst und Kommerz zu verschwinden droht". Ja ... schon ... klar. Aber der Protagonist steht schon so eindeutig auf der Seite des Kommerz, dass der Text wieder uninteressant für mich wird.

Seitenweise werden die technischen Details der Vorrichtung beschrieben, die ihn vor Publikum zum Schweben bringt (so wie David Copperfield), damit er die Menschen von oben beschallen kann. Ich sehe darin eine Kapitalismuskritik, eine Satire auf die vollkommene Vermarktung der Kunst, bin mir aber nicht sicher, ob ich was übersehe. Feßmann jedenfalls teilt meine Ratlosigkeit, sie weiß nicht, "was der Text mir mitteilt".

Vielleicht gehen diese Tage der deutschsprachigen Literatur in die Geschichte ein, weil die Beteiligung der Autoren ins Jurygespräch eingeführt wurde. Viele empfanden es ja immer schon als ein wenig merkwürdig, dass der Schriftsteller schweigend da sitzen und alles über sich ergehen lassen muss. Aber dieses Jahr! Erst gestern Meyerhoff, der nach seinem Text noch ein Statement abgab. Heute will Keller aus eigenem Antrieb den Autoren fragen, wie er den Schluss eigentlich genau meint. Fällt der Flötist hinab und stirbt, oder nicht? Philipp Schönthaler lächelt auf die Frage ein wenig irritiert, aber höflich, schweigt. Schnell springen Feßmann und Winkels ein und unterbinden die Rückfragerei. Schade. Hätte eine neue Tradition werden können.

Kommen wir als letztes zu Heinz Helle, meinem persönlichen Favoriten des Tages. Über Paare bei denen es nicht klappt, wurde ja viel geschrieben. Aber bei Helle ist vieles neu, nicht zuletzt in der minimalistischen Sprache, die sich deutlich von allen anderen bisher hier gehörten Stilen abhebt. Eine Geschichte über das "Gelebt-Werden", über "Lieblosigkeit", wie Spinnen prägend formuliert, über einen Mann, der sich zu nichts bekennen, für nichts begeistern kann, außer vielleicht für die Deutsche Fußballnationalmannschaft. Eiskalt, steril, der Text geht unter die Haut. Zumindest unter meine. Die Jury findet den Beitrag mit einigen Abstrichen auch sehr gut und verpasst Helle die wohl zweitbeste Bewertung nach Petrowskaja am heutigen Tag.

Gegen Ende der Veranstaltung wird Spinnen unvorsichtig und kürt Petrowskaja schon fast zur nächsten Siegerin, als er in Anspielung auf die letztjährige Gewinnerin fragt, ob jetzt wieder verstärkt ein Ost-Element in die deutsche Literatur kommt. Grusel! Jetzt wird Frau Petrowskaja, ob sie es will oder nicht, ständig mit der Vorjahresgewinnerin verglichen werden. Mal ganz davon abgesehen, dass am Samstag noch gelesen wird.

Nach der Veranstaltung frage ich im Garten vor dem ORF-Studio noch Leute nach ihrer Meinung. Viele sind mit der Jury einer Meinung. Frau Niemann vom Münchner Goethe-Institut ist schon zum fünften Mal als Zuschauerin in Klagenfurt. Sie meint, dass sie immer wieder komme, weil sie die Jurorengespräche bei keiner anderen deutschsprachigen Literaturveranstaltung so interessant und fundiert finde. Eine andere Dame meint, dass sie hier sei, um die Stimmen der Autoren zu hören, denn niemand lese einen Text wie der Autor selbst.

Nach der Veranstaltung kehre ich zurück ins Hotel und habe gar nicht mehr so viel Zeit, bis meine eigene Lesung beginnt. Ich lese im Café des Hotel Moser Verdino, zusammen mit der Klagenfurter Stadtschreiberin und Publikumspreisträgerin von 2012 Cornelia Travnicek. Als ich auch das hinter mich gebracht habe, bin ich müde.