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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

29. 6. 2013 - 15:16

Goodbye Lissabon

Bereits vorm Verlassen bekomme ich Heimweh nach dieser seltsamen Stadt. Und Zweifel, ob ich die Zeit hier richtig genutzt habe.

Aus dem Leben der Lo-Fi Boheme

Christiane Rösingers Erlebnisse aus Lissabon

In der achten und letzten Woche in Lissabon ist es endlich Sommer geworden. Das Wetter war vorher ungewöhnlich kühl und wechselhaft für Juni gewesen - einen Skandal nannten es die Einheimischen.

Aber jetzt brennt die Sonne, zwischen 36 und 38 Grad liegen die Temperaturen und nun versteht man die Sätze über die glühend heißen Tage in Lissabon von Tabucci und anderen Stadtbeschreibern. Lissabon ist zwar eine Großstadt von Stränden umzingelt, aber der Weg dorthin mit Bus, S-Bahn und Fähre ist bei 38 Grad für einen hitzeempfindlichen Mitteleuropäer, einen Nordländer wie uns die Portugiesen nennen, doch arg anstrengend. Und endlich angekommen kann man sich im wilden Atlantik bei 15 Grad Wassertemperatur auch nicht alle paar Minuten abkühlen, sondern man braucht ein bisschen länger, bis man drin ist.

Lissabon von oben

Christiane Rösinger

Nun sind die Zeit des Lissabon-Stipendiums fast vorbei und über den letzten Tagen schwebt die Frage: Was haben diese zwei Monate gebracht?

Vielleicht zuerst einmal die banale Erkentnntis, dass man nicht neidisch sein braucht auf Schriftsteller, die ständig mit irgendwelchen Stipendien in der Weltgeschichte herumreisen. Schreiben kann man doch am Besten zu Hause und zwei Monate alleine in einer fremden Stadt, unter Menschen, die nicht sehr kontaktfreudig sind und eine fremde Sprache sprechen - das war manchmal schwierig und ein anstrengendes Sozialexperiment mit mir selbst.

Denn trotz der unbestreitbaren Vorzüge der Einsamkeit für das Schreiben und die Persönlichkeitsentwicklung - ein halbwegs geselliger Mensch braucht ab und zu doch ein bisschen Ansprache und Austausch.

Nach drei Wochen ein- bis dreisilbiger Unterhaltung mit Verkäufern und Bedienungen, (obrigada, uma galao per favor) sehnt sich der Mensch nach einem Gegenüber. So wurde, obwohl ich doch die Freuden der Einsamkeit bislang durchaus schätzte, das Alleinesein schwieriger als gedacht.

Gasse in Lissabon

Christiane Rösinger

Zuerst war es herrlich gewesen, allein in Cafés zu sitzen und zu lesen, alleine spazieren zu gehen, denn gehen kann man ja eigentlich nur mit ganz wenigen Menschen - am Besten geht man eigentlich allein. Niemanden musste ich zu Unternehmungen überreden, sondern konnte einfach losgehen und rasten wann immer ich wollte. Aber zunehmend spürte ich das Unbehagen, dass ich den Anderen durch mein Alleine-Sein bereitete. Ein einzelner Mensch, eine einzelne Frau ist in diesem Stadtkosmos nicht vorgesehen.

Vielleicht weil die Familie und das (heterosexuelle) Pärchentum hier besonders hoch gehalten werden? Schließlich ist der Heilige Antonius Stadtheiliger und wird samt dem heiligen Basilikumtopf zwecks Partnervermittlung angerufen und verehrt.

In Berlin wird die allein irgendwo sitzende, lesende oder vor sich hin sinnierende Frau mittleren Alters im günstigen Falle für eine interessante Person gehalten, die sich selbst genug ist. In Lissabon ist sie ein suspektes, bemitleidenswertes Geschöpf.

Katze schaut aus dem Fenster in Lissabon

Christiane Rösinger

Nur an den Touristenplätzen und im Yuppie-Viertel Principe Real kann man hie und da eine Frau alleine, Postkarten schreibend, über einen Reiseführer gebeugt oder auf einen aufgeklappten Bildschirm starren sehen. Männer sitzen nie alleine, Männer reisen wohl nicht alleine nach Lissabon.

Das Unbehagen am Unbehagen der Anderen ging so weit, dass ich, als dann viel Besuch kam und ich Freunden die Orte zeigte, an denen ich vorher so oft alleine gesessen hatte, ein ganz neues, trotzig-triumphierendes Gefühl in mir aufstieg: Schaut her! Ich bin's! Umringt von Menschen! Ich hab nämlich durchaus Freunde, ich bin nicht immer allein!

Jetzt muss schon jeden Tag Abschied genommen werden. Zum letzten Mal in dem Café am Principe Real sitzen, zum letzten Mal vom Miradour auf die Stadt schauen - soll ich noch ein letztes Mal mit der Electrico in die Altstadt fahren und mich ein bisschen verirren? Habe ich die zwei Monate wirklich genutzt, hab ich genug gesehen?

Straßenbahn in Lissabon

Christiane Rösinger

Eigentlich habe ich mir nichts vorzuwerfen:
Ich bin auf fast jeden der zwanzig Hügel gestiegen, war an sämtlichen Miradouros (berühmte Aussichtspunkte), bin mit den vier historischen Elevadores, mit der Electrico 28 und 15, mit S-Bahn, Bus, Metro, Zug und zwei Fähren über den Tejo gefahren, war an vier verschiedenen Stränden, an alten Hafenanlagen, auf mehreren Stadtfesten, in Vororten, in Kirchen, auf einem Friedhof, im Kino, im Museum im Konzert. Ich war unzählige Male was essen und trinken , habe die berühmtesten Pastelerias besucht, habe Bacalhau auf fünf verschiedene Arten gegessen, war in Clubs und auf Flohmärkten, in Bibliotheken, in Kleidergeschäften und Devotionalienhandlungen und hatte trotzdem sehr viel Zeit zum Lesen und Schreiben und planlosen Denken.

Und trotzdem war mir zeitweise das helle, schöne Lissabon auf die Nerven gegangen, so dass ich mein altes, graues Berlin aus der Ferne plötzlich sehr zu schätzen wusste.

Lissabon ist langsam, dabei aber unglaublich laut und anstrengend, unbequem, ungemütlich und nicht romantisch aber jetzt, kurz - vor dem Abflug - weiß ich schon, dass mir der immer heitere Himmel und das fast zu helle Licht fehlen wird und vor dem endgültigen Abschied kommt schon das Heimweh nach dieser seltsamen Stadt Lissabon.