Erstellt am: 26. 6. 2013 - 18:24 Uhr
Grandmasters of the Universe
Es gibt Filme, die kann ich nicht nacherzählen. Immer wenn das Gespräch auf In the Mood for Love kommt und jemand nicht weiß, worum es in Wong Kar-wais bekanntestem, aber vermutlich nicht bestem Film geht, rollt nur ein "Musst du selbst sehen..." aus meinem Mund. Das ist vielleicht das schönste Kompliment, das man einem Film machen kann, dass er nämlich zu seiner eigenen Form gefunden hat, einen derart eng verzahnten Wulst an Farben, Bildern, Stimmungen und Erzählfragmenten produziert, dass man ihm mit einem Durchschnitts-Vokabularium nicht gerecht werden kann.
Weitere Filmrezensionen
Das liegt eventuell auch daran, dass Wong, einer der profiliertesten Filmemacher aus der so genannten Zweiten Welle des modernen Hong Kong-Kinos konventionelle Zeit- und Raumkonzepte aus seinen Arbeiten radiert und an derer statt, im besten Fall, eine emotionale Verortung stellt. Vieles an seinen perfekt durchkomponierten Filmen erscheint somnambul, als wäre man in eine Welt gestiegen, die sich vollkommen selbstverständlich unwirklich organisiert.
Wong im Wahn
Schon einmal hat Wong versucht, seinen mit der Zeit immer unverwechselbarer gewordenen Stil mit dem chinesischen Traditions-Genre des Martial Arts-Films zu vermählen - und ist, zumindest gemessen am ambitionierten Ansatz, gescheitert. "Ashes of Time" (1994) ist eine elliptische Abhandlung zum klassischen Wuxia geworden, ein bildgewaltiges Irrsinnswerk, das letztendlich aber mehr als Konzept denn als filmisches Erlebnis funktioniert.
Splendid Film
Wong ist ein Regisseur, dessen Immersion in seine eigenen Werke fast wahnhafte Züge annimmt. Legendär etwa die Anekdote, wie sein Science-Fiction-Melodram 2046 erst wenige Minuten vor der Weltpremiere bei den Filmfestspielen in Cannes fertig wurde, da er bis zum Schluss am Schnitt gearbeitet hat. Das liegt daran, dass sich das Kino von Wong Kar-wai einer inneren emotionalen Logik verschrieben hat, die dann auch nicht so zwingend ist, als wie wenn Handlung A auf Handlung B folgt.
Insofern ist The Grandmaster, jedenfalls oberflächlich betrachtet, ein Ausnahmefall im Kino von Wong Kar-wai. Das liegt zum einen daran, dass ihm durch die Biografie der Hauptfigur Ip Man eine Chronologie der Ereignisse vorgegeben ist. Zum anderen setzt er mit den spektakulären Kampfsequenzen noch einmal so etwas wie Bremsklötze zwischen die einzelnen Handlungssegmente, die den Film recht streng strukturieren.
Thimfilm
Legendenmaterial
Ip Man, 1893 in Foshan, einer mittelgroßen Stadt in der chinesischen Provinz Guangdong geboren, ist einer der legendärsten Kampfkünstler des 20. Jahrhunderts. Als Jugendlicher beginnt er die Technik des Wing Chun zu erlernen und trägt später, nicht zuletzt aufgrund der von ihm gegründeten Schulen, dazu bei, dass die Kampfkunst dem Elitentum enthoben und popularisiert wird. Vor allem wird Ip Man aber dafür erinnert, dass er der Mentor des jungen Bruce Lee war, seines Zeichens vermutlich derjenige, der die Martial Arts letztgültig ins kulturelle Bewusstsein der westlichen Welt eingebracht hat.
The Grandmaster spannt einen breiten Bogen und versucht, das Leben von Ip Man (Tony Leung Chiu-wai) so vollinhaltlich wie möglich zu erzählen. Ein Schwerpunkt liegt darauf, wie die Kampfkunstschulen des Südens von einem Meister aus dem Norden, Gong Yutian (Wang Quinxiang), herausgefordert werden. Ip Man wird auserwählt den Süden zu vertreten und kämpft gegen drei Martial Artists aus dem Norden, bevor er Gong Yutian gegenüber steht.
Thimfilm
Programmatisch für Wongs ganzheitliches Verständnis von Kampfkunst, beschließen die beiden Meister bei dieser Konfrontation allerdings einen philosophischen Schlagabtausch, aus dem Ip Man als Sieger hervor geht - sehr zum Ärger von Gongs Tochter Gong Er (Zhang Ziyi), die, vor allem nachdem ihr Vater später auch noch hintergangen wird, ihr Leben dem Wiederherstellen der Familienehre widmet. Das schließt gleichzeitig aus, dass sie Ip Man näher kennen lernt. Und schon sind wir wieder im klassischen Wong-Terrain angekommen, nämlich der unmöglichen und/oder unerfüllten Liebe, die sich durch Zeit und Raum fortsetzt.
Thimfilm
Kein Hauch von Zen
Über die Verbindung zwischen der Peking-Oper und dem Genre des Wuxia, des Martial Arts-Films, habe ich schon mal geschrieben.
Über Gemeinplätze kommt Wong in The Grandmaster dabei leider nicht hinaus. Es ist enttäuschend, wie wenig die ambitioniert choreografierten und (zu) stilisierten Kampf-Sequenzen mit den anderen Momenten des Films kommunizieren. Unweigerlich denkt man dabei an die Meisterschaft etwa vom diese Woche verstorbenen Lau Kar Leung, vor allem aber an die von King Hu: in dessen Zentralwerk A Touch of Zen werden Philosophie und Spiritualität als Essenzen der Kampfkunst markiert, ohne dass das in langen Gesprächen hätte münden müssen.
Jede Bewegung erscheint bei Hu als Ausdrucksform des Charakters, als eine alternative Form von Kommunikation. Die Kämpfe selbst sind Fortführungen und Zuspitzungen von Konflikten, die sich davor in anderen Sequenzen abgezeichnet haben: der Übergang findet bruchlos statt und wirkt organisch. In "The Grandmaster" ist der Wechsel zwischen den somnambulen "Drama"-Momenten und den hyperkinetischen Kämpfen hingegen ein so drastischer, dass man manchmal meint in zwei (oder sogar mehreren) verschiedenen Filmen gleichzeitig zu sitzen.
Total Film
Ip Man war in den vergangenen fünf Jahren einer der Zentralcharaktere des Hong Kong-chinesischen Kinos. Wilson Yip lieferte mit Ip Man und Ip Man 2 zwei lose an der tatsächlichen Biografie orientierte Kampfkunst-Spektakel, während Herman Yau in The Legend is born: Ip Man und Ip Man - The Final Fight die jeweils ersten und letzten Lebenskapitel des ikonischen Mannes erzählt. Interessierten ist jedenfalls zu empfehlen, diese weitaus konventionelleren Arbeiten als Komplementärstücke zu Wong Kar-wais The Grandmaster zu sehen - und auch anzusehen.