Erstellt am: 28. 6. 2012 - 18:18 Uhr
Und immer, immer wieder geht die Sonne auf
In der westlichen Welt wird China vor allem als Problem wahrgenommen. Dort werden Menschenrechte nicht respektiert, dort wachsen Städte unkontrolliert, dort ist die Luft verschmutzt wie sonst kaum wo. Die unfassbar reiche Kulturgeschichte des Landes spielt in dieser vereinfachten Wahrnehmung kaum mehr eine Rolle.
Umso besser, dass das Wiener Burgtheater seine aktuelle Saison mit einem besonderen Ereignis beschließt: vom morgigen Freitag bis Montag sind auf der berühmtesten Bühne Österreichs Pekingopern zu sehen – vorgetragen von einer der renommiertesten Theatertruppen Chinas.
http://www.ebeijing.gov.cn/Elementals/performancecalendar/t1147275.htm
Zugegeben, ein wenig muss man sich schon gewöhnen an all das „Bong Bong“ und „Boi Boi“ in der Peking-Oper. Es sind Rhythmen, die in der darstellenden Kunst der westlichen Welt kaum eine Rolle spielen. In China geben sie aber den Beat vor, den Takt, nach dem sich die Geschichte bewegt. Entstanden ist die Peking-Oper im 18. Jahrhundert, verwirrender Weise allerdings nicht in Peking, sondern in den Provinzen Anhui und Hubei.
Nachdem einige Künstler an den kaiserlichen Hof eingeladen worden sind, um dort zu spielen, wuchs die Peking-Oper in Ansehen und Popularität. Sie gilt selbst heute noch als ursprünglicher Ausdruck des alten China. Das merken auch westliche BesucherInnen bei ihrem ersten Direktkontakt mit einem der knapp 1500 Repertoire-Stücke. Statt pompösen Kulissen und Requisiten stehen auf der Bühne maximal Tisch und Sessel: Reduktion meint Schönheit in der Peking-Oper.
http://www.ebeijing.gov.cn/Culture/FeelBJ/t1029130.htm
Jede Geste, jede Bewegung, jeder Augenaufschlag ist mit Bedeutung aufgeladen. Naturalismus und Realismus kennt die Peking-Oper nicht, alles ruht auf dem Schauspiel. Jede Rolle wird dabei einem fest gelegten Typus zugeordnet: die in der Kriegskunst bewanderte Frau etwa, oder der junge Mann. Frauenrollen werden übrigens ebenfalls von Männern gespielt. Ausgebildet werden die Darsteller in eigenen Peking Oper-Schulen. Dort lernen sie alles, was ihren Rollen-Typus ausmacht. Tanz, Schauspiel, Gesang, Akrobatik.
Gerade weil in der Peking-Oper traditionell auch gekämpft wird, kommt ihr in der Filmgeschichte eine große Bedeutung zu. Meisterregisseur King Hu etwa modernisiert in den späten Sechziger-Jahren mit Filmen wie „Die Herberge zum Drachentor“ und „Ein Hauch von Zen“ das von der Peking-Oper abgeleitete Kampfkunstkino; und macht es zum Martial Arts-Kino, das man noch heute kennt und verehrt.
Jackie Chan ist nur der bekannteste Hong Kong-Superstar, der in eine Peking Oper-Schule gegangen ist. Große Regisseure wie Chen Kaige und Tsui Hark weisen die Peking Oper nicht nur als großen Einfluss auf ihre Kunst aus, sondern drehen auch Filme über sie.
Filmmuseum
Trotz all dem erholt sich die Kunstform von Mao Tse-Tungs Kulturrevolution nicht mehr. Zwischen 1966 und 1976 werden die Darsteller in Arbeitslager geschickt, die Stücke als „bourgeois“ verunglimpft, verboten und durch proletarische Modell-Opern ersetzt. Die lange Tradition der Peking-Oper wird unterbrochen, bis heute kämpft sie in China um ein junges Publikum, das mit ihr nichts mehr verbindet.
Das ist mit ein Grund, weshalb sich aktuelle Produktionen wie die am Burgtheater zu sehende Peking Oper „Red Cliff“ ungeniert modernisieren: Kalkulierter Kitsch und aufwendige Bühnenbilder buhlen um Pop-geeichte Teenager. Aber keine Angst: das „Bong Bong“ und „Boi Boi“, das gibt’s immer noch.