Erstellt am: 11. 6. 2013 - 17:59 Uhr
Vom Einzelkämpfertum zur Alltagstauglichkeit
Cycling Egypt: Wer früher in Ägypten aufs Fahrrad stieg war entweder Dienstbote oder einfach verrückt - heute fahren junge Leute auf der Straße. Sie nenen sich Cycle Egypt. Ihr Motto: Reclaim the Street.
"I'm really not an aggressive driver, but on my bike, I'm an animal". Dieser Spruch prangte auf dem T-Shirt meines ehemaligen Klassenvorstandes, einem ehrgeizigen Ausdauersportler. Aus ideologischen Gründen hatte er kein Auto, als einer der wenigen in der Provinzstadt, und ist immer mit dem Rad in die Schule gefahren.
Animalisch am Rad
Wenn ich von A nach B kommen will, lasse ich die Ideologie meist draußen, sondern agiere rational. Ich lege fast alle meine Wege in der Stadt mit dem Rad zurück, weil ich damit am schnellsten und am billigsten am Ziel ankomme. Doch auch bei völlig pragmatischer Radnutzung kommt bei mir das Animalische zum Tragen, wenn ich in den Sattel steige: Ich bin voll konzentriert, mein Adrenalinspiegel steigt und ich bin jederzeit bereit zur Konfrontation.
Diese Haltung entspricht eigentlich gar nicht meinem Naturell, und sobald ich mein Rad abgesperrt habe, kehre ich auch schnell zu meinem ausgeglichenen Normalzustand zurück. Meine Heißblütigkeit erkläre ich mir am ehesten aus der Verteidigungsposition, in die man als Radfahrer in der Stadt gedrückt wird.
Radio FM4 / Simon Welebil
Gefahr von allen Seiten
Auf der Straße sind RadlerInnen die schwächsten VerkehrsteilnehmerInnen (Gehsteige sollte man meiden) und werden vor allem von Autos bedroht. Ob AutofahrerInnen nun zu knapp überholen, beim Abbiegen den Radweg übersehen oder beim Aussteigen Türen aufmachen, ohne nach hinten zu sehen, all dies und noch vieles mehr kann schwere Stürze mit sich ziehen. Aufgrund der fehlenden Knautschzone des menschlichen Körpers können sich die sehr böse auswirken, wie vor Kurzem selber erleben musste.
Selbstbewusste, adrenalingesteuerte Einzelkämpfer-Naturen können mit Stürzen und der Bedrohung durch größere und schwerere Verkehrsteilnehmer vielleicht noch umgehen, um Radfahren in der Stadt für eine breitere Gruppe vorstellbar zu machen, muss sich aber einiges in der Stadt ändern, von großzügigen Radwegen und Ampelschaltungen bis hin zu niedrigeren Geschwindigkeitsbegrenzungen. RadfahrerInnen müssen einen ordentlichen Weg vorfinden und keinen Parcours voller Hindernisse.
Radfahren für alle
Radfahren ist politisch gewollt, quer durch alle Parteien, wenn auch nicht in der selben Intensität. Die Vorteile des Radfahrens, nicht nur für Einzelpersonen sondern für die Gesellschaft, liegen auf der Hand: Räder produzieren keine Abgase, nehmen weniger Abstellplatz in Anspruch, entlasten den öffentlichen Verkehr und verhelfen Menschen zur Bewegung, wodurch sich Krankenkassen Geld sparen etc.
Die Stadt Wien hat das Jahr 2013 zum "Fahrradjahr" ausgerufen, dessen Höhepunkt diese Woche stattfindet, die Fahrradfachkonferenz Velo-City. ExpertInnen aus der ganzen Welt sind eingeladen, um in Workshops, Vorträgen und Podiumsdiskussionen Lösungen für urbanes Radeln zu erarbeiten und zu präsentieren.
Probleme auf der Straße und in den Köpfen
Dabei geht es nicht nur um die Verbesserung der Infrastruktur für RadfahrerInnen, sondern auch darum, das Rad als Verkehrsmittel stärker in den Köpfen der StadtbewohnerInnen zu verankern, ihnen das Radfahren schmackhaft zu machen und als denkbare Alternative anzubieten.
Sie müssen sehen, dass Menschen wie sie sich am Weg durch die Stadt zurechtfinden, nicht nur EinzelkämpferInnen. Denn die wenigsten wollen eine tägliche Mutprobe bestehen, wenn sie auf dem Weg zur Uni oder zur Arbeit sind, sondern einfach sicher ankommen.
Radio FM4 / Simon Welebil
Um das zu erreichen müssen sich nicht nur die AutofahrerInnen zurücknehmen, die bisher die Pole-Position der Verkehrsplanung inne hatten, auch vormalige Rad-EinzelkämpferInnen müssen ihre Kampf- und Konfrontationseinstellung ändern. Denn wenn Radfahren zur Massenveranstaltung wird, sind sie nicht mehr die schwächsten VerkehrsteilnehmerInnen, sondern müssen selber auf die anderen acht geben, die mit dem selben Verkehrsmittel unterwegs sind.
Ohne Bewusstseinsbildung für solche Veränderungen ist wohl der ambitionierteste Plan zur Verbesserung der Rad-Infrastruktur zum Scheitern verurteilt. Denn die Stimmung zwischen RadlerInnen, AutolenkerInnen und FußgängerInnen ist gespannt, Alle sind einander die jeweiligen Vorteile ihrer Fortbewegung neidig, und schon kleinste Eingriffe können riesige Diskussionen auslösen, etwa wenn Radwege grün eingefärbt werden.
Dass die Velo-City und weitere Imageveranstaltungen für das Radfahren zu einer Entspannung unter allen VerkehrsteilnehmerInnen beitragen werden, ist ihr zu wünschen. Realistisch gesehen ist der Weg zu gegenseitigem Respekt aber wohl noch lang.
FM4 und Urban Cycling
Wir beschäftigen uns aus Anlass der Velo-City noch bis Freitag quer durchs Programm mit dem Thema Urban Cycling, dem Kampf auf der Straße und dem Stellenwert, den das Fahrrad hierzulande und anderswo so hat.