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Sammy Khamis

Are you serious...

11. 6. 2013 - 10:43

Cycling Egypt

Wer früher in Ägypten aufs Fahrrad stieg war entweder Dienstbote oder einfach verrückt - heute fahren junge Leute auf der Straße. Sie nenen sich Cycle Egypt. Ihr Motto: Reclaim the Street

Es ist 8:30 Uhr an einem Freitagmorgen, mitten in Alexandria. Freitag ist der ägyptische Sonntag. Wer kann, der schläft aus. Wer will, der lässt sich von Hati anschreien. Hati ist der Chef von Cycle Egypt. Einer Gruppe von Fahrradfahrern, die sich jeden Freitag treffen um durch die Stadt zu kurven. Heute früh kommen zirka 25 junge Menschen – ein Drittel davon sind Frauen.

privat

Cycle Egypt nach ihrer Fahrradtour durch die Innenstadt von Alexandria

Die heutige Tour geht einmal quer durch die Alexandria: Vom Sportclub Somoha zum Hauptbahnhof, und weiter durch die kleinen Gassen von Moharam Bek. Eine Strecke, die man mit dem Fahrrad nur Freitags und nur Vormittags fahren kann. Ansonsten steckt die Stadt bis zum Anschlag im Stau: Alexandrias Rush Hour ist eigentlich eine "Rush 24 Hour". Viel los ist immer auf den Straßen. Von Morgens bis Abends drängen sich Taxis neben Busse, neben Privatautos nebennebenneben. Dazwischen blockiert ein Obstverkäufer mit seinem Holzkarren die Straße.

Saftey first

Wenn sich Cycle Egypt also auf den Weg macht, dann sind die Straßen relativ ruhig. Ungefährlich sind sie deshalb nicht: Warnwesten und Helme sind Pflicht, so Hati. Auf den vergleichsweise leeren Straßen der zweitgrößten Stadt Ägyptens nutzen alle den ungewohnten Platz: Autos rasen dann gerne mit 80 km/h die Straße entlang. Auf Fahrradfahrer achtet dabei kaum jemand. Wer bei Hati mitfahren will, der muss also Sicherheitsregeln beachten: Immer hinter dem Begleitwagen bleiben, Helm und Weste tragen. Wer keinen Helm hat, der zahlt 10 Pfund Strafe, etwas weniger als einen Euro. Von dem eingesammelten Geld kauft Hati dann neue Helme, die am Anfang jeder Tour verlost werden. Sicherheit geht eben vor.

Deshalb braucht es auch das Begleitauto. Hati fährt damit im Schritttempo vor der Gruppe und bleibt dann mitten in einer Kreuzung stehen, damit seine Fahrradgruppe ungestört fahren kann. Lässig bittet er einen Verkehrspolizisten, die Autos an der Kreuzung aufzuhalten. Das ist neu: Polizei die hilft – früher hätten sie oft Strafzettel bekommen, so Hati. 30 Pfund, also drei Euro pro Fahrrad, alles nur, weil sie auf der Straße unterwegs waren– heute bekommen sie immer noch schiefe Blicke, aber auch aufmunternden Zuspruch.

Sammy Khamis / Park15

Viele Ägypter über 50 kennen Fahrräder nur als verschwommene (und verrostete) Erinnerung aus ihrer eigenen Kindheit. Spätestens seit den 70er Jahren ist Ägypten ein Autoland. Der Wunsch jedes Jugendlichen ist es, ein eigenes Auto zu haben. Egal, ob man damit drei Stunden täglich im Stau steht - mit dem eigenen Auto steckt man wenigstens im "eigenen Stau" fest.

Rost statt Lack - bunt statt eintönig

Die 25 Radfahrer, die gemeinsam mit Hati durch Alexandria kurven, tragen ein dickes Lächeln im Gesicht. Es ist Ende Mai, die Sonne angenehm warm, die Stadt ungewohnt ruhig. Die Gruppe ist bunt gemischt: Acht junge Frauen fahren ebenso mit, wie ein älterer Ingenieur, der in Deutschland gelebt und dort das Fahrradfahren für sich entdeckt hat. Dazu kommt eine Gruppe von Schuljungen – alle um die 12 Jahre alt, alle in kurzen Hosen und alle auf Ein-Gang Rädern aus China, die so aussehen, als hätten sie die letzten drei Jahre im Meer verbracht. Rost ersetzt an ihren Rädern den Fahrradlack.

Seit 2008 gibt es Cycle Egypt. Auf Facebook hat die Seite über 28 000 Likes. Während der Revolution 2011 hat sich Cycle Egypt Freitags zu den Demonstrationen gegen Husni Mubarak getroffen. Gekommen sind sie mit Rad.

Selbst rauf aufs Rad

Ganz ohne selbst aufs Rad zu steigen komme ich nicht davon: Mustafa, im Bild in der Mitte, leiht mir seines für einige Kilometer. Mit dem Rad durch Alexandria - das ist nicht ganz neu für mich: Als ich 2010 in die Stadt zog, habe ich mir als erstes ein Fahrrad gekauft. Chinesisches Modell - schwer wie ein Panzer, grün wie eine Almwiese.

privat

Unsere Nachbarin meinte damals: "Mr Sammy, Sir, are you crazy?" Im Gegenteil habe ich dann immer gesagt und bin weitergefahren.
Mit Mostafas Fahrrad geht es vorbei am Bahnhof (Mahatad Masr) und weiter durch die mit Schlaglöchern übersäte Straße von Moharam Bek. Es ist schon später Vormittag, mehr Leute und immer mehr Autos drängen sich auf den Straßen. Alexandria hat eigentlich 40 km feinste Küstenstraße, die sehr fahrradfreundlich sind: ein breiter Gehsteig, mit frischer Meeresbrise lädt zum Radln ein. Aber damit will sich bei Cycle Egypt keiner mehr abgeben.

Reclaim your street ist das Motto.