Erstellt am: 20. 5. 2013 - 15:13 Uhr
FM4-Bühne, Sonntag, Linzfest
- FM4 beim Linzfest
- Linzfest on Demand: Schorsch Kamerun, Retro Stephson, Blumentopf und mehr: Die Sondersendung aus Linz zum Nachhören.
- FM4 Festivalradio
Der Soundcheck der Ghost Capsules am Sonntag Nachmittag hat ziemlich vielversprechend geklungen: Die Stimme von Laura Gomez ist fantastisch, die Band rund um Tim Simenon ist gut eingespielt. Aber vielleicht war der Soundcheck einfach zu gut? Es heißt ja, wenn die Generalprobe daneben geht, wird die Premiere ein Erfolg. Im Fall der Ghost Capsules war es dann wohl umgekehrt, denn ihre Weltpremiere ist ins Wasser gefallen.
Am Nachmittag war strahlend schönes Wetter, aber eine Stunde vor dem Auftritt der Ghost Capsules sind gewaltige Gewitterwolken aufgezogen. Beim ersten Donnergrollen flüchten die Menschen aus dem Donaupark. Die Weltuntergangsstimmung würde prinzipiell schon zu den düsteren, melancholischen Songs der Ghost Capsules passen. Aber sie durften aus Sicherheitsgründen nicht auftreten und waren sehr traurig. Ihre Weltpremiere feiern sie jetzt am 31. Mai in Hamburg. In Österreich kann man sie am 19. Juni in Innsbruck und am 27. Juli 2013 beim Popfest in Wien hören.
Schorsch Kamerun
Die Goldene Oberzitrone Schorsch Kamerun holt nach den Regengüssen das Publikum von unter den Bäumen und aus der Reserve hervor. Der Theaterzampano steht im luftigen, schwarz-goldenen Kaftan auf der Bühne. Ist das jetzt künstlicher Nebel oder echter, der von der Donau herauf über die Bühne weht? Ein paar wetterfeste Menschen stehen schon vor der Bühne und Schorsch Kamerun untermalt die Post-Gewitter-Atmosphäre mit viel depressiver Musik. Er eröffnet das Set, das sich hauptsächlich am neuen Album „Der Mensch lässt nach“ orientiert, mit „Betrug“. Das klingt nach sperriger Theatermusik, Klaviergeklimper und Distortion und geht so: „Jeder fühlt sich hier ungelogen um seine Zukunft betrogen“.
Kameruns launige Publikumsansagen kommen natürlich gut an, zusätzliche „Action“ kommt in Form eines flatternden amerikanischen Weißkopfadlers aus Plastik. Den reicht Kamerun an das Publikum „als Zeichen der Versöhnung“ weiter. Die Menschen sollen Abschied nehmen von diesem Wappentier der Macht, das eigentlich ein schrottiges, billiges Plastikteil mit einer schwachen Batterie ist. Das Symbol des Imperialismus kann nicht mehr. Als Texta-MC Huckey den Vogel wieder an die Bühne zurück bringt, zeigt sich Kamerun nur wenig erfreut: „Danke, liebe Linzer, ich dachte, ich muss das Scheißteil nie wieder sehen.“ Gelächter!
Das Publikum nickt zustimmend, wenn der in die Jahre gekommene Punk sich kein Blatt vor dem Mund nimmt. Er singt von dem, was Sache ist: Freiheit, Facebook und Fun, Fun, Fun. Supererholung und Megaerpressung. Die Scheißsteuererklärung und Schwalben am Himmel. I-Phones und Ich-Bezogenheit. Utopie und Unabhängigkeit. Krippenplätze und Kellnerinnen. Gentrifizierung und Nachverdichtung. „Auch in Linz wird der Platz enger“, analysiert Kamerun, bevor er „Kaufleute 2.0“ anstimmt.
Das versöhnlichste Stück des Albums und des Konzerts ist „Unabhängigkeit ist keine Lösung für moderne Babies“, in dem er die neue Generation der Angepassten anklagt. Hier lässt Kamerun dann doch auch mal eine harmonische Melodie zu, sie bleibt die einzige Ausnahme in seinem Programm. Das macht aber nichts. Schorsch Kamerun will es um Himmels willen dem Publikum nicht zu leicht machen. Es ist Diskurs-Punk, zeitgenössische Liedermacherei mit minimaler Instrumentierung, die von dem modernen Informationsmenschen erzählt. Ein nachdenkliches aber humorvolles Konzert.
Blumentopf
Die bayrischen Blumentöpfe übernehmen nach den entzückenden Retro Stefson die Bühne. Cajus Heinzmann, Bernhard „Holunder“ Wunderlich, Florian „Schu“ Schuster, Roger Manglus und Sebastian Weiss aka DJ Sepalot lassen zu guter Letzt Reime wie Blitze in den Donaupark eingeschlagen und das hat gesessen! In über zwanzig Songs und zwei Lade-bei-Fuß-Freestyle-Sessions versetzen sie die zu einer beachtlichen Menschenmenge angewachsene Crowd in pure Euphorie. Die erhobenen Hände vertreiben die drohenden Gewitterwolken über dem Donaupark. Da hat der Regen keine Chance mehr. Wenn jetzt noch jemand nass ist, dann vom Schweiß. Es wird gesprungen, gebounct und getanzt.
Blumentopf sind einfach fabelhaft. In ihrem Set mischen sich alte Songs mit neuen: Rosi, DJ Show Safari, So La La, Systemfuck … Eineinhalb Stunden steht man mit offenem Mund und einem breiten Grinsen vor der Bühne. Wow! Was für ein Flow, was für eine Wortakrobatik! Unglaublich schnell purzeln aus ihren Mündern Reime, die nicht nur lustig, sondern auch ziemlich clever sind. In ihrem Element sind die vier bei ihren Freestyle-Sessions, wo sie spontan auf die Umgebung eingehen: die Stadt, das Wetter und das Publikum, in dem auch ihre Homies von Texta stehen, denen auch gleich in den Reimen Tribut gezollt wird.
„Rappen ist wie Joggen, ich bringe mich in Form“ und „Entweder du fühlst den Hip Hop oder du fühlst ihn nicht“, tönen die Töpfe. Im Publikum fühlt es jeder, zumindest alle, die neben mir stehen. Und in Form sind sie auch, unermüdlich springen die Leute auf und ab. In einer Zeit, in der HipHop wieder einen enormen Aufschwung erfährt und zumindest in Wien HipHop-Clubs wie Schwammerl aus der nassen Wiese schießen, verwässern mir oft Trittbrett-Fahrer den Spaß an der Reimkultur. Beim Blumentopf-Konzert finde ich ihn wieder. Sie machen Beat-Poesie ohne aufgesetzte Coolness und Bling-Bling. Es ist ein großartiger Abschluss für einen wider alle (Wetter-)Erwartungen gelungenen Abend. Danke, Linz!