Erstellt am: 20. 5. 2013 - 10:38 Uhr
Geschäfte mit Kabeljau
Doch ein schönes Häufchen Menschen war gekommen, um die Brüder Unnstein und Logi Stefansson samt Band zu erleben. Beide tragen noch einen zweiten Vornamen: Unnstein heißt Manuel und Logi heißt mit zweitem Vornamen Pedro. Letzterer Stefson-Musiker ist der jüngere der beiden Brüder. Er spielt den Bass und trägt Mütze, die gegen Konzertende dann ab ist. In Island ist er ein vielgebuchter House-Music-DJ. Sein Bruder ist der Frontman von Retro Stefson, ein natural born Frontman. Einer, der auch ohne umgehängtes Instrument eine gute Figur macht.
Alle Fotos: a_kep
Die Geschichte der Brüder, von denen jeder ein Les Freres Stefson Tattoo trägt, ist eine interessante. Vater Stefansson handelte mit Kabeljau, und zwar in Portugal. Dort isst man ja gern Bacalhao - getrockneten Kabeljau, frittiert, mit viel Olivenöl. Nicht mein Ding zwar, aber das Nationalgericht der Portugiesen. Bitte, ein Glas vinho verde dazu - jungen Wein - und runter geht der, äh, gewöhnungsbedürftige Stockfisch wie nichts. Also, Herr Stefansson handelte in Portugal in Sachen Kabeljau. Dort traf er eine Frau aus Angola. Liebe. Familiengründung. Unnstein und Logi werden geboren. Eigentlich sollten sie in Portugal aufwachsen, aber dann wurde Mutter Stefansson irgendwann bei einem Island-Aufenthalt - damit die Buben die Sprache der nordischen Ahnen nicht verlernen - krank, und man musste noch etwas auf der Insel verweilen. Man blieb für immer.
Das war auf eine Weise schicksalshaft, erzählt Unnstein Stefansson im FM4-Interview, weil sie in Island dann die Musikschule besuchten, was sie vielleicht in Portugal nicht getan hätten. Der Sänger der isländischen Band Mum war außerdem der Betreuer der Stefansson-Jungs im Kindergarten und als Mann mit Zweitjob Musiker war er immer mal wieder weg auf Tour, erinnert sich Unnstein. Auch wenn Retro Stefson nicht so klingen wie Mum oder isländische Helden wie Sigur Ros, sie waren von großer Bedeutung für Unnstein und Logi. Wegfahren und auf Tour gehen, das würden sie auch einmal. Jetzt tun sie es, zusammen mit rothaarigen Bandkollegen. Wikinger, eh klar. Und nicht zu übersehen: Keyboarderin Porbjörg Gunnarsdottir, die über das luftige Sommerkleidchen schnell noch einen purpurfarbenen Pulli gezogen hat, des Sturmhimmels wegen. Zu Mittag war sie noch in der wettertechnisch nichts Gutes verheißenden Schwüle Sonne tankend an der Donau gesessen. Der Synthesizer hängt lässig vor ihrem Bauch. Sehr gut, wie in den 80ies. Retro eben. Ach ja, dieses Wort, es verfolgt uns jetzt ein wenig, grinst Unnstein Stefansson im FM4-Interview, dabei haben wir uns gar nicht viel dabei gedacht.
Sich nicht viel dabei Denken, das ist vielleicht das Erolgsrezept dieser jungen Truppe, die noch nicht die Lasten des langjährigen Künstlerlebens tragen muss, wie sie etwa am Vortag Joel Gibb von den Hidden Cameras dann gut schulterte. Von der Schülerband, die nicht genau wusste, was sie lieber mag - Metal, Hip Hop oder Indiepop zum international touring act. In Paris waren sie etwa auch kürzlich. Diese Band mag Paris. Keine einseitige Liebe. Paris liebt diese Menschen zurück. Die Funkgitarre, den Low-End-Bass, den Schuss Tropicalia, die Stimme, den Synthesizer. Wenn da nicht ein Kitsune-Remix oder so etwas kommt in the near future, dann weiß ich's auch nicht. Französisch sprechen tun die Brüder nicht, trotz ihrer Les Freres Stefson Tattoos, aber das macht nichts. Dieser Band ist die Zukunft hold.
"Solaris" war der Konzert-Opener. Das erste Stück am neuen Album, das so geheimnisvoll anmutet und einen direkt hineinzieht. "It's necessary to jump in the cold", meint Unnstein in Richtung Publikum, das voller freudiger Gesichter ist, sehr junger Geschter, aber auch welcher, die schon eine etwas größere Portion Popmusik erlebt hat. Sie alle mögen aber diese Band. Geht auch irgendwie gar nicht anders. "Are you ready to jump?" Yeeees. Der Regen hat euch etwas niedergedrückt, meint Unnstein. " Jump more!" Dann stellt er die Band vor. Keine Egomanen, diese charismatischen Stefansson-Brüder, nein, sonst täten sie sich im 7er-Kollektiv auch nicht wohlfühlen. Ein melancholischer Sänger mit Akustikgitarre könnte er sein, dieser Unnstein, die Stimme und die Austrahlung hat er, aber das Bandgefüge ist für einen solchen Künstler zu diesem Zeitpunkt wohl die natürlichere, auch die cleverere Wahl. Da kann er schon mal headbangen - was er am Ende des Konzerts auch tut, da können schon mal harte Gitarrenriffs einsetzen und kurz die Teenager-Vergangenheit dieses Musikers aufblitzen lassen.
- FM4 beim Linzfest
- Linzfest on Demand: Schorsch Kamerun, Retro Stephson, Blumentopf und mehr: Die Sondersendung aus Linz zum Nachhören.
- FM4 Festivalradio
"Thank you very much. Next one is a love song." Der Song kommt vom neuen Longplayer, heißt "She Said" und kommt wunderbar houseig daher, aufs erste jedenfalls. Viermal springen wir nach links und viermal nach rechts, wenn der Beat einsetzt. Unnstein macht es vor. Das Starpotential dieses jungen Mannes macht sich einmal mehr bemerkbar. Nicht weil er viermal nach links tänzelt und viermal nach rechts, sondern insgesamt. So etwas wie ein "gewisses Etwas" hat er. "I love techno", sagt er. "Do you love techno?" Er geht vor der Synthie-Frau in die Knie, geht zu Boden an ihrer Seite. "Would you like to go to a rave?", fragt er. Das gefällt Jung und Älter. Immer doch, Unnstein, jederzeit mit dir auf einen "Rave".
Die sehnsuchtsvolle Stimme, der Synthesizer, und der Beat - da ist er wieder der Beat. "Julia" heißt der Song, kommt vom neuen Album, das ebenfalls "Retro Stefson" heißt. "Glow" war davor, die neue Single der Band, ein richtiger kleiner Sommerhit - keiner, der sich wüst aufdrängt, sondern einer von diesen slowburner hits.
"Kimba" vom letzten Album haben Retro Stefson auch gespielt. Rasch noch ans Business erinnern: T-Shirts und CDs haben Retro Stefson mit dabei, ein wenig was dazuverdienen auf Tour muss sein, und mit den Menschen direkt plaudern, nicht von der Bühne runter. It's all in a day's work, sozusagen, für eine aufstrebende Band. Aber vorher springen wir noch einmal, der Kälte wegen, wenn wir schon keine anderen Ausreden haben. Wenn wir die Snare Drum hören, sagt Unnstein Stefansson, springen wir: "Everyone in Linz has to jump!" Wir springen. "Thank you very much!"
Die afrobeatige Zugabe "Senseni" - vom letzten Album - folgt noch, dann noch einmal ein Heavy-Gitarrenriff im isländischen Titel "Velvakandasveinn", der, glaub ich, am ersten Album war. Eine Portion guilty pleasures in diesem modernen Pop. Herrlich. Headbangen. "Thank you!" Nix zu danken, Unnstein Manuel Stefansson, wir danken. Retro Stefson, das beste, das dieser Bühne nach dem Sturmregen passieren konnte.