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Rainer Sigl

Spiel, Kultur, Pop im Assoziationsblaster.

13. 5. 2013 - 10:35

Surrealismo violento

Das chilenische Indie-Game "Zeno Clash II" verbindet eine surreale Fantasy-Welt mit handfesten Schlägereien.

Zeno Clash II

ACE Team

Es ist zum Haareraufen: Ausgerechnet das Genre, das den verheißungsvollen Namen "Fantasy" trägt, lässt die namensgebende Fantasie mehr und mehr vermissen. Drachen, Elfen, Zauberer, Burgen, Könige und Zwerge sind die ermüdenden Standardzutaten jenes Genres, das nicht erst seit dem Erfolg der "Herr der Ringe"-Verfilmung die Buchläden mit meterweise Lesestoff samt Peinlichkeitsgarantie am Cover verstopft. Auch George R. R. Martins "Song of Ice & Fire" bleibt bei allen unleugbaren Qualitäten trotzdem jenem Schema verhaftet, das der Mediävist und Linguist J. R. R. Tolkien vor über sechzig Jahren gefunden hat: eine an das europäische Mittelalter und vor allem die westeuropäische Artus-Epik angelehnte feudale Erzählwelt mit Einsprengseln skandinavischer und keltischer Mythen, komplett mit Königshöfen, dunklen Prophezeiungen und allerlei Fabeltieren.

Wer die landläufige Fantasy-Literatur zu eintönig findet, kann sich in den Werken von China Mieville, Ricardo Pinto, R. Scott Bakker oder Steven Erikson über abwechslungsreichere Fantasiewelten freuen.

Diese thematische Verengung ist schade, vor allem weil dadurch das Genre einförmiger wird, als es sein müsste. Im Gamesbereich ist es nicht anders als in der Literatur und im Film: Fantasy-Stereotype, wie sie dann auch durch die Pen&Paper-Systeme wie Dungeons&Dragons gefestigt wurden, sind so sehr die Regel, dass von "Skyrim" bis "Diablo" inhaltlich und ästhetisch fast dasselbe geboten wird: Drachen, Ritter, Königskinder - gähn.

Willkommen in der Exotik!

Umso mehr Freude bereitet es, dass die chilenischen Independent-Entwickler ACE Team mit "Zeno Clash II" eine Fantasy-Vision ins Spiel umsetzen, die völlig aus dem Rahmen fällt. Willkommen zurück in der Welt von Zenozoik, in der baumlange Vogelwesen, Elefantenkrieger, Riesenkrabben und Frauen mit komischen Frisuren ein ziemlich bizarres Abenteuer ergeben, das weniger mit Mittelalter und Tolkien, aber dafür umso mehr mit den Albtraumvisionen eines Hieronymus Bosch, den abgedrehten Figurenwelten von Jim Hensons "Der dunkle Kristall" und dem psychedelischen Irrsinn eines Alejandro Jodorowsky gemein hat. Denn Zwerge, Elfen und Orks gibt's hier erfrischenderweise keine. Stattdessen begegnet man staunend fantastischen Wesen, die man so noch in keinem anderen Spiel gesehen hat.

Schon 2009 erschien Teil 1 des Independent-Spiels und schon damals faszinierte die handfeste Mischung aus surreal-albtraumhafter Spielewelt und sehr handfestem Gameplay: Aus der Ich-Perspektive wird nicht geschossen, sondern mit einem Repertoire an Schlägen, Tritten und Würfen gegen ein bizarres Bestiarium an Gegnern vorgegangen. Die nicht chronologisch erzählte seltsame Hintergrundgeschichte über ein riesenhaftes, "Father-Mother" genanntes Vogelwesen, das sowohl den Helden als auch eine wilde Schar an rabiaten Monster-Geschwistern entführt hat, ließ mehr Fragen offen, als beantwortet wurden; mit "Zeno Clash II" wollen die chilenischen Brüder Bordeu nach dem inzwischen erschienenen "Rock of Ages" mehr von Zenozoik zeigen und die Handlung von "Zeno Clash" fortsetzen.

Zeno Clash II

ACE Team

Wumm, zack - immer auf den Schnabel

Eins gleich vorweg: Den Wow-Effekt des ersten Teils kann "Zeno Clash II" nicht toppen, dafür wird aber ansonsten mehr - viel mehr - von dem geboten, was Teil 1 interessant gemacht hat. Das Kampfsystem ist bis auf wenige optionale Änderungen gleich knackig geblieben, die Level sind weniger linear und laden mehr zum Erforschen ein, kommen aber an echte Open-World-Dimensionen etwa eines "Skyrim" nicht heran. Die Kämpfe sind erneut fordernd und vor allem später nur mit Strategie und Können zu meistern - ein neu eingeführtes Skillsystem erlaubt uns aber im Ansatz eine gewisse Spezialisierung oder das Rekrutieren stärkerer Mitkämpfer. Dank Online-Koop können wir uns erstmals auch mit einem menschlichen Mitstreiter auf den Weg machen.

Was "Zeno Clash" aber so besonders macht, ist nach wie vor die Fantasie seiner Macher, die sich in fast jeder Ecke des Spiels zeigt: Exotische Landschaften, absurde Stadtarchitekturen, Schiffe aus Robbenkörpern, bizarre Settings und nicht minder schräge Weltbewohner, die sich in regelmäßigen Abständen auf uns stürzen, machen auch "Zeno Clash II" zu einem transdimensionalen Jahrmarkt voller schräger Sehenswürdigkeiten und denkwürdiger Begegnungen. In welchem anderen Spiel durfte man sich sonst noch unter riesigen Seifenblasenbäumen mit mannshohen nackten Vogelwesen prügeln?

Zeno Clash II

ACE Team

Double Dragon bizarr

Es ist ein bisschen schade, dass die Entwickler diese Freude an der Absurdität nicht auch noch stärker ins Storytelling mit einbezogen haben - im Unterschied zu Teil 1 schleppt sich die Geschichte nämlich vor allem zu Beginn eher humor- und lustlos in den häufigen Cutscenes linear voran, in denen in Sachen bleierner Vertonung das beschränkte Budget so richtig spürbar wird. Aber sei's drum: Neben all dem bunten Wahnsinn, der sich hier vor unseren Augen auftut, spielt die Handlung trotz aller Ambitioniertheit und stellenweise Esoterik ohnedies nur die zweite Geige.

"Zeno Clash II" ist für Windows erschienen; PS3- und XBox360-Versionen folgen.

"Zeno Clash II" kann seinen erfolgreichen Vorgänger trotz größerem Umfang, freierer Welt und längerer Spieldauer nicht übertrumpfen - in der kleineren Form des ersten Teils blieb vieles charmant mysteriös unausgesprochen, was in der ambitionierten Fortsetzung zum Teil auch zu breit ausgerollt wird. Als rarer Vertreter der Sorte First-Person-Beat'em up und als Fantasy-Vehikel, das der Fantasie im Genrenamen wieder einmal zu ihrem Recht verhilft, ist "Zeno Clash II" aber wie sein Vorgänger einzigartig - und allein deswegen unbedingt sehenswert.