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Rainer Springenschmid

Punk & Politik, Fußball & Feuilleton: Don't believe the hype!

30. 4. 2013 - 18:14

Musik im Kollektiv

Ein Musikernetzwerk will ein bisschen Leben in die Pinzgauer Kulturlandschaft bringen - dort, wo ihnen der Tourismus noch Platz lässt.

Wer Ende April nach Zell am See kommt, der sieht auf den ersten Blick, was das Wort Zwischensaison bedeutet. Auf den Schipisten liegt der Restschnee noch fast bis ins Tal, doch die ersten arabischen Touristen sind schon da. Sie verteilen sich pärchenweise im fast leeren Regionalzug aus Salzburg. Der Bahnhof und die herausgeputzte Stadt wirken fast so leer wie eine Westernstadt nach dem Goldrausch. Die, die hier die ersten Frühlingssommerstrahlen genießen, sind zum großen Teil die, die sonst kaum auffallen zwischen den Gästen aus Deutschland, Schweden, Russland und Dubai. Es ist die Ruhe vor dem nächsten Ansturm, die Zeit der Baustellen. Auf der Esplanade am See zum Beispiel stehen die Bagger.

Der Zeller See im Frühling, auf den Bergen im Hintergrund liegt noch Schnee, auf dem See tummeln sich Schwäne und Enten.

FM4 / Rainer Springenschmid

Die Ruhe vor dem nächsten Ansturm

Wegen der Esplanade war ich das letzte Mal für FM4 hier, das liegt schon einige Jahre zurück; damals hatte die Gemeinde gerade ein Alkoholverbot erlassen, um die dort lärmenden und trinkenden Jugendlichen los zu werden. Russi meint, nach dem Alkoholverbot habe sich ein paar Wochen später eh schon niemand mehr geschert, heute weiß man zwar noch, dass es das gibt, aber ein großes Problem sei das nicht mehr.

Russi heißt eigentlich Wolfgang und ist Obmann des Musik Kollektiv Pinzgau und außerdem Gitarrist der Hardcore Band Disgraced Life. Er hat vor zwei Jahren das Musik-Kollektiv Pinzgau mitbegründet. Das Musik-Kollektiv Pinzgau ist eines jener Anzeichen dafür, dass sich die Situation für junge Menschen hier zwar deutlich gebessert hat, aber immer noch einiges im Argen liegt.

Ein Bahnsteig im Bahnhof von Zell am See, im Hintergrund der See und Schnee bedeckte Berge.

FM4 / Rainer Springenschmid

Keimzelle Sbasecafé

"Der Pinzgau hat immer schon eine große Underground-Szene gehabt", erzählt Johanna Harms, die für den vom Land Salzburg finanzierten Jugendverein Akzente die Bezirksstelle Pinzgau betreut. Sie meint damit nicht nur das Sbasecafé im Zeller Ortsteil Thumersbach, das in den Neunziger Jahren alternative Subkultur, Bands, DJs und auch das FM4 Jugendzimmer in den Pinzgau gebracht hat. Ein paar junge Zeller hatten ein leerstehendes Café in einem alten Kurhotel temporär nutzen dürfen. Nach einiger Zeit war der Spaß aber wieder vorbei; es heißt, die lokalen Gastronomiegrößen hätten Konkurrenz befürchtet und beim Bürgermeister interveniert.

Die Gesprächsbasis mit den BürgermeisterInnen im Pinzgau ist mittlerweile sehr gut, meint Johanna Harms. In den größeren Orten gibt es Streetwork-Projekte und Jugendzentren, und dass manche jungen Menschen weder zur Blasmusik noch zum Fußballverein wollen, verwundert heute auch keinen mehr. Ein Grundproblem aber ist geblieben: viele Freizeitaktivitäten abseits von Mainstream und Tourismus bietet der Pinzgau nach wie vor nicht - Angebote für Jugendliche sind rar. Und weil auch im Pinzgau, wie in ganz Europa, die Situation am Arbeitsmarkt für Jugendliche nicht immer rosig ist, bleiben Alkohol und seine Begleiterscheinungen ein Thema.

Punkrock am Feuerwehrfest

Für die Sozialarbeiterin Johanna Harms ist das Musik-Kollektiv Pinzgau auch ein Mittel, hier dagegen zu steuern. "Wir wollen MusikerInnen und VeranstalterInnen im Pinzgau vernetzen, um Auftrittsmöglichkeiten und Proberäume zu vermitteln", sagt Johanna Harms. "Auf Feuerwehrfesten zum Beispiel gibt's kein Programm, das für junge Menschen interessant ist. Das Einzige was bleibt ist, sich volllaufen zu lassen. Weil aber eh immer eine Bühne und eine Anlage da ist, haben wir die Idee gehabt, am Tag vor dem Fest lokale Bands auftreten zu lassen. Das hat noch nicht perfekt funktioniert, aber ein Anfang ist gemacht."

Angefangen hat alles mit einer Bedarfserhebung. "Ursprünglich war die Idee, ein HipHop-Festival zu veranstalten und Sido in den Pinzgau zu holen", erzählt Johanna. "Aber diese Idee ist gleich am Anfang gestorben, weil wir gemerkt haben, dass die Musikszene hier ganz etwas anderes braucht." Gemeinsam mit StudentInnen der Uni Innsbruck und der Plattform mitbestimmung.cc, die ein ähnliches Projekt bereits im Tiroler Stubaital initiiert hatte, hat Johanna Bands in Proberäumen besucht und nach ihren Wünschen und Problemen befragt und einen MusikerInnen-Stammtisch ins Leben gerufen. Aus den Interviews ist eine DVD geworden, und das Ergebnis der Bedarfserhebung wird jetzt Schritt für Schritt umgesetzt. "Ich habe den Bürgermeistern gleich am Anfang gesagt, dass ich so etwas nur angehe, wenn es auch Konsequenzen hat. Sie haben mir die Unterstützung auch beim Umsetzen zugesichert, und das ist eine gute Basis für uns."

Ein Bürosofa, darauf zwei tätowierte junge Männer und eine junge Frau.

FM4 / Rainer Springenschmid

Russi (Disgraced Life), Johanna (Akzente Pinzgau), Mario (Cantona)

Für Russi und seine Band Disgraced Life und für Mario von der Hinterglemmer Punkband Cantona ist das Netzwerk vor allem eine Möglichkeit, andere MusikerInnen in der Nähe kennen zu lernen. "Es gibt sehr viele Bands hier im Pinzgau, aber ich habe eigentlich kaum jemanden persönlich gekannt", meint Mario. "Es haben sich für uns schon eine Menge Sachen aufgetan. Wir sind zum Beispiel über Disgraced Life zu Veranstaltern gekommen. Manche Bands empfehlen sich auch gegenseitig weiter oder nehmen andere Bands oder auch DJs aus dem Netzwerk zu Veranstaltungen mit."

Russi veranstaltet auch selbst Konzerte und holt befreundete Bands von Außen in die eine oder andere Bar oder, ganz DIY, in seinen Proberaum. "In den meisten Lokalen hier kannst du mit unserer Musik gar nix anfangen", erzählt Mario. "Wir haben mit einer anderen Band in einer Bar in Hinterglemm alte Punkklassiker akustisch gecovert. Das hat nicht viele interessiert. Seit wir angefangen haben, Lynrd Skynrd und andere alte Hits zu spielen, ist der Laden jede Woche bummvoll. Die Touristen sind eben nach dem Schifahren um neun schon besoffen und wollen Musik wo sie mitgrölen können. Was anderes hat bei uns keinen Platz, da kommen immer nur die gleichen fünfzig Leute, das wird auf Dauer auch fad."

Auch da soll das Musik-Kollektiv Abhilfe schaffen. Ungefähr zwanzig Bands, DJs und SolomusikerInnen sind derzeit dabei, aktiv sind vor allem die Bands. Die gar nicht so kleine elektronische Musikszene sympathisiert durchaus mit der Idee, erzählt Johanna, für sie ist die Vernetzung aber nicht so wichtig: DJs kommen auch ohne Proberaum aus und Auftrittsmöglichkeiten sind für sie auch deutlich leichter zu bekommen: ein DJ-Pult ist eben schneller aufgestellt als eine Bühne mit kompletter Band-PA.

Mastic Scum und Massive Beats

Derzeit arbeiten sie gerade an einer Sampler-CD, die den aktuellen Stand der Szene dokumentieren soll. Aufgenommen wird im Studio der Band Rubberfresh, die seit über einem Jahrzehnt quer durch Österreich unterwegs ist. Die zwei bekanntesten Bands mit Pinzgauer Wurzeln sind übrigens die Grindcore Band Mastic Scum - die hat seit den Neunziger Jahren in der europäischen Metal-Szene einen guten Namen. Auch die mehrfachen österreichischen Beatbox-Meister von der Massive Beats Crew aus Saalfelden haben überregional schon einiges Aufsehen erregt, leben aber seit ein paar Jahren in Graz.

Menschenmassen im Inneren einer Burg

Musik Kollektiv Pinzgau

Base Floor: Mit diesem Andrang auf der Burg Kaprun hat kaum wer gerechnet.

Und dann soll es auch wieder eine Party auf der Burg Kaprun geben. Die erste, quasi das Gründungsfest des Musik Kollektiv Pinzgau, hatte eine überraschende Resonanz, erzählt Johanna Harms: "Eigentlich wollten wir nur eine große Party machen mit drei Floors und ohne Headliner. Aber dann hat in der Woche davor mein Handy Sturm geläutet, und ich bin von den Tourismusverbänden in der Region angerufen worden, weil alle im Vorverkauf Karten haben wollten. Das hat also auch bei den Touristen eingeschlagen, wahrscheinlich auch weil zu der Zeit im Pinzgau nichts anderes los war. Es sind dann über 600 Leute in die Burg gekommen und war ein voller Erfolg - und das nur mit einheimischen Nachwuchsbands und -DJs."