Erstellt am: 28. 3. 2013 - 18:21 Uhr
Ein Tag aus fünfzehn Jahren
Die Justizanstalt Gerasdorf in Niederösterreich ist die einzige Justizanstalt für männliche Jugendliche und junge Erwachsene in Österreich. Die inhaftierten Jugendlichen sind in der Regel zwischen 14 und 27 Jahre alt.
Der Tag auf "der A" beginnt für Rene um sieben Uhr morgens. Mit einem routinierten "Morgen Herr P." schließt ein Justizwachbeamter seinen acht Quadratmeter großen Haftraum auf. - acht Quadratmeter, die Fläche von ca. acht Telefonzellen. "Die A", so wird die Abteilung A für Kapitalverbrechen in der Justizanstalt Gerasdorf von Insassen und Justizwachbeamten kurz genannt. Seit gut zwei Jahren ist der Zweiundzwanzigjährige schon hier inhaftiert, weitere dreizehn Jahre hat Rene noch vor sich.
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Die ganze Welt bricht zusammen
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am Donnerstag, den 28.3. von 19-22 Uhr
Reportage aus Gerasdorf
Rene (Name von der Redaktion geändert) ist einer von 125 jugendlichen Häftlingen in der Justizanstalt Gerasdorf. Er wurde wegen Mordes zu 15 Jahren Haft verurteilt. Daniel Grabner hat ihn einen Tag lang begleitet.
Jugendliche vor Gericht
Irmi Wutscher hat Jugendrichterin Beate Matschnig interviewt und mit ihr über die Situation für jugendliche Straftäter gesprochen.
FM4 Jugendzimmer
am Freitag, den 29.3. von 19-20.30 Uhr
Claus Pirschner besucht Michi, Rene und Peter, Insassen in der Justizanstalt Gerasdorf und fragt sie, was es heißt "eingesperrt" zu leben. Warum haben sie andere Menschen umgebracht oder dabei geholfen? Und welche Perspektive entwickeln sie für die Zeit danach?
Während der Korridor "der A" kurz vor sieben Uhr noch menschenleer war, ist jetzt einiges los. Die jungen Männer bringen ihre Mistkübel vor die Hafträume, treten auf den Gang, unterhalten sich, trinken Kaffee. Seit achtzehn Uhr des Vortags waren sie in ihren Zellen eingeschlossen, nun haben sie eine halbe Stunde Zeit für Frühstück und Körperpflege. Rene macht sich Kaffee mit einem Wasserkocher und dem abmontierten Filterbehälter einer herkömmlichen Kaffeemaschine. Richtige Kaffeemaschinen seien nicht erlaubt, sagt er.
Bei einer Körpergröße von knapp zwei Metern wirkt er in der kleinen Zelle wie ein Riese - irgendwie deplatziert. An der Wand hinter seinem Bett hängt eine Österreich-Fahne, gegenüber ein Plakat, das Frauen in Unterwäsche zeigt. Den ersten persönlichen Gegenstand, den Rene für seinen Haftraum gekauft hat, ist ein kleiner roter Teppich. Um die kleine Lampe neben seinem Bett ist ein Rosenkranz gewickelt. Er glaube schon an Gott, sagt er, irgendwie auch an Himmel und Hölle, darum sei er sich nicht so sicher, wie das alles für ihn ausgehen werde. Als sich vor gut zwei Jahren zum ersten Mal eine Zellentür hinter ihm schloss, sei für ihn die ganze Welt zusammen gebrochen. Mittlerweile habe er sich an das Leben im Gefängnis gewöhnt: "Aber vergessen kann man nicht, dass man im Gefängnis ist. Man hat ständig das Gitter oder die Mauer vor Augen."
Strikter Tagesablauf
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Eine halbe Stunde später werden die Insassen von Justizwachbeamten zu ihren Lehrbetrieben geführt. Vierzehn verschiedene Lehrbetriebe sind innerhalb der Justizanstalt beheimatet. Viele Insassen nutzen die Zeit ihrer Gefangenschaft um einen oder mehrere Lehrberufe zu erlernen. Acht Stunden am Tag arbeiten sie in den ansässigen Betrieben, verdienen dabei so viel wie ein Lehrling außerhalb der Justizanstalt. Die Hälfte des verdienten Geldes fließt in die sogenannte Rücklage, die für die Zeit nach der Gefangenschaft von der Justizanstalt angespart wird. Den Insassen bleiben somit ca. 80 bis 120 Euro im Monat. Jugendliche ohne Pflicht-, Haupt-, oder Sonderschulabschluss erhalten am Vormittag Unterricht in kleinen Klassen innerhalb der Justizanstalt.
Rene macht eine Ausbildung zum Spengler. Der Weg zu seinem Lehrbetrieb führt durch lange Gänge, die immer wieder durch schwere Gittertüren versperrt sind und vom Justizwachbeamten aufgeschlossen werden. Überhaupt sind das Klimpern von Schlüsselbunden und metallische Knacken von Schlössern allgegenwärtige Geräusche. Die Justizwachbeamten tragen keine Uniformen, auch die Jugendlichen müssen keine Anstaltskleidung tragen. Der Umgang zwischen Häftlingen und Beamten wirkt freundlich aber distanziert. Beide Seiten scheinen ihre Rollen gut zu kennen. Und auch Reibereien unter den Insassen kommen selten vor. "Das sind meistens die Jungen, die gerade erst hier her gekommen sind und sich beweisen wollen", erzählt Rene. Als er nach Gerasdorf gekommen ist, habe er Glück gehabt, gleich ein paar ältere Insassen kennenzulernen, die ihn auf einen guten Weg geführt hätten. "Wir helfen uns gegenseitig und versuchen aus der Zeit das Beste zu machen."
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Beliebtester Sport ist Kraftraining
Ab drei Uhr nachmittags haben die inhaftierten Jugendlichen die Möglichkeit zwei Stunden lang Bewegung im Freien zu machen. Innerhalb der Justizanstalt gibt es einen großen Park mit Fußballtoren, Basketball- und Beachvolleyballplatz. Spazieren wird dieser Tagesplanpunkt intern genannt. Wer nicht spazieren will, wird für diese Zeit in seinem Haftraum eingeschlossen. Danach beginnt die Freizeit auf der Abteilung. Bis achtzehn Uhr können sich die Insassen frei und unter Aufsicht auf den jeweiligen Abteilungen bewegen. Die beliebteste Freizeitbeschäftigung unter den jungen Männern ist Kraftsport. Auch Rene trainiert gern. "Wir trainieren nicht für Schlägereien oder so, ich kann mir beim Trainieren kleine Ziele setzen, und ich bekomm‘ den Kopf frei.", erzählt er. Wenn sie nicht gerade Gewicht stemmen, besuchen sich die Insassen in ihren Zellen, tratschen oder kochen gemeinsam, um achtzehn Uhr werden sie bis zum Morgen in ihre Hafträume eingeschlossen.
Die Tat ist Teil des Lebens
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Rene sieht dann meistens fern oder liest Lebensratgeber. Handys und Internet sind nicht erlaubt. Bis vierundzwanzig Uhr haben die Steckdosen Strom, dann funktioniert nur noch das Licht, aber da schlafe er meist schon längst, sagt Rene. Es gebe aber auch Tage, an denen er ständig an seine Tat denken müsse, an den Grund für seine jetzige Lebenssituation: "Es wird einfach ein Teil meines Lebens sein und auch bleiben. Es ist etwas, das ich getan habe und was mich hier hergebracht hat. Aber es hat mich auch zu dem gemacht, der ich heute bin. Ich seh‘ das auch nicht mehr als Strafe, mehr als Chance. Jetzt kann ich an mir arbeiten und mich für mein zukünftiges Leben vorbereiten."
Rene und zwei weitere inhaftierte Jugendliche sind am Freitag, den 29. März zu Gast im FM4 Jugendzimmer (19-20.30 Uhr).
Einige Zeit lang, erzählt Rene, hat er abends seine Erfahrungen und Gedanken in der Haft niedergeschrieben. Das sei ein ziemliches Chaos gewesen, hätte ihm aber auch geholfen die Dinge zu ordnen. "Manchmal schreib‘ ich auch Briefe, einfach so, die ich dann nicht abschicke. Ich hätte ja schon gerne jemanden zum Reden, der nicht aus dem Gefängnisumfeld kommt. Aber woher soll ich die Adressen bekommen?"
Bis 7. April online:
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