Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Keine Lobby"

Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

28. 3. 2013 - 14:55

Keine Lobby

Die Situation straffällig gewordener Jugendlicher in Österreich ist prekär.

FM4 Homebase

am Donnerstag, den 28.3. von 19-22 Uhr

Reportage aus Gerasdorf
Rene (Name von der Redaktion geändert) ist einer von 125 jugendlichen Häftlingen in der Justizanstalt Gerasdorf. Er wurde wegen Mordes zu 15 Jahren Haft verurteilt. Daniel Grabner hat ihn einen Tag lang begleitet.

Jugendliche vor Gericht
Irmi Wutscher hat Jugendrichterin Beate Matschnig interviewt und mit ihr über die Situation für jugendliche Straftäter gesprochen.

FM4 Jugendzimmer

am Freitag, den 29.3. von 19-20.30 Uhr

Claus Pirschner besucht Michi, Rene und Peter, Insassen in der Justizanstalt Gerasdorf und fragt sie, was es heißt "eingesperrt" zu leben. Warum haben sie andere Menschen umgebracht oder dabei geholfen? Und welche Perspektive entwickeln sie für die Zeit danach?

Laut Sicherheitsbericht 2011 wurden in diesem Jahr 28.045 jugendliche Tatverdächtige - das sind Tatverdächtige im Alter von 14 bis 18 Jahren - festgenommen. Insgesamt machen Jugendliche 11,1% aller Tatverdächtigen in Österreich aus. Diese Zahl ist seit einem Hoch im Jahr 2008 (15,4 %) rückläufig.

In Haft kommen dann tatsächlich viel weniger Jugendliche: derzeit sitzen zum Beispiel 99 Junge Männer und 5 Mädchen zwischen 14 und 21 (Jugendlichen wird bis 21 Jahren eine besondere Behandlung vor Gericht und in der Haft eingeräumt, s.u.) in der Justizanstalt Josefstadt ein.

2003 hat der damalige Justizminister Böhmdorfer den Jugendgerichtshof in Wien-Erdberg aufgelöst – unter massivem Protest von Teilen der RichterInnenschaft. Der Jugendgerichtshof hatte seit den 1920er Jahren bestanden und vor allem auf umfassende soziale, juristische und psychologische Betreuung von Jugendlichen geachtet. Wie sieht es heute, zehn Jahr nach dem Auflösen dieser eigenen Instanz für straffällig gewordene Jugendliche aus? Wo werden sie untergebracht und wird bei den Verfahren auf ihr Alter Rücksicht genommen?

Jugendliche vor Gericht

Damals wurde der Jugendgerichtshof in den Landesgerichtshof Wien eingegliedert. „Im Hauptverhandlungsbereich, also vor Gericht, hat sich für die Jugendlichen wenig geändert“, sagt Beate Matschnig. Sie ist Jugendrichterin und zuständig für jugendliche Untersuchungshäftlinge in Wien.

Bild Handschellen und Mensch vor Gericht

DPA

Die JugendrichterInnen sind für straffällig gewordene Jugendlich im Alter zwischen 14 und 18 und junge Erwachsene von 18 bis 21 Jahren zuständig. Sie müssen dafür eine eigene Ausbildungen absolvieren und haben Fortbildungen in Pädagogik, Psychiatrie und Sozialwissenschaft vorzuweisen.

Generell wird in Österreich über keinen Jugendlichen geurteilt, über den nicht Jugenderhebungen eingeholt wurden. Hier wird dem/der RicherIn von der Jugendgerichtshilfe ein komplettes Bild geliefert: Von den Familienverhältnissen über den Schulbesuch und Ausbildung. "So schafft man es, ein möglichst maßgeschneidertes Urteil über den Betroffenen zu fällen", sagt Beate Matschnig. "Wir fragen uns: Was braucht der? Und dann bekommt er das im Urteil."

Unterbringung von straffällig gewordenen Jugendlichen

Seit der Abschaffung des eigenen Jugendgerichtshofs 2003 hat sich in Unterbringung und Betreuung der Jugendlichen einiges geändert. Denn auch die jugendlichen Häftlinge wurden dann während der Untersuchungshaft in Wien-Josefstadt untergebracht. Das hat ihre Situation massiv verschlechtert, da die Josefstadt einfach nicht für jugendliche Häftlinge geeignet ist. Denn einerseits sollten Jugendliche gar nicht mit erwachsenen Häftlingen in Berührung kommen. Andererseits sollen sie auch nicht zu lange in einer Zelle eingesperrt sein (in der Josefstadt ist das teilweise von 15 bis 6 Uhr früh der Fall).

Durch die schlechten Haftbedingungen ist die Gewalt unter den jungen Häftlingen massiv angestiegen. Letztes Jahr hat das Ministerium schlussendlich reagiert, nun werden die jungen Männer schon während der Untersuchungshaft in der Jugendstrafanstalt Gerasdorf untergebracht. Dort wird auf ihre Bedürfnissen besser Rücksicht genommen: "Die Jugendlichen haben nicht immer die besten Ideen in der Haft – und ich rede jetzt gar nicht von kriminellen Ideen", erklärt Jugendrichterin Matschnig. "Sie brauchen Ansprechpartner, sie sind ständig hinter der Justizwache her, weil sie irgendetwas wollen, also auch für die Beamten ist das wesentlich schwieriger. Außerdem brauchen sie Platz, um sich zu bewegen, um sich auszulassen. Und schließlich brauchen sie auch eine gewissen Struktur, einen Tagesablauf."

Und natürlich brauchen Jugendliche Einzelzellen, ansonsten gibt es immer einen Anführer und immer ein Opfer und während der Einschlusszeit passieren dann verschiedenste Formen von Gewalt oder Quälerei.

Filmstill aus Karl Markovics Film "Atmen", Jugendlicher steht am vergitterten Fenster und raucht

© epo-Film / Petro Domenigg/FILMSTILLS.AT

Filmstill aus Karl Markovics Film "Atmen"

Alle diese Rahmenbedingungen bietet eben nur Gerasdorf - übrigens österreichweit die einzige derartige Jugendstrafanstalt. Was gleichzeitig heißt, dass hier alle straffällig gewordenen jungen Männer Österreichs einsitzen. Auch die aus Vorarlberg. "Wenn man Kontakt zur Familie haben möchte, irgendwelche Besuchsmöglichkeiten - dafür liegt Gerasdorf katastrophal", sagt Matschnig. Auch von Wien aus ist der niederösterreichische Ort nur mit dem Auto und nach langer Fahrt erreichbar.

2 Mädchen auf 100 Jungs

Die Mädchen sind weiterhin - so sie nicht besonders auffällig sind - in der Justizanstalt Josefstadt untergebracht. Es gibt aber auch viel weniger, sagt Beate Matschnig: "Im Schnitt kommen auf ungefähr 100 Burschen zur Zeit 2 Mädchen. Nicht überhaupt in den Akten, aber in Haft." Die Mädchen kommen vor allem wegen Diebstahl und Betrügereien vor Gericht, erklärt Matschnig. Einige wenige sind auch in Jugendgangs verwickelt "die, die brutal sind, sind dann sehr brutal."

Insgesamt sind die Mädchen schwieriger in der Betreuung: "Burschen können sie zum Beispiel mit Sport locken", sagt die Jugendrichterin. "Dem kann ich sagen: 'Wenn du das nicht machst, gehst du nicht Fußball spielen' und das ist für ihn eine Strafe - einem Mädchen wird das egal sein." Denn Mädchen in Haft muss man viel mehr motivieren, überhaupt etwas zu tun und nicht nur vor dem Fernseher zu sitzen.

Frauen aus dem Jugendgefängnis Schwarzau, mit bemalten Gesichtern. Filmstill aus Gangster Girls von Tina Leisch

(c) WITCRAFT/KINOKI aus dem Film "Gangster Girls" von Tina Leisch

Filmstill aus "Gangster Girls" - eine Dokumentation von Tina Leisch aus dem Frauengefängnis Schwarzau

Hier gebe es noch ein großes Manko in der Betreuung. Die sozial oder psychisch auffälligen Mädchen kommen auch schon während der Untersuchungshaft ins Frauengefängnis in der Schwarzau, dort seien sie gut betreut. Bei den restlichen, die in der Justizanstalt Josefstadt bleiben, sieht es mit der Betreuung aber weniger gut aus. "Hier ist es schwierig. Man möchte schon, dass sie etwas tun. Wir haben immerhin seit ein paar Jahren durchgesetzt, dass die, die schulpflichtig sind, gemeinsam mit den Buben in die Schule gehen. Das war nicht ganz einfach, funktioniert mittlerweile aber tadellos." Für die anderen gibt es auch in der Josefstadt verschiedene Beschäftigungsmöglichkeiten. "Jetzt gibt es ein Nagelstudio, das haben sie recht gerne, außerdem haben wir sehr engagierte Justizwachebeamtinnen, die mit ihnen bügeln oder kochen… Übrigens auch bei den Burschen steht das Kochen ganz hoch im Kurs!"

Vieles verbesserungswürdig

Insgesamt würden sich die JugendrichterInnen noch einige Verbesserungen beim Jugendvollzug wünschen, sagt Beate Matschnig: mehr Unterbringungen für straffällig gewordenen Jugendliche - idealerweise eine im Westen und eine im Süden. In der Haft sollten SozialpädagogInnen und nicht nur JustizwachebeamtInnen vor Ort sein. Ideal wäre auch ein Wohngruppenvollzug oder überhaupt Alternativen zur Haft, um eine rasche Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu ermöglichen.

Hauptdarsteller von Atmen, hinter Gittern

© epo-Film / Petro Domenigg/FILMSTILLS.AT

Filmstill aus dem Film "Atmen" von Karl Markovic

Für den Jugendstrafvollzug scheint in Österreich aber kein Geld da zu sein. Namhafte Verbesserungen sind in den letzten Jahren ausgeblieben. "Das kostet alles Geld. Auch setzt sich die Einsicht nicht durch, dass ich mir alles, was ich jetzt investiere, später an Haftkosten erspare", sagt Matschnig. Und gerade jugendliche Kriminelle hätte überhaupt keine Lobby. Zusätzliche dazu werde in der Politik derzeit nur darauf geschaut, was man jetzt sparen könne. "Es wird ja überall gekürzt. Und in dem Moment, wo beim Jugendamt und bei der Schule gekürzt wird, wird es bei uns mehr", ärgert sich die Jugendrichterin. "Das ist eine Milchmädchenrechnung: wenn ich sie mit zehn nicht betreuen kann, brauche ich mich nicht wundern, wenn ich sie mit 14 im Jugendvollzug hab!"