Erstellt am: 24. 3. 2013 - 14:51 Uhr
Who killed Bambi?
Unionsverlag
Bambi, das entzückende kleine Rehkitz - bzw. ist es im Film ein Weißwedelhirsch, ist eine der bekanntesten Tierfiguren in der Literatur. Aber Bambi ist keine Erfindung Hollywoods, sondern stammt von dem österreichischen Autor Felix Salten. Und im Original ist Bambi auch längst nicht so kitschig niedlich wie im Film. Der Schweizer Unionsverlag hat nach dem Reprint von "Bambi" vor wenigen Tagen "Bambis Kinder" rausgebracht.
Bambis Kinder
Wie schon im ersten Teil von Bambi spielt die Geschichte im Wald, in dem Tiere und Pflanzen sprechen können und sich üblicherweise höflich und respektvoll begegnen. Der Wald ist eine Abbildung der Menschenwelt, in der philosophiert, debattiert, geträumt und gehofft wird.
Zita Bereuter
Inmitten dieser Welt lebt Faline, in die sich Bambi schon als Kind verliebt hat, mit ihren gemeinsamen Kindern Gurri und Geno. Bambi ist mittlerweile der Fürst des Waldes. Er zeigt sich nur selten - wie bereits sein Vater zieht er einsam durch den Wald und sorgt für Ordnung.
Faline ist also Alleinerzieherin und schon diese Familienkonstellation hat im Jahr des Erscheinens, 1923 der erste, 1940 der zweite Band, für Aufregung gesorgt. Mit dem klassischen Familienbild war das nicht vereinbar und so haben die Gralshüter der Kinder- und Jugendliteratur über Jahrzehnte das Buch abgelehnt, erklärt der Gründer des Unionsverlag Lucien Leitess: "Dann gibt es ja auch Zeiten, wo die Mutter einfach die Kinder zurücklässt und sich mit dem Vater im Wald vergnügt. Das waren Dinge, die wurden nicht geschätzt und das Buch war ein Erwachsenenroman."
In Bambi werden die großen Probleme des Lebens aufgezeigt: die Starken gegen die Schwachen, Reichtum versus Armut, Beziehungen und Konflikte, Alleinsein und Sterben.
Zita Bereuter
Beim Erscheinen des ersten Bandes waren der Gesellschaft noch die grausamen Bilder des Ersten Weltkrieges präsent. Auch Salten verwendet viele Bilder und Metaphern, die an Schützengräben und Grabenkämpfe erinnern.
Während Einsamkeit und das Alleinsein ein zentrales Thema im ersten Teil ist, betont Salten im zweiten Teil häufig die Bedeutung von Freiheit. "Glücklich bin ich über meine Freiheit, denn nur wer gefangen war, weiß, was Freiheit bedeutet!"
Immer wieder findet man in dem 1940 in Zürich erschienen Band Analogien an das Naziregime. Etwa, als sich die Tiere im Wald vor der großen Treibjagd fürchten, die die Menschen, die immer nur mir "Er" bezeichnet werden, veranstalten: "Sie morden. Jeder Er mordet jetzt!, sprach Bambi, der plötzlich auftauchte."
Die Sprache wird mitunter äußerst brutal und grausam. "Mit einem Blutstrom füllte die zerfetzte Lunge seine Kehle und seinen Mund. Blut entströmte zu beiden Seiten dem durchschossenen Leib. Schon mit schwindelnder Besinnung raste er die paar Sätze in die Dickung. Dann brach er zusammen, zuckte und streckte sich. Bambi, der schon hilfsbereit bei ihm stand, hörte Ates letztes Wort, flüstern undeutlich: 'Gurri…!'"
Nebenbei schildert Felix Salten, der sowohl leidenschaftlicher Jäger, als auch passionierter Tierschützer war, die Natur poetisch und mit kompaktem Wissen. Scheinbar gegensätzliches zu vereinen war kein Problem für Felix Salten.
Felix Salten
1869 wird Siegmund Salzmann in eine jüdische Familie geboren. Später schreibt er unter dem Pseudonym Felix Salten erste Kurzgeschichten und wird bald zu einem gefragten Feuilletonisten, der für alle wichtigen deutschsprachigen Zeitschriften schreibt. Er schließt sich dem Literaten- und Lebenskünstlerkreis "Junges Wien" an und ist vor allem mit Arthur Schnitzler eng befreundet.
Eine aufrichte Feindschaft pflegte er hingegen mit Karl Kraus. Kraus hatte eine geheime Liebschaft von Salten publik gemacht und Salten ihm in Folge öffentlich im Cafe Griensteidl eine Ohrfeige gegeben.
"Was seine Werke anlangt, so weiß ich allerdings nicht, ob man sie bis in 100 Jahren lesen wird." schimpft Karl Kraus 1924 in der Zeitschrift Fackel verächtlich über Salten. Nachzulesen ist das in der Verlagsgeschichte vom Zsolnayverlag. Dort war Salten ab 1924 exklusiv unter Vertrag. Der im Jahr zuvor erschienene Roman "Bambi" wurde dort bis zum Krieg fast jährlich neu aufgelegt.
Innerhalb von zehn Jahren veröffentlichte Salten bei Zsolnay 16 Bücher - keines war auch nur annähernd so erfolgreich wie Bambi.
Zita Bereuter
Salten bekam bei Zsolnay ein für heutige Verhältnisse unvorstellbares Honorar: Zwanzig Prozent des Ladenpreises.
Umso erstaunlicher, dass Felix Salten vor achtzig Jahren die Filmrechte so billig an MGM verkaufte. 1.000 Dollar bekam er dafür. Walt Disney war damals noch in seinen Anfängen, erkannte aber rasch, dass mit dem Merchandising um Bambi viel Geld zu machen war. Also kaufte Disney auch die Merchandisingrechte - um 4.000 Dollar.
Vor wenigen Jahren wollte ein Anwalt aus Hollywood den Vertrag für die in der Schweiz lebenden Erben neu verhandeln, der berechnete den Wert von Bambi mit einem
dreistelligen Millionenbetrag. Zu einer Verhandlung kam es aber nicht, weil die Erben vor der Jahrtausendwende bereits eine kleine Entschädigung erhielten. Das Geld, das Salten bzw. seine Erben bei Bambi verloren haben, schätzt Lucien Leitess gering ein im Verglich zum Verlust, den Salten bei einem anderen Werk gemacht hat.
Josefine Mutzenbacher
Zita Bereuter
Der erotische Roman "Josefine Mutzenbacher. Die Geschichte einer Wienerischen Dirne." erschien 1906 anonym in einer kleinen Auflage. Schnitzler und Kraus erkannten zwar gleich Felix Salten als Autor.
Dieser konnte das unmöglich zugeben.
Das Buch war ein Skandal, der ihn "Kopf und Kragen und Renommee kosten konnte", erklärt Leitess.
Einige Jahrzehnte später war der Roman weltweit erfolgreich und es gab es keine großen Gründe mehr, die Autorenschaft zu verheimlichen.
Da war es aber zu spät - Felix Salten versuchte in mehreren Verfahren sein Urheberrecht an dem Text zu beweisen. Vergeblich. Es gab kein Manuskript mehr. "Es gab nur eine Postkarte, die hat er an Stefan Zweig oder einen seiner Freunde geschrieben und da stand drauf 'Schreibe an der M.' Aber das Gericht hat leider das nicht als einen Beweis an seiner Urheberschaft akzeptiert." fasst Leitess die Geschichte zusammen.
Zita Bereuter
"Bambi" und "Josefine Mutzenbacher" verbindet mehr als die Tatsache, dass andere Leute damit viel Geld machten.
Man kann durchaus sprachliche und inhaltliche Gemeinsamkeiten finden.
So sind es die genauen sozialen Schilderungen, die Felix Salten beherrscht - bei Josefine Mutzenbacher in die frivole Wiener Gesellschaft verlegt, bei Bambi in die Natur.
Felix Salten zeigt die gesellschaftlichen Unterschiede zwischen reich und arm, die Bedeutung von Freiheit und einer lebendigen Sexualität.
Und damit war Felix Salten seiner Zeit weit voraus und man kann seine Werke auch gut einhundert Jahre später noch lesen.