Erstellt am: 4. 5. 2013 - 10:54 Uhr
Der Mensch lässt nach
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- Schorsch Kamerun tritt am 19. Mai auf der FM4 Bühne am Linzfest auf. Zum Programm KLICK!
- schorschkamerun.de
"Am Anfang hatte man da vielleicht die Idee, jetzt engagieren wir mal einen Punker, der das vielleicht anders betrachtet oder aufmischt oder so", sinnierte Schorsch Kamerun vor ein paar Jahren über seine Anfänge als Theaterregisseur, nur um sich gleich selbst zu korrigieren: "Nein, genau das war eigentlich nicht der Fall. Da ging es um Text und um Inhalte, man hat genau nicht gesagt: ok, der rockt das jetzt."
Ja leider, diesem Klischee kann Schorsch Kamerun nicht entsprechen. Und er hält überhaupt nicht viel davon, wenn jemand im Theater glaubt, rocken zu müssen: "Das ist das Albernste und Langweiligste, was es überhaupt gibt. Ich habe auch nie was gemacht, das groß punkig ist im Theater, weil ich einfach glaube, dass das schlecht funktioniert als Form. Ich nehme schon eher die Themen ernst, behaupte ich mal."
http://schorschkamerun.de/wordpress/?cat=18
Theaterpunk? Punktheater?
Dabei war Schorsch Kameruns Band, die Goldenen Zitronen, ja immer sehr theatralisch. Mitte der Achtziger Jahre haben sie gemeinsam mit den Ärzten und den Toten Hosen den bierernsten Politslogans, die damals die Szene beherrschten, ihren kostümierten Fun-Punk entgegengesetzt. Und zu ihrer letzten CD sind sie als textlastiges Kollektiv in eigens geschneiderten Kostümen auf Tour gegangen. "Wir haben immer schon eine darstellende Form dazugeholt, bei den Videos oder wenn es darum ging, was man sich anzieht, wenn man auf die Bühne geht. Wir wollten eben nicht immer entsprechen, wir wollten die Erwartungshaltung auflösen, und daran arbeiten wir ja bis heute."
Im Pudel Club, den Schorsch Kamerun gemeinsam mit Rocko Schamoni betreibt, hat er Country-Techno-Abende veranstaltet und andere aktionistische Formen ausprobiert. Nicht zu entsprechen, das könnte so etwas wie das Credo seiner künstlerischen Arbeit sein: die Auflösung der Klischees.
Natürlich hat dann auch die Musik, die der Punker im Theater macht, nur mehr auf einer Metaebene etwas mit Punk zu tun. Viel mehr lugen da Brecht und Weill hervor, wenn Schorsch Kamerun singt: "Die Stimmung ist eigentlich ganz normal / Nur schneiden sie einem die Flossen ab / Nichts ist dramatisch / Blutig und schmerzhaft / Nur wie beweg' ich mich ohne Flossen." Da liegt der Punk eher im Absurden.
Schorsch Kamerun
Langsam wird es anstrengend
"Der Mensch lässt nach" ist der Titel von Schorsch Kameruns neuer Solo-CD, und das beschreibt die Thematik seiner letzten Arbeiten recht genau: Der Mensch kommt im kapitalistischen Verwertungskreislauf aus Produzieren und Konsumieren, aus Selbstbehauptung, Selbstoptimierung und Selbstdarstellung einfach nicht mehr mit. Arbeitskraft, Kreativität, Kaufkraft, alles voll eingesetzt. Burnout, Depression, Herzinfarkt, Ende.
Natürlich ist Schorsch Kamerun Punk genug, um angesichts dessen nicht in larmoyantes Geseier zu verfallen oder die Segnungen des Aussteigerlebens zu besingen. Seine Stücke sind eher Zustandsbeschreibungen und politische Miniaturen, eben im Sinne Brechts und Weills – natürlich ohne Handlungsanleitungen.
Schorsch Kamerun
Theater als Freiraum
Die Stücke auf "Der Mensch lässt nach" stammen aus Schorsch Kameruns Theaterprojekten der Jahre 2011 und 2012: In Hamburg, München, Köln, Leipzig und Düsseldorf sind sie entstanden. Fast alle kreisen sie um das Thema, das mit dem Albumtitel recht klar umrissen ist. Geschrieben und aufgeführt wurde mit den Musikern Carl Oesterheldt von F.S.K., Salewski von den Merricks und Anton Kaun alias Rumpeln aus dem Weilheimer Umfeld.
Wer in klassischen Schemata denkt und die Platte nur oberflächlich hört, der könnte angesichts der Arrangements meinen, die Hochkultur habe dem Punkrocker das Rebellische ausgetrieben. Aber in Wahrheit, erzählt Kamerun, sind die Freiräume am Theater oft größer als im Popbetrieb: "Gerade in den Häusern, an denen ich bisher gearbeitet habe, den größeren Stadttheatern, sitzen die Leute, die das unbedingt progressiv wollen. Und meistens ist es überhaupt nicht elitär. So Sponsorengeschichten kann ich eigentlich noch viel mehr auslassen als im Pop-Bereich. Die VIP-Zelte auf Popfestivals zum Beispiel sind viel elitärer aufgeladen als eine Theaterkantine."
Auch musikalisch merkt man diese Freiheiten. Ein gefälliges Popalbum ist "Der Mensch lässt nach" nicht geworden. Es verstört aufs erste Hören und ist noch sperriger als die Musik der Goldenen Zitronen. Aber wer sich ein bisschen auf Schorsch Kameruns Themen einlässt, der findet schnell einen roten Faden. Und allzu leicht muss man es dem Publikum ja auch nicht machen. Da sind sich Punk und Theater einig.