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Marc Carnal

Wer sich weit aus dem Fenster lehnt, hat die bessere Luft. Lach- und Sachgeschichten in Schönschrift.

12. 3. 2013 - 12:16

Tagebuch zum Jahr der Pflicht (10)

März: Eine Kombination aus Blas-, Saiten- und Perkussioninstrument mit mindestens einer Oktave Tonumfang bauen und darauf ein Lied spielen.

marc carnal

Nach dem "Jahr des Verzichts" im Jahr 2011 gilt es heuer, monatliche Pflichten zu bestehen. Mitstreiter sind in der Neigungsgruppe Pflicht jederzeit willkommen.

Jeden Monat stehen drei Aufgaben in Kategorien wie Handwerk, Wissen oder Selbstüberwindung zur Auswahl. Die Leserschaft stimmt darüber ab, welche Pflicht erfüllt werden muss.

Voting Jänner - Kategorie Handwerk

Voting Februar - Kategorie Wissen

Voting März - Kategorie Musik

Eine Art Sonderausgabe, denn: In dieser Tagebuchwoche geht es erstmals nicht nur am Rande, sondern in keiner Zeile um die zu bestehenden Pflichten. Die Morse-Prüfung wurde erneut verschoben und der Instrumentenbau bedarf bei aller Liebe zum Detail keiner täglichen Beschäftigung. So wird nun offensichtlich, was der aufmerksame Leser ohnehin schon längst durchschaut hat: Die ganze Verzicht'n'Pflicht-Nummer ist natürlich nur ein schaler Vorwand, um dieses Diarium zu führen. Der nächste Etikettierungsskandal! Sie werden mir aber gefälligst verzeihen und nun gespannt weiterlesen.

Sonntag, 3. März

● Schlimme Kindheitserinnerung: Man bekommt ein Weihnachts- oder Geburtstagsgeschenk von ungeliebten Verwandten zugeschickt und wird dann zu einem Bedankungsanruf gezwungen. Nie wusste man einen guten Text.
"Hallo, du ich wollt mich für den Hubschrauber bedanken."
"Hast du dich gefreut?"
"Ja, ich hab mich sehr gefreut."
"Schön, das freut mich."
"Danke noch mal."
"Bitte bitte."
"Baba!"
(Die Mutter rudert mit den Händen, die Geste bedeutet: Red noch weiter, sonst ist es unhöflich).
"Ich geb dir noch die Mama."
(Mutter deutet: Nein!!!!)
"Sonst geht's dir gut?"
"Ja, danke, mir geht's gut. Ich geb dir jetzt die Mama."
"Jaaaa, hallo Gertrud, er hat sich SEHR gefreut, danke!"

Montag, 4. März

● Am Straßenrand eine sitzende Bettlerin, die ihr "BieteDankeschänAllesGutäBiete…." leiert. Ein Ehepaar geht vorbei. Er zu ihr, sehr laut: "Jaja, das kenn ma schon, die will nur unser Geld!"

● Ein Satz mit "Vietnamesen"

Ich bin mal vor Jahren bei Gottschalk gewesen,
erkannte dort blind dreißig Wirtn am Essen.

Dienstag, 5. März

● Fragen mich Ortsunkundige nach dem Weg, bringt mich die schiere Möglichkeit der Inkompetenz kurz derartig aus der Fassung, dass ich herumstammle und so lange überlege, bis mir berechtigte Skepsis entgegenschlägt, wenn ich erst nach einer Minute draufkomme, wo sich ein nahes Gässchen befindet. Würde ich mir selbst in einer fremden Stadt begegnen, würde ich aus Misstrauen ob des langen Grübelns garantiert in die andere Richtung gehen.

● Ab heute bin ich mit meinem lieben Busenkollegen Max als "Willkommen Österreich Kundendienst" unterwegs. In dieser Funktion werden wir fortan Sendungsevaluation, humoristische Qualitätssicherung, Beschwerdemanagement und allgemeinen Informationsservice rund um das beliebte Spaßformat anbieten. Die Charmeoffensive hat begonnen, der Gebührenzahler ist König, wir alle sind Quote! So ist das und nicht anders.

orf

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Mittwoch, 6. März

● Nach dem Aufstehen hab ich eine Morgenlatte, später kommt es mitunter zu einer Abendlatte.

● Aus einer Immobilien-Annonce: Hier werden Sie "glücklich"!

● Lebensbilanz:
3091 Mal den Geschirrspüler eingeräumt
3090 Mal den Geschirrspüler ausgeräumt

Donnerstag, 7. März

● Ehrlicher, ungeordneter, womöglich imageschädigender Werkstattbericht: Ich habe nie das Bedürfnis, etwas "für mich" zu schreiben. Wenn ich mich bequeme, etwas in die Tastatur zu klopfen, dann nur, weil ich weiß, dass es jemand lesen wird und dass es Bares dafür gibt. Geschrieben wird tagsüber nüchtern am Computer, niemals handschriftlich. Andere Orte wie Kaffeehäuser oder Züge kommen nicht in Frage. Inspiration brauche ich nicht, es wird einfach lange genug nachgedacht. Wenn ich was zu verarbeiten habe oder traurig bin, ist Schreiben die letzte Tätigkeit, auf die ich Lust habe, dann warte ich vielmehr auf bessere Zeiten. Am liebsten sind mir öde Aufträge wie Artikel über U-Bahn-Verlängerungen, bei denen keinerlei Kreativität gefordert ist. Vier, fünf Mal im Jahr Lesungen abzuhalten reicht aus Erfahrung aus, um meinen Narzissmus zu befriedigen, darüber hinaus ist es mir völlig wurscht, wie mein Schaffen aufgenommen wird. Befriedigender als ein gelungenes Gedicht finde ich es, ein gutes Bier zu brauen.

● Ödipaler Gedanke nach der Trennung: Andere Töchter haben auch schöne Mütter.

Freitag, 8. März

● Herrliche Durchsagen des Zugbegleiters am Weg nach Salzburg: "Wenn Sie im unteren Zugteil nicht befestigte Gepäckstücke verstaut haben, kommen Sie bitte zu mir und wir sehen nach, ob sie noch da sind." Später: "Ich verstehe nicht, warum alle so früh aufstehen müssen. Der Zug wackelt bei der Einfahrt in den Bahnhof sehr stark und wir wollen nicht, dass eine Massenpanik ausbricht und Menschen sterben."

● Skandal: Felix Baumgartner und Armin Assinger sind ein und dieselbe Person!

Samstag, 9. März

marc carnal

Vielleicht kann ich meine Beliebtheitswerte ja steigern, indem ich ein Jugendfoto mit original Knight-Rider-Gedenkfriseur veröffentliche.

● Sehe zum ersten Mal "Mei liabste Weis". Nachdem die Zielgruppenüberschneidungen von FM4 und Volksmusik traditionell überschaubar sind, möchte ich kurz das Konzept dieser seltsamen Show erklären: Auf der Bühne sitzt eine Handvoll Musikgruppen ("Bands" sagt man da, glaub ich, weniger). Moderator Franz Posch, gefühlsmäßig vor der Sendung dem Zirbenschnaps durchaus zugetan, selektiert Zuseher und nimmt Anrufe entgegen.

Die Fans dürfen sich irgendein Lied, das ihnen gerade in den Sinn kommt, von einer Gruppe nach Wahl wünschen. "Ich hätt gern den Zwetschgen Landler von den Stubaier Sauhodenbuam!" Und die spielen das dann tatsächlich. Moderator Posch greift höchstens ein, wenn eine Formation die ihr zugedachte Spielzeit zu sprengen droht.

Würde nach dem Zwetschgen Landler ein Zuseher aufspringen und sagen: "Ich will die Beidlpolka von den Stubaier Sauhodenbuam!", sagt Herr Posch: "Neinneinnein, die waren gerade dran. Wir hören die Beidlpolka jetzt von den fidelen Geschwistern Schnalzenböck!" Die können das dann auch. Alle spielen alles. Lebende Lederhosen-Jukeboxes.

Könnte man diese Idee nicht auf andere Sphären übersetzen? Vierstündige Live-Sendung auf ORF3, österreichische Bands müssen spielen, was ihnen befohlen wird. Moderation: Ein offiziell betrunkener Fritz Ostermayer im Duo mit Herbert Knötzl. "Ich wünsch mir Thriller vom Nino aus Wien!" oder "Bitte einmal Come as You Are von Bauchklang!"