Erstellt am: 6. 3. 2013 - 13:42 Uhr
Deutscher Musikpreis "Echo" jetzt ohne Frei.Wild
Die Deutsche Phono-Akademie habe sich "nach intensiven Diskussionen dazu entschlossen, in die Regularien des Preises einzugreifen und die Band von der Liste der Nominierten zu nehmen“, so Florian Drücke, Geschäftsführer des Bundesverbandes Musikindustrie. Die Südtiroler Rechtsrocker Frei.Wild waren in der Kategorie "Rock/Alternativ National" gemeinsam mit den Toten Hosen, den Ärzten, Unheilig, Mia. und Kraftklub nominiert gewesen. Die Phono-Akademie hat diesen Schritt gesetzt, "um zu verhindern, dass der ECHO zum Schauplatz einer öffentlichen Debatte um das Thema der politischen Gesinnung wird". Die Vorgeschichte:
Kraftklub verzichten auf ihre Echo-Nominierung
- Rechte vereinnahmen Hardbass: Historische Gemeinsamkeiten zwischen Hardbass-Flashmobs und der Instrumentalisierung der Skinhead-Kultur. (8.11.2012)
- Undercover unter Nazis: Der deutsche Journalist Thomas Kuban hat knapp zehn Jahre lang mit versteckter Kamera auf Neonazi-Konzerten gefilmt. (7.11.2012)
Wir haben unsere Plattenfirma gebeten, dafür zu sorgen, daß
unsere Nominierung für den Echo in der Kategorie "Rock/Alternativ National" zurückgezogen wird.
Wir möchten nicht weiter in einer solchen Reihe genannt werden.
Obwohl wir uns gefreut haben zusammen mit Mia., Die Toten Hosen, Unheilig, und Die Ärzte nominiert gewesen
zu sein. Schade um die schöne Aftershowparty…
So steht es seit Mittwoch auf der Facebook-Seite von Kraftklub. Die Liste der Nominierten zum Echo wird sowohl durch Verkaufszahlen als auch durch eine Jury erstellt. Neben den von Kraftklub Genannten fand sich auf der Liste der Nominierten in der Kategorie "Rock/Alternativ National" nämlich auch die Band Frei.Wild, also der eigentliche Grund für Kraftklubs Verzicht.
Radio FM4 / Niko Ostermann
Kraftklub, die - wie schon 2012 - auch heuer wieder am FM4 Frequency Festival zu sehen sein werden, ernten für ihre Entscheidung heute - zumindest auf ihrer FB-Seite - großteils Verständnis.
Mia. ziehen nach
Mittwoch Nacht gab dann auch Mia. (ebenfalls via Facebook-Seite) bekannt, es Kraftklub gleichzutun und die Echo-Nominierung abzulehnen.
Wir haben uns heute sehr, aber leider auch nur sehr kurz über unsere ECHO-Nominierung gefreut, da unter den aktuell Nominierten mit Frei.Wild eine Band genannt wird, deren Weltbild wir zum Kotzen finden.
Es mag nicht in unserer Hand liegen, welche Künstler für einen Echo nominiert werden, aber es liegt in unserer Hand, von unserer Nominierung dankend Abstand zu nehmen.
Den Ärzten war der Echo laut Eigenaussage sowieso egal. Unheilig und die Toten Hosen haben die Sache schweigend ausgesessen.
Wer ist Frei.Wild?
Die Band Frei.Wild stammt aus Südtirol. In der von ihr besungenen Welt sind die Straßen "frei von Perversen und Chaoten", Feinden werden "die Zähne eingeschlagen", Kampfschwüre machen Stimmung gegen Italien: "Südtirol, deinen Brüdern entrissen, schreit's hinaus, dass es alle wissen, Südtirol, du bist noch nicht verlorn, in der Hölle sollen deine Feinde schmorn." Germanischer Nationalismus made in Südtirol, in dessen Visier "Gutmenschen", "Moralapostel" und "penetrante Meinungsmacher" stehen.
Frei.Wild sind dem Genre des Identity Rock zuzuordnen. Dessen Wurzeln liegen in den achtziger Jahren bei Ian Stuart Donaldson, dem Sänger der britischen Band Skrewdriver. Donaldson schrieb damals: "Musik ist eine potenzielle Kraft, um Nachrichten zu übermitteln. Und ich glaube, dass wir diese europaweit einsetzen sollten."
Der Sänger gründete das berüchtigte rechtsextreme "Blood & Honour"-Netzwerk. Während bekennende Nazi-Rockbands wie Race War plumpen Antisemitismus propagieren ("Bombt doch all die Scheiße weg", bezogen auf Israel), hüten sich Identity-Rock-Bands davor. Stattdessen wollen sie nationalistische und völkische Ideen in die Gesellschaft hineintragen, ohne potenzielle Zuhörer durch zur Schau gestellte Gewaltbereitschaft zu verschrecken.
Für den deutschen Rechtsextremismus-Experten Thomas Kuban ("Undercover unter Nazis") ist die Grenze zwischen eindeutigen Neonazi-Bands und Identitätsrock-Bands fließend. In einschlägigen Neonazi-Foren werde die Band jedenfalls ständig gelobt. Die Botschaften kämen in den einschlägigen Neonazi-Kreisen gut an, sagt Kuban, der neben seiner Undercover-Recherche auf Rechtsrock-Events auch seit zehn Jahren die Internetaktivitäten Rechtsextremer genau beobachtet. In einem Forum schrieb ein User: "Ich denke, dass Frei.Wild das genau richtig macht. Eine rechte Einstellung in der Öffentlichkeit zu zeigen bedeutet, unterzugehen. Die unpolitische Schiene zu benutzen bedeutet, eine große Masse anzusprechen." Oder ein anderer User eines Naziforums, auch über die Band Frei.Wild: "Sie hatten immer ihren patriotischen Standpunkt in den Texten, ohne ins Extreme abzuschweifen. Das finde ich sehr hilfreich im nationalen Sinne, denn damit erreichen sie gut normale Leute, welche dadurch schneller ihre Vorbehalte gegenüber Patriotismus und Nationalstolz verlieren."
Gerade die Band Frei.Wild, so Kuban, sei ein Beispiel, wie das im erschreckenden Ausmaß gelinge. In den letzten Jahren sei sie zunehmend politisch geworden: "Die Texte ihrer neuen CD leben von einer Vielzahl von Anspielungen. Im Lied 'Gutmenschen und Moralapostel' etwa heißt es: 'Ich scheiß auf Gutmenschen und Moralapostel / Selbsternannt, political correct / All die Verbrechen, all der Schmerz auf dieser Welt / Wurde euch so oft zuteil / Ihr seid arm und meidet Geld / Komisch, dass es euch so gut geht / Dass ihr selbst in Reichtum schwelgt".
Von einem entsprechend interessierten Zuhörer, so Kuban, werde das als antisemitisches Motiv aufgenommen, weil in der Nazipropaganda die Juden als die Reichen gelten – und Juden die Opfer der Nazizeit sind, worauf sich die Anspielung "All die Verbrechen, all der Schmerz auf dieser Welt" beziehe.