Erstellt am: 7. 11. 2012 - 14:32 Uhr
Undercover unter Nazis
Die Kuschelrechten?
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Paul Pant hat einen Identitären getroffen und mit ihm gesprochen.
Rechte Vereinnahmung von Hardbass
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Im Jahr 2003 besucht Thomas Kuban zum ersten mal ein Rechtsrock-Konzert – bekleidet mit Schnürstiefeln, Armyhose und Bomberjacke. Denn es waren vor allem die konspirativen, im Geheimen veranstalteten Neonazi-Events, die den Journalisten interessierten. Rechtsextreme sollten dort angeblich zu Songs wie “Blut Muss Fließen” feiern, einem Marschlied der SA in der NS-Zeit, das die Band Tonstörung aus Mannheim später zu einem Rechtsrock-Song umgestaltet hat. “Blut muss fließen, knüppelhageldick, und wir scheißen auf die Freiheit dieser Judenrepublik” heißt es darin.
Getarnt als Nazi und unter Lebensgefahr hat Thomas Kuban (der Name ist ein Pseudonym) über die Jahre das Vertrauen von Szenegrößen gewonnen. Seine Recherchen und sein Filmmaterial an Medien zu verkaufen hat sich trotzdem - mangels Interesse leitender Redakteure - oft als unmöglich herausgestellt. Deshalb hat der Undercover-Journalist nach knapp zehn Jahren seine Erfahrungen in Form eines Buchs und eines Kinofilms veröffentlicht.
Schnitzeljagd vor Konzerten
Campus Verlag
Das Auffinden eines konspirativen Neonazi-Events ähnelt einer Schnitzeljagd: Der erste Treffpunkt wird kurzfristig per SMS, E-Mail oder Mundpropaganda angekündigt. Um den Veranstaltungsort zu finden, muss man sich dann von Treffpunkt zu Treffpunkt, oft Autobahnparkplätze oder Waldlichtungen, weiterarbeiten. bis zu irgendeiner Halle oder einem Gasthof auf dem Land. Dutzende Male hat Thomas Kuban Neonazi-Konzerte mit versteckter Kamera gefilmt. Die Verstecke seiner Ausrüstung will er nicht verraten, damit anderen Journalisten solche Undercover-Recherchen auch in Zukunft noch möglich sein werden.
Das Gefühl, als Neonazi getarnt zu Rechtsrock-Konzerten zu gehen, beschreibt Kuban als beängstigend: „Man taucht in eine völlig andere Welt ein. Massenhaft wird der Hitlergruß gezeigt. Es wird ‚Sieg Heil‘ geschrien. Es werden Lieder gegrölt, in denen zu Mord an Fremden oder an Juden aufgerufen wird. Es ist eine Wirklichkeit, die man so im Alltag überhaupt nicht mitbekommt und auch nicht für möglich hält.“
Polizei schreitet nicht ein
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Bei den geheimen Konzerten, die Thomas Kuban filmt, ist Polizei anscheinend nicht anwesend. Aber auch auf öffentlichen, angemeldeten Rechtsrock-Events, die der Journalist besucht, geht die Polizei oft nicht in den Konzertsaal hinein oder schreitet trotz Anwesenheit im Saal nicht ein. Kuban: „Ich habe auch erlebt, dass Polizei bzw. Staatsschutz im Konzertsaal war, aber trotzdem Straftaten während des Konzerts begangen werden konnten. Da haben Bands volksverhetzende Lieder gespielt, es gab Gewaltaufrufe gegen die Macher der Wehrmachtsausstellung, es gab Hitlergrüße – jeder Polizist musste das erkennen, selbst wenn er schlecht ausgebildet ist.“
Thomas Kuban beschreibt im Buch „Blut Muss Fliessen“ auch die Verbindungen zwischen Neonazis und kriminellen Rocker-Banden wie den Hells Angels. Kurios mutet die vom Autor beschriebene Allianz zwischen Neonazis und ins rechtsextreme Eck abgedrifteten Black-Metal-Gruppierungen an. Kuban schildert eine Szene bei einem von Neonazis und Black-Metal-Fans besuchten Konzert, die er selbst erlebt hat: Ein polnischer Skinhead wird aufgrund seines zu wilden Pogo-Tanzstils von langhaarigen Metal-Fans mit Hitlergrüßen und Sieg-Heil-Rufen verjagt. Vor einigen Jahren hätten Nazis die langhaarigen Black-Metal-Fans noch als „Zeckenzüchter“ ausgelacht, mittlerweile seien die Szenen vielerorts zusammengewachsen: „Es ist der heidnische Black-Metal-Bereich, der für die Nazis interessant und für die Nazi-Ideologie anfällig ist“, sagt Kuban. „Dabei spielen germanische Mythologien eine Rolle, die germanischen Gottheiten – denn diese sind auch für Nazis von Bedeutung. Außerdem spielt im heidnischen Black-Metal der Hass gegen gegen Juden oder Christen oft eine große Rolle, auch hier deckt sich das Weltbild mit dem der Nazis. So ergibt sich in manchen Ortschaften eine Verschmelzung der Szenen, weil man ähnliches Gedankengut pflegt. Dann kommt es tatsächlich zu dem kuriosen Bild, dass langhaarige Black-Metal-Fans einen polnischen Skinhead mit Hitlergrüßen und Sieg-Heil-Rufen konfrontieren“. Das Zusammenwachsen der ungleichen Szenen ist für Kuban nur eines von vielen Indizien für das Wachsen der Nazibewegung.
Die Rolle der NPD
Im Kapitel „Nazionaldemokraten“ analysiert Kuban die Rolle von NPD-Aktivisten bei der Organisation von Rechtsrock-Events. Anstatt Nazi-Hardcore-Bands wie Tonstörung oder Noie Werte spielen dort eher gemäßigte Rechtsrockbands oder Liedermacher. Hitlergrüße und andere Verstöße gegen das Verbotsgesetz seien zwar offiziell verpönt, trotzdem komme es gelegentlich zu Vorfällen. So wurde Kuban Zeuge, wie bei einem Auftritt der Black-Metal-Band Calslagen das Publikum forderte, die auf der Bühne aufgehängte schwarz-rot-goldene Deutschlandflagge zu entfernen: „Hängt die Judenfahne ab“ riefen mehrere "reichsdeutsche" Besucher, verbunden mit einem handfesten Tumult.
Insgesamt habe die NPD ihre Strategie perfektioniert, mit Rechtsrock junge Leute zu ködern. Sogenannte „Schulhof-CDs“ werden kostenlos verteilt und als Gratis-Download zur Verfügung gestellt. Die NPD nutze ihren Parteistatus, um öffentliche Großveranstaltungen anzumelden, die keine „Freie Kameradschaft“ genehmigt bekäme. Dabei agiere die Partei manchmal sogar als Tarnorganisation für das verbotene Netzwerk „Blood & Honour“, das unter verschiedenen Decknamen auch nach dem Verbot weiter in Deutschland, Österreich und ganz Europa aktiv sei.
Medien sind nicht interessiert
Einen wichtigen Teil von Kubans Geschichte nehmen auch seine zahlreiche Versuche ein, das unter Lebensgefahr gedrehte Material an TV-Sender zu verkaufen, Versuche, die meist gescheitert sind. So konnte der Undercover-Journalist bis heute die Filmaufnahmen eines Rechtsrock-Konzertes in Sachsen-Anhalt nicht verkaufen, in dessen Vorfeld es bereits massivste politische Diskussionen gab: Das Konzert im Jahr 2009 war von den Behörden zuerst verboten worden, doch das zuständige Verwaltungsgericht hat das Verbot wieder aufgehoben. Auf dem Konzert kam es schließlich zu Straftaten, die Kuban heimlich filmte. „Ich habe das Material mindestens einem halben Dutzend politischer Magazinredaktionen angeboten. Es wollte keiner.“ Ein Konzert, das zuerst verboten, dann aufgrund einer behördlichen Entscheidung doch erlaubt wird und auf dem schließlich sogar Straftaten gefilmt werden ist keine sendenswerte Story?
„Die Gründe für die Ablehnung meines Materials waren teilweise grotesk. Einmal sagte mir ein Redakteur, man hätte ähnliches Material ja schon gesendet, ich böte 'Deja-Vu-Material' an. Ich denke aber: Ganz im Gegenteil, wenn die Neonazi-Szene wächst, dann muss man deren Veranstaltungen immer wieder zeigen. Wenn die Privatverschuldung jedes Jahr steigt, würde auch keiner sagen: ‚Darüber bringen wir nichts mehr, das hatten wir ja schon‘“.
Neonazi-Business
Sowohl Politik als auch Medienöffentlichkeit hätten es stark vernachlässigt, die wachsende Nazibewegung zu beobachten. So hätten sich Rechtsextreme zunehmend starke Geschäftsstrukturen aufbauen können: Vertriebe, Versandhäuser und Ladengeschäfte, in denen CDs, Konzertkarten oder rechte Lifestyle-Marken verkauft werden und damit die Szene finanzieren. Kuban: „Dadurch ist die Bewegung jetzt so stark geworden, dass sie auch eine ausreichend radikalisierte Gruppe beinhaltet – den Unterstützerkreis des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds, also einer Terrorgruppe. Der NSU ist für die Nazibewegung nicht wirklich relevant. Aber die Nazibewegung war umgekehrt wichtig für den NSU. Denn wenn die Nazibewegung nur eine kleine Szene wäre, eine Randgruppe, dann wäre die Wahrscheinlichkeit weit geringer, dass man ausreichend radikalisierte Personen findet, die eine Terrorzelle unterstützen.“
Identitätsrock ist nur scheinbar unpolitisch
Thomas Kuban widmet sich auch dem Graubereich zwischen dem echten Neonazi-Untergrund und dem scheinbar unpolitischen „Identitätsrock“. Er beginnt bei Ian Stuart Donaldson, dem Sänger der britischen Band „Skrewdriver“, der in einem Interview in den achtziger Jahren sagte: „Musik ist eine potenzielle Kraft, um Nachrichten zu übermitteln. Und ich glaube, dass wir diese europaweit einsetzen sollten.“ Donaldson gründete das „Blood & Honour“-Netzwerk und gilt als Vorreiter des „Identity Rock“. Richtige Nazi-Rockbands wie Race War singen „Jupheidi und bumsfallera, das World Trade Center ist nicht mehr da“, oder bezogen auf Israel: „Bombt doch all die Scheiße weg“. Vor derart offenem, plumpen Antisemitismus hüten sich Identity-Rock-Bands, und sie betreiben auch keinen offenen Hitlerkult. Identitätsrocker wollen nationalistische und völkische Ideen in die Gesellschaft hineintragen, ohne potenzielle Zuhörer durch zur Schau gestellte Gewaltbereitschaft zu verschrecken. Die Grenze zwischen eindeutigen Neonazi-Bands und Identitätsrock-Bands sei fließend, sagt Thomas Kuban. In Neonazi-Foren werde zum Beispiel die Band "Frei.Wild" ständig gelobt.
"Frei.Wild" stammt aus Südtirol. Derzeit ist sie wieder auf Tournee in Deutschland und Österreich – das erste Konzert Anfang November fand in der Düsseldorfer Westfalenhalle vor tausenden Zuschauern statt . In der von "Frei.Wild" besungenen Welt sind die Straßen „frei von Perversen und Chaoten“. Auf sadistische Gewaltfantasien von Feinden, denen die "Zähne eingeschlagen" werden, folgen antiitalienische Kampfschwüre: „Südtirol, deinen Brüdern entrissen,/schreit's hinaus, dass es alle wissen,/Südtirol, du bist noch nicht verlorn,/in der Hölle sollen deine Feinde schmorn.“ Germanischer Nationalismus made in Südtirol, in dessen Visier „Gutmenschen“, „Moralapostel“ und „penetrante Meinungsmacher“ stehen.
"Frei.Wild" macht Patriotismus und Nationalismus salonfähig
Die Botschaften kommen an in den einschlägigen Neonazi-Kreisen, berichtet Thomas Kuban, der neben seiner Undercover-Recherche auf Rechtsrock-Events auch seit zehn Jahren die Internetaktivitäten Rechtsextremer genau beobachtet. „In einem Forum schrieb ein User: ‚Ich denke, dass 'Frei.Wild' das genau richtig macht. Eine rechte Einstellung in der Öffentlichkeit zu zeigen bedeutet, unterzugehen. Die unpolitische Schiene zu benutzen bedeutet, eine große Masse anzusprechen.‘ Oder ein anderer User eines Naziforums, auch über die Band "Frei.Wild": ‚Sie hatten immer ihren patriotischen Standpunkt in den Texten, ohne ins Extreme abzuschweifen. Das finde ich sehr hilfreich im nationalen Sinne, denn damit erreichen sie gut normale Leute, welche dadurch schneller ihre Vorbehalte gegenüber Patriotismus und Nationalstolz verlieren.“ Gerade die Band "Frei.Wild", so Kuban, sei ein Beispiel, wie das im erschreckenden Ausmaß gelinge.
In den letzten Jahren würden die Grenzen zwischen deutschsprachigem Rechtsrock und Identitätsrock zunehmend verschwimmen, sagt Kuban. Auch "Frei.Wild" sei zunehmend politisch geworden. „Die Texte ihrer neuen CD leben von einer Vielzahl von Anspielungen. Im Lied ‚Gutmenschen und Moralapostel‘ etwa heißt es: ‚Ich scheiss auf Gutmenschen und Moralapostel / Selbsternannt, political correct / All die Verbrechen, all der Schmerz auf dieser Welt / Wurde euch so oft zuteil / Ihr seid arm und meidet Geld / Komisch, dass es euch so gut geht / Dass ihr selbst in Reichtum schwelgt“. Von einem entsprechend interessierten Zuhörer, so Kuban, werde das als antisemitisches Motiv aufgenommen, weil in der Nazipropaganda die Juden als die Reichen gelten – und Juden die Opfer der Nazizeit sind, worauf sich die Anspielung „All die Verbrechen, all der Schmerz auf dieser Welt“ beziehe.
Mehr über die Vereinnahmung von Musik durch Rechtsextreme gibt es hier. Das Thema: Hardbass-Musik: Dieses Subgenre von Techno wird ja derzeit oft in Verbindung mit den sogenannten "Identitären" gebracht. Ist Hardbass wirklich die neue rechte Musik? Woher kommt sie, und wohin geht sie?
Medien sollten in der Berichterstattung tiefer gehen
Nach knapp zehn Jahren Recherche im Internet, auf öffentlichen Identitätsrock-Veranstaltungen und auf konspirativen Neonazi-Events kommt Thomas Kuban zum Schluss: Die rechte Szene wächst größenteils unbehelligt von den Behörden und Medien. Er plädiert nicht nur für mehr Wachsamkeit seitens der Politik, sondern auch für einen neuen Journalismus: Auf dem heutigen Medienmarkt seien leider zunehmend Redakteure gefragt, die crossmedial denken, also aus einer Nachricht viele Berichte anfertigen - und nicht Rechercheure, die aus vielen Informationen einen langen Bericht erarbeiten. „Blut Muss Fliessen“ von Thomas Kuban ist ein enorm wichtiges Werk, erschienen als Buch im Campus-Verlag, und demnächst als DVD bei FilmFaktum.