Erstellt am: 6. 2. 2013 - 15:10 Uhr
Brief an den Premierminister
Diesen Sommer reisten wir mit meinem Bruder per Anhalter durch Bulgarien. Wenn man jung und nicht in Eile ist, ist das vielleicht der beste Weg zu reisen. Man trifft alle möglichen Gestalten. Das einzige Problem ist, dass man manchmal sehr lange warten soll. Wenn man als Warteplatz eine Tankstelle oder ein Wald erwischt, ist es gut, aber manchmal gibt es einfach keinen Platz, wo man von der Sonne oder vom Regen verstecken kann.
Es hatte 33 Grad im Schatten. Wir warteten schon mehr als zwei Stunden. Die Sonne hat uns so aufgebacken, so dass wir wie die Protagonisten aus „Slumdog Millionaire“ aussahen. „Wer wird wohl zwei Inder nehmen?“, fragten wir uns. Im gleichen Moment hielt ein weißer Minivan mit britischem Kennzeichen und mit dem Lenkrad an der „falschen“ Seite. „Hey guys, springt rein“, hörten wir von innen auf eine seltsame Mischung von Bulgarisch und Englisch.
Drogendealer in Pension
Unser Retter war George aus Southhampton. George sah wie ein Schläger aus den Guy Ritchie Filmen aus. Mit kahlem Schädel, fehlendem Nacken, tätowiert von den Wangen bis zu den Zähen und mit nur einem Zahn im Mund. George gab ohne große Bedenken zu, dass er ein Drogendealer in Pension ist. Jetzt versteckte er sich vom britischen Gesetz in einem bulgarischen Dorf, wo er Hühner und Puten züchtete. Unser neuer Freund ließ uns wieder auf eine Abzweigung. Danach warteten wir weitere drei Stunden. Wie können uns immer noch an George und seine Gutmütigkeit erinnern. Ob er in England auch so gutmütig war, weiß ich nicht. In den letzten Jahren haben sich viele Engländer in Bulgarien angesiedelt. Manche kandidieren sogar als Bürgermeister in ihrer neuen Heimat. Wenn sie Bulgaren sein wollen: Welcome!
Rechnen wir mal nach
Niemand in Bulgarien hat Angst vor dieser Invasion der Briten. Auf der Insel aber wird die Bevölkerung mit den Rumänen und Bulgaren verschreckt. Der Bürgermeister von London sagte, man erwarte viele schlaflose Nächte, wenn die Bulgaren und die Rumänen in die britische Metropole kommen. Die konservative Regierung schwört, dass die Öffnung des Arbeitsmarkts für bulgarische und rumänische Staatsbürger am 1. Jänner 2014 die britische Wirtschaft vernichten wird. Diese Ängste werden 2014 zu einer Volksbefragung für den Verbleib Großbritanniens in die EU führen.
Ich will jetzt David Cameron, was die Bulgaren angeht beruhigen. Er ist ein Finanzexperte, deshalb verwende ich Zahlen. Die Bevölkerung von Bulgarien beträgt momentan ein bisschen mehr als sieben Millionen Menschen. Wenn man die drei Millionen Pensionisten und die eine Million der Nicht-Volljährigen wegrechnet, bleiben drei Millionen Menschen im arbeitsfähigen Alter. Wenn man von denen die Nationalisten, die EU-Gegner sind und niemals Bulgarien verlassen wollen, subtrahiert, bleiben zwei Millionen.

BBC
Wir nehmen jetzt an, dass alle diese zwei Millionen zu emigrieren versuchen. Traditionell bevorzugen bulgarische Arbeiter Italien und Spanien, weil dort das Klima warm ist und sie an ihr Heimatland erinnert werden. Bleibt also eine Million. Noch beliebter als England ist bei Bulgaren allerdings Deutschland, da die beiden Länder traditionell gut miteinander auskommen. Sagen wir also nach Deutschland geht eine halbe Million. Es bleiben 500 000. Die Hälfte davon träumt von der USA. Es bleiben 250 000. Wenn man von denen die subtrahiert, die bei Polizei und Verwaltung beschäftigt sind und sicheres Einkommen haben, bleibt absolut niemand, der nach England will! Sei beruhigt Cameron! Jeder, der Bulgarien verlassen wollt, hat es schon getan. Außerdem wer soll jetzt bei euch die Erdbeeren pflücken, wenn es kein Brite machen will?
Too much like work: Robert Rotifer über David Camerons (Anti)-Europa Rede (24.1.2013)
Imagine
Jetzt aber ernsthaft: Im Kern der britischen Ängste geht es vor allem um die Roma in Bulgarien und Rumänien - obwohl das niemand der britischen Politiker so formulieren würde. Seit Jahren wird Osteuropa von der EU und von diversen NGOs wegen Diskriminierung der Roma beschuldigt. Die Wahrheit ist, dass die Intoleranz gegenüber der Romabevölkerung in den alten EU Mitgliedsstaaten viel größer ist. Beispiele wie Frankreich und Italien, die Tausende von Roma abgeschoben haben, belegen das.
Die offiziellen Statistiken der EU zeigen es auch: die Toleranz gegenüber der Roma und Bulgarien, Rumänien oder der Slowakei ist viel größer als die von den Franzosen, Spanier, Belgier oder die Briten. Eine rumänische PR-Agentur antwortete auf die in der britischen Presse geführte Antiwerbung für Bulgarien und Rumänien mit dem Satz „80% unserer Bevölkerung spricht besser Englisch als jeder Franzose“.
Niemand in Europa liest aber rumänische Medien. Stattdessen lesen sie die Äußerungen von Cameron und wie sich HC Strache mit dem Premierminister solidarisch zeigt. Als ich mich neulich für einen Job beworben habe, fragte mich mein Chef zehnmal, ob ich ein Asylbewerber bin. Ich sagte zu ihm, dass er mich wie ein Däne oder ein Franzose betrachten soll. Danach hob er nur seine Augenbrauen. Er hat auch nicht die rumänischen Medien gelesen und ist nie per Anhalter mit George aus Southhampton gereist. Aber vielleicht passiert ein Wunder und David Cameron liest diese Zeilen. Und dann verschwindet der Fremdenhass auf einmal. Imagine, sang mal der Brite John Lennon.