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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

24. 1. 2013 - 01:15

Too much like work

David Cameron sollte mehr dänisches Fernsehen anschauen, dann hätte er gestern vielleicht nicht taktischen Selbstmord begangen (includes link to English version).

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West Wing war vorgestern, in Großbritannien sieht das politisch interessierte Seifenopernpublikum seit anderthalb Jahren nur mehr Borgen, die dänische Serie über die Premierministerin Birgitte Nyborg an der Spitze einer kniffligen Kopenhagener Koalitionsregierung im Spannungsfeld zwischen ihren idealistischen Instinkten und einem machiavellistischen Manipulationstalent.

Alle sehen das an, nur David Cameron nicht. Die Serie erinnert ihn, wie man kürzlich in der Daily Mail las, „zu sehr an die Arbeit“ – "too much like work."

Ich glaube ja, er schmeichelt sich da ein wenig. Vor allem aber hat er offenbar bereits so manche hilfreiche Lektion verpasst.

Heute – ich schreibe das hier in der Nacht nach Camerons großer (Anti-)Europa-Rede – wird fast die ganze chauvinistische Tagespresse seine großen Worte loben. Doch so geht es immer zu in den Borgen-Episoden, bevor sich das Schicksal drastisch wendet.

Der fönfrisierte, froschäugige Nigel Farage, Chef der UK Independence Party, die ihren Rechtspopulismus mit einem charmanten Lächeln verkauft, kann sein Glück gewiss kaum fassen. Ich habe ihn allein gestern in den Nachrichten in insgesamt vier Diskussionsrunden über Camerons EU-Ultimatum herziehen gehört und gesehen, drei davon auf der BBC. Soviel Werbung für eine Partei ohne einen einzigen Unterhausabgeordneten ist unbezahlbar.

Für Cameron, den Gelegenheits-Churchill, beginnen nun vier interessante Jahre bis hin zur versprochenen Abstimmung über den Verbleib Großbritanniens in der EU, in zwei Jahren unterbrochen durch Unterhauswahlen, deren Wahlkampf er nun mit diesem Schachzug – auf der Flucht vor dem rechten Flügel seiner Partei – einigermaßen verfrüht eingeleitet hat.

Solch ein Zug ist allerdings nur dann gut, wenn er die nachfolgenden Züge mitbedenkt. Und in dieser Hinsicht ist Camerons Schule des Schach bestenfalls mit einem optimistischen „Wird schon“ zu umschreiben.

Bild aus Borgen

DR

Birgitte Nyborg, nachdem sie gerade David Cameron zum Frühstück hatte

Er verspricht, einen neuen Deal für Großbritannien auszuverhandeln. Diffus genug, um irgendwelche Alibikonzessionen als Triumph verkaufen zu können (flexibler, wettbewerbsfähiger soll die EU werden – hat der neoliberale Konsens dieses Vereins in den letzten 20 Jahren denn je was anderes verlangt?).
Aber in Wahrheit wird das seine national begeisterten HinterbänklerInnen wenig kümmern.

In den kommenden zwei Jahren der Verhandlungen mit der EU bis zu den nächsten Unterhauswahlen werden diese Leute sich in ihrer Feindseligkeit gegenüber der Brüsseler Arroganz bestätigt sehen und von Cameron nicht nur die versprochene Abstimmung, sondern auch den bei einem unbefriedigenden Ausgang des britischen Begehrens nach Sonderkonditionen in Aussicht gestellten Austritt einfordern.

Im Gegensatz zu Cameron werden nur Farage und seine UKIP mit einer klaren Ablehnung der EU-Mitgliedschaft in die Wahl ziehen können. Wenn Cameron trotzdem wider Erwarten bis 2015 das britische Brustklopfen aufrecht erhalten und damit tatsächlich die Wahlen gewinnen sollen könnte, findet er sich zwei Jahre darauf erst recht in der Bredouille wieder.

Entweder seine Verhandlungen werden völlig gescheitert sein. Dann muss er aus der Position eines international isolierten Verlierers für einen Austritt eintreten – mit allen Konsequenzen inklusive des Endes sämtlicher von den britischen Medien verschwiegenen EU-Förderungen für die von der Deindustrialisierung betroffenen verarmten Provinzen, von Wales über Cornwall bis zum englischen Nordosten.
Oder – die bei weitem wahrscheinlichere Variante – er holt sich bei der EU ein paar symbolische Gesten ab, die die euroskeptische Fraktion der Tories und UKIP postwendend und freudig in der Luft zerreißen werden.

Cameron ist dann der Verräter der nationalen Hoffnungen. Und darüber hinaus muss er in diesem Fall – entgegen aller Instinkte seiner konservativen Basis – auch noch enthusiastisch für ein Ja zur EU wahlwerben. Viel Glück dabei.

Nigel Farage weiß das und schaut heutzutage noch selbstgefälliger drein als sonst. Birgitte Nyborg hätte alles längst von weitem kommen gesehen. Cameron, der heute das vergängliche Lob der Presse einfährt, ist dagegen morgen schon Toast.