Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Back When Pluto Was A Planet"

Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

2. 2. 2013 - 08:30

Back When Pluto Was A Planet

Bis Sonntag läuft das Berliner Medienfestival Transmediale. Die dortige Fülle an Installationen, Konzerten und Aktionen bietet Schabernack gleichermaßen wie Störgeräusche.

Schaut man sich das Programm des Medienfestival an, macht einem die unübersichtliche Fülle auch dieses Jahr fast hilflos: Live-Performances, Musik-Sets und offene Ateliers geben Einblicke in die digitale Kunst und Kultur, dazu kommen jede Menge Ausstellungen, Screenings, Performances, Konferenzen, Workshops und re-source, was immer das sein mag.

Auch das Motto BWPWAP, ist erst einmal nur rätselhaft. Das Akronym für "Back When Pluto Was A Planet" benutzt man im Netzjargon, um über Dinge zu reden, die sich vor kurzem schnell verändert haben.

Berge und der Schriftzug BWPWAP

Ansel Adams

Denn seit 2006 ist Pluto im Zug der Neudefinition des Planetenbegrifffs nämlich kein Planet mehr, sondern nur ein Zwergplanet. Und so soll sich die diesjährige Transmediale um den Zeitgeist und die Identitätskrise, so wie Pluto sie durchlebt, drehen. Das BWPWAP Curatorial Statement erklärt das so:

"Als Mobiltelefone noch stumm waren. Briefe durch Rohrpostanlagen flogen. Tweets von Vögeln kamen. User mit Minitel chatteten. IRC von ICQ ablöst wurde. Xerox mit Thermofax konkurrierte. YouTube irgendein Web 2.0-Start-Up war. Fax das neue Telex war. Man Bulletin Board Systeme abrief. Nur Studenten Facebook nutzten. Geschichte zu Ende gegangen war. Wir neun Planeten hatten. Pluto was a Planet."

Wie dem auch sei, interessant sieht die Installation im Haus der Kulturen der Welt aus. Dort hat man gemeinsam mit den Telekommunisten, ein in Berlin ansässiges Künstlerkollektiv, ein eigenes Rohrpostsystem unter der Decke des Hauses montiert und damit eine fast vergessene Technologie wiederbelebt. Das Rohrpostsystem soll natürlich auch als Antwort auf Facebook gelesen werden, denn auch dort - so der Ausstellungstext - definiert das System, in welchem eng begrenzten Raum Kreativität überhaupt noch möglich sein soll. Und niemand weiß, was genau mit den Daten passiert, die das einzelne Mitglied von seinem Rechner ins System einschleust. Wobei man bei der guten alten Rohrpost die Rohre auch aufmachen und die Nachrichten wieder rausfischen könnte.

Rohrpostanlage bei der Transmediale

Juan Quinones / transmediale

Es geht also um alte Technik aber auch um die Techniken des Widerstands. Die Ausstellungsreihe "The Miseducation of Anya Major" etwa nimmt den legendären Werbespot für den ersten Macintosh-Computer zum ironischen Ausgangspunkt. In dem Spot wird der Mac als Instrument der Befreiung dargestellt, der dafür sorgen wird, dass die düsteren Zukunftsszenarien aus George Orwells 1984 niemals eintreten. Heute ist jedoch die vermeintliche Kreativität eines Apple-Nutzers, der von immer smarterer Technik abhängt, ein fragwürdiger Fortschritt.

Unter dem Motto "The Golden Age" steht 2013 die kleine Schwester der Transmediale, der Club Transmediale, CTM. Das "Festival for Adventurous Music and Related Arts" gilt längst als interessantestes Musikfestival Berlins. Was einst als ergänzendes musikalisches Abendprogramm des Mutterschiffs Transmediale gedacht war, hat sich zum "Club Transmediale" ausgeweitet. "Kein Festival ohne Diskurprogramm!" ist ja das Kuratorengebot der Stunde und so hat das einstige Abendprogramm zum Tagesprogramm inzwischen sein eigenes Tagesprogramm mit "lectures", Diskussionen, "musicmakers hacklab", Ausstellungen und Performances an mehreren Orten der Stadt.

Aus dem Leben der Lo-Fi-Boheme von Christiane Rösinger

Das abendliche Musikprogramm des CTM darf man sich nicht als rein vergnüglichen Zeitvertreib vorstellen. Die Eröffnungveranstaltung im Theater Hebbel am Ufer zeigte am Montag Abend auch die tödlich langweilige Seite der "abenteuerlichen Musik". Den ersten Teil des Eröffnungskonzerts bestritten nämlich atom TM, die Klangkünstler Marc Behrens und Uwe Schmidt; letzterer wurde einem größerene Publikum unter dem Namen Señor Coconut mit Versionen von Kraftwerk-Stücken bekannt. Am Montag setzten sich die beiden Elektro-Pop-Avantgardisten demonstrativ auf zwei Sessel und blickten überheblich ins Publikum, während vom Computer Fiepsen, Störgeräusche, kurze Musiksequenzen, Vogelgezwitscher und Gesprächsfetzen vorwärts und rückwärts liefen. Die Tonspur dazu wurde als mehr oder minder spannendes Visual projiziert, später erfuhr man, das Ganze sei eigentlich ein Hörspiel.

Aber wann würde man sich so etwas anhören? Vielleicht bei so meditativen Tätigkeiten wie das Zusammenführen verloren geglaubter Einzelsocken zu Sockenpaaren oder beim Abstauben eines zwei Meter hohen vielblättrigen Gummibaums? Hier aber saß man eine quälende Stunde lang im Theaterdunkel des ausverkauften Hauses, rutschte wie zu Schulzeiten auf dem Stuhl rum und dachte ein ums andre Mal: "Wie lange dauert es noch?"

Flyer der Transmediale 2013

Transmediale

Der Ärger über dieses zermürbend langweilige, überflüssige "Konzert" verflog dann, denn zum Glück hatte das Elektronikfrickler-Duo Matmos mehr Willen zur Performance und Unterhaltung. Das Duo, das gerne Sounds bei schönheitschirurgischen Eingriffen sammelt, sampelt und zu Electrodiscostücken verarbeitet, stellte das neue Werk "The Marriage of True Minds" vor, das angeblich nach der Ganzfeld-Telepathie-Methode erzeugt wurde: Ein Musiker wurde in Hypnose versetzt und murmelte geheimnisvolles Zeug über Dreiecke. Dazu liefen eindrucksvolle Fettabsaugvideos, deren Ästhetik an Innenaufnahmen von Darmspiegelungen erinnerten, es wurde allerhand Schabernack mit Wasser in Salatschüsseln und Luftballons an Bäuchen getrieben, alles sehr kurzweilig und musikalisch interessant.

Danach ging es im Nebengebäude weiter, die klangforschende Zumutung Atom hatte inzwischen ihr "Liveset" aufgebaut und die aberwitzige Steigerung ihres Vortrags bestand darin, dass die Soundakademiker, diesmal in der typischen Elektronikerpose hinter ihren Computern hockten und wichtigtuerisch an Knöpfen herum drehten. Im Nebenraum konnte man zeitgleich verfolgen wie "Sound Studies"-Stundenten Sinustöne durch ein komplexes System aus 96 Lautsprechern schickten.

Aber auch beim "gemütlichen Teil" des Abends im Wirtshaus am Ufer "Wau" ging es es nicht allzu hedonistisch zu: Der typische CTM-Besuscher oder Mitwirkende ist männlich, akademisch, nerdig-verstaubt und über vierzig, man steht ernst in Gruppen beeinander und fachsimpelt oder klärt sich über Karrieresprünge und Einladungen zu anderen spannenden Festivals auf. Frauen scheinen hier nur in Servicefunktionen hinter Tresen und Counter und als "Freundin von xyz" zugelassen.

Weniger monogeschlechtlich und etwas lebenslustiger ging es bei den CTM Abenden im Berghain und anderen Clubs zu. Das Musikprogramm der CTM beschränkt sich ja zum Glück nicht auf minimalistisches Laptop-Gefiepse und komplex konstruierten elektronischen Krach. Man konnte zum Beispiel das neue Folk-Ensemble des Current-93-Sängers David Tibet sehen, bei emptyset analog komprimierten Techno Minimalismus aus Bristol hören und den japanischen Künstler Atsuhiro Ito beim Herumfuchteln mit dem "Optron", einer mit Tonabnehmern versehenen Leuchtstoffröhre beobachten.