Erstellt am: 19. 1. 2013 - 14:21 Uhr
Worte und Unworte
Der Wettermoderator Jörg Kachelmann hatte das Wort in seinem Buch und in Interviews verwendet. Er sprach davon, dass Frauen in unserer Gesellschaft ein "Opfer-Abo" hätten, ein Abonnement auf das Opfersein, auch wenn sie Täterinnen seien. Nach Ansicht einer Jury aus Sprachwissenschaftlern und Journalisten stellt der Begriff "Opfer-Abo" Frauen in inakzeptabler Weise unter den Verdacht, sexuelle Gewalt zu erfinden und bestätigt gängige Vorurteile in Bezug auf eine Vortäuschung von Vergewaltigungen oder eine Mitschuld der Frauen.
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Man mag zu den Vorgängen um den Kachelmann-Prozess stehen wie man will, kann von Kachelmanns Schuld oder Unschuld überzeugt sein, das Wort "Opfer-Abo" ist furchtbar. Und zwar deshalb, weil seine Aussage auf obszöne Weise die Wirklichkeit auf den Kopf stellt. Man muss nur die Nachrichten der letzten Tage durchgehen: Massenvergewaltigungen in Indien, millionenfache Abtreibung weiblicher Föten und Tötung Neugeborener, Sklavenhandel mit Mädchen und jungen Frauen.
Aus dem Leben der Lo-Fi Boheme von Christiane Rösinger
In Afrika sind Frauen Hauptleidtragende der Aids-Epidemie. In Europa sind Frauen Opfer von Zwangsprostitution und Menschenhandel, die fortdauernde materielle und sexuelle Ausbeutung von Frauen ist Normalität. In der islamischen Welt sind Frauen zum großen Teil vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. Und auch in Deutschland werden Frauen ökonomisch benachteiligt und sind Opfer sexueller Gewalt.
Es scheint also richtig, das "Opfer-Abo" als Unwort zu klassifizieren. Die Opferorganisation Weißer Ring meinte zwar, es bestehe die Gefahr, ein Wort auf diese Weise erst populär zu machen, es sei aber auch wichtig solche Begriffe zu enttarnen.
Wie so ein Wort weiterlebt, zeigt die Berichterstattung zu dem Buch "Kindermund" von Pola Kinski. Die Schauspielerin beschreibt darin, wie sie von ihrem allseits bewunderten Vater, dem Schauspieler Klaus Kinski, jahrelang sexuell missbraucht wurde. Unter den Online- Artikeln in deutschen Tageszeitungen finden sich einige gehässige, sexistische Postings, in denen der Schauspielerin unterstellt wird, sie habe das Thema erfunden, um ihr Buch besser verkaufen zu können. Ein Buch, dass sie nur geschrieben habe, weil es mit der Karriere in Hollywood nicht geklappt hat. Und dann der Nachsatz: "Denn Frauen haben eben ein Opfer-Abo".
Thienemann Verlag, Otfried Preussler (Autor), Winnie Gebhardt-Gayler (Zeichner)
Sprachkritik scheint überhaupt das Thema dieser Tage zu sein. Erbittert wird über die neue Auflage des Kinderbuches "Die kleine Hexe" von Ottfried Preussler diskutiert. Der Verlag des Kinderbuch-Klassikers will die Sprache modernisieren und das Wort "Negerlein" heraus nehmen.
Konkret geht es um ein Kapitel der "Kleinen Hexe", in dem von einer Fastnachtsfeier die Rede ist und von Kindern, die sich als "Negerlein", "Türken mit roten Mützen und weiten Pluderhosen", "Chinesinnen", als "Menschenfresser", "Eskimofrauen" und als "Hottentottenhäuptling" verkleiden. Wenigstens die Worte "Neger", "Türken" und "Chinesinnen" wird man in der künftigen Neuausgabe nicht mehr finden, die Kinder werden sich dann als etwas anderes kostümieren.
Darauf folgte nun aber eine große Diskussion, um Zensur und übertriebene politische Korrektheit, so emotional geführt, als nehme man den Deutschen mit dem "Negerlein" ihre liebsten Kindheitserinnerungen. Dem Verlag geht es aber nicht um political correctness, sondern um die Angleichung an den heutigen Sprachgebrauch.
Dass sich Sprache ändert, dass der "Neger" heute anders als in den Fünfzigern ein rassistisches Wort ist und zum Glück aus dem Sprachgebrauch verschwunden ist, interessiert da wenig.
Dann kam noch heraus, dass der Oetinger Verlag schon 2009 Pippi Langstrumpfs Vater, vom "Negerkönig" zum "Südseekönig" befördert hatte und die Entrüstung wuchs an. "Wo kommen wir denn da hin, wenn unsere Kinderbücher der politisch korrekten Sprachpest zum Opfer fallen", so der Chor "Negerlein"-Fans.
Alles in allem eine absurde Diskussion. Denn warum sollte man ausgerechnet in einem Kinderbuch ein ausgestorbenes, rassistisches Wort weiterleben lassen?