Erstellt am: 11. 12. 2012 - 22:12 Uhr
Urheberrecht: Geld für Anwälte, statt für Künstler
Ein Hauch von Republikaner-Parteitagsatmosphäre im dicht besetzten Wiener "Depot": Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) war auf dem alternativen Urheberrechtsdialog nur in Form eines Porträtfotos auf einem ansonsten leeren Stuhl vertreten.
Ein Symbol dafür, dass das Justizministerium am Dienstag fast ausschließlich Vertreter der Medienindustrie und der Verwertungsgesellschaften zum Dialog über das jüngst durchgesickerte "Arbeitspapier" zur Reform des Urheberrechts geladen haben, das unter anderem den Zugriff der Verwertungsindustrie auf Nutzerdaten bei den Providern und Einführung eines Abmahnwesens nach deutschem Vorbild vorsieht.
Günter Hack, ORF.at
Als Reaktion darauf haben verschiedene Organisationen der österreichischen Zivilgesellschaft wie der Internetnutzerverein vibe.at oder die Initiative für Netzfreiheit zur Gegenveranstaltung geladen. Auch Vertreter der Piratenpartei, die den Anlass organisiert hat, der SPÖ und der Grünen nahmen Teil.
Justizministerium lädt ein
Schon zu Beginn konnte Moderatorin Ingrid Brodnig, Medienredakteurin des "Falter", aber die Nachricht verkünden, dass das Justizministerium nachgegeben und für den 18. Dezember nun doch Vertreter der Zivilgesellschaft wie den Internet-Nutzerverband vibe.at und den Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung oder progressive Medienorganisationen wie mica zum Gespräch geladen hat.
Auch wenn sich unter den Diskussionsteilnehmern kein Clint-Eastwood-Pendant gefunden hat, das sich direkt mit einer stundenlangen Klage an Karls leeren Stuhl wenden mochte: Kritik am Arbeitspapier und an der Einladungspolitik des Ministeriums gab es reichlich.
Günter Hack, ORF.at
Angst vor der Abmahnindustrie
Joachim Losehand von vibe.at kritisierte, dass die Vorschläge des Papiers auf einen Import des deutschen Systems der Abmahnindustrie hinausliefen. "Nutzer werden ohne Unterschied verfolgt", so Losehand, "Ich habe Zweifel daran, dass das so kommt."
Elisabeth Hakel, Sprecherin der SPÖ für Creative Industries im Nationalrat, verlieh dieser Aussage auch gleich politisches Gewicht: "So wie es jetzt ist, würden wir nie zustimmen." Diese Position sei mit dem Klub akkordiert. "Da steht das nächste ACTA vor der Tür." Das durchgesickerte Arbeitspapier sei vom Justizministerium "im Alleingang" und ohne Absprache mit dem Koalitionspartner erstellt worden.
Gegenvorschläge der SPÖ
Um eine "Kriminalisierung der Schulhöfe" durch Abmahnanwälte und die Abschaffung der Privatkopie zu verhindern, diskutiere man bei den Sozialdemokraten die "Breitbandabgabe", einen Vorschlag des französischen Netztheoretikers Philippe Aigrain, der - stark verkürzt - über digitale Wasserzeichen und ein Register für Kulturgüter anonym die Verbreitung digitaler Medienprodukte nachvollziehen und auf dieser Basis ein transparentes Vergütungssystem für digitale Kopien schaffen möchte.
Statt Anwälten und Verwertern sollten die Urheber besser geschützt werden und mehr Geld bekommen, sagt Hakel: "Das wollen wir über ein Urhebervertragsrecht regeln, das beispielsweise Regelungen dafür enthält, wieviel ein Autor mindestens bekommen soll, wenn sich sein Buch als Bestseller erweist."
Recht auf Privatkopie gefährdet
Markus Stoff von der Initiative für Netzfreiheit kritisierte die im Arbeitspapier vorgebrachten Vorschläge zur Regelung von Privatkopie und Datenträgerabgabe scharf: "Wir sollen immer mehr Geld zahlen und werden gleichzeitig immer stärker kriminalisiert." Die Pläne des Justizministeriums und der Medienindustrie liefen darauf hinaus, dass die Künstler selbst von den geplanten Maßnahmen kaum profitieren würden. "Es profitieren eigentlich nur die Anwälte", so Stoff.
Joachim Losehand ging an dieser Stelle ins Detail: "Der im Arbeitspapier angegebene Kostenersatz in Höhe von 100 Euro für geringe Verstöße ist reine Augenauswischerei. Denn darin sind die Anwaltskosten für die Verteidigung noch nicht enthalten. Außerdem gibt es keinerlei Definition dafür, was nun ein 'einfach gelagerter Fall' oder 'gewerbliches Ausmaß' wirklich in der Praxis bedeutet." Er erinnerte auch daran, dass diese fehlenden Definitionen dann im Zuge langer und auch für den Steuerzahler äußerst kostspieliger Prozesse erst festgesetzt werden müssten. "Das kann im Einzelfall mehrere Tausend Euro kosten", so Losehand.
Juristische Analyse
Der Salzburger Richter und Internetrechtsexperte Franz Schmidbauer hat auf seiner Website eine umfangreiche Analyse zum UrhG-Arbeitspapier veröffentlicht. Auch er kritisiert die geplante Zugriffsmöglichkeit auf Userdaten scharf.
Anwälte profitieren
Er erinnerte daran, dass dies in Deutschland dazu geführt hat, dass viele Gerichte auch im Tausch einer einzigen Musikdatei "gewerbliches Ausmaß" der Urheberrechtsverletzung erkannt hätten. Den Richtervorbehalt kritisierte Markus Stoff als nutzlos: "Die Richter müssen schriftlich begründen, warum sie einen Antrag auf Zugriff auf die Nutzerdaten ablehnen wollen. Es ist also viel einfacher für sie, die zahlreichen Anträge der Abmahnanwälte durchzuwinken."
Günter Hack, ORF.at
"Es gibt keinen Weg zurück"
Peter Purgathofer, Professor an der TU Wien, sieht den Versuch, das Urheberrecht zu reformieren, als komplett gescheitert an. "Der ganze Ansatz, etwas reparieren zu wollen, was nicht mehr repariert werden kann, ist verkehrt", so der Informatiker, "Was früher physische Objekte wie Bücher oder CDs waren, sind heute immaterielle Güter. Es gibt keinen Weg zurück, wir müssen das System ganz neu denken."
Als möglichen Lösungsansatz erwähnte Purgathofer das Konzept der Kulturwertmark, wie es vom deutschen Chaos Computer Club vorgestellt wurde. Hier sollen die Teilnehmer monatlich einen festen Betrag in ein Micropaymentsystem einzahlen und bestimmen, welche Künstlerin oder welcher Künstler welchen Anteil davon erhalten soll.
Scharf griff Purgathofer Überlegungen an, die Nutzerdaten aus der verdachtsunabhängigen Überwachungsmaßnahme Vorratsdatenspeicherung zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen hinzuzuziehen: "Erst hieß es, die Daten werden nur zur Terrorbekämpfung eingesetzt. Heute denkt darüber nach, auch Bagatelldelikte damit aufklären zu wollen." Dies verstoße gegen den verfassungsmäßig garantierten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da die Erfassung sämtlicher Verbindungs- und Standortdaten der Bevölkerung einen tiefen Eingriff in die Privatsphäre jedes Bürgers darstelle.
Ungleichgewicht im Lobbying
Michel Reimon, Fachbuchautor, Schriftsteller und Landtagsabgeordneter der Grünen im Burgenland, brachte die strategische Perspektive ein. Dass die Zivilgesellschaft nicht zum ersten Gespräch über das Urheberrecht geladen worden sei, offenbare ein "massives Ungleichgewicht im Lobbying". Die Medienkonzerne und Verwertungsgesellschaften würden viel Geld und Zeit darin investieren, nachhaltig Druck auf die Politik auszuüben. Auch die Interessensvertreter der Medien innerhalb der Grünen selbst seien hervorragend organisiert. "Es ist aber noch nie ein Künstler selbst mit Forderungen nach Verschärfungen des Urheberrechts oder Erhöhungen der Datenträgerabgaben an mich herangetreten", so Reimon, "Es waren immer nur Vertreter der Medienindustrie."
Die Vertreter der Zivilgesellschaft müssten professioneller werden. Reimon: "Es muss konstant Druck auf alle Parteien ausgeübt werden." Der Abgeordnete kritisierte, wie die Verwertungsgesellschaften mit dem Geld ihrer Mitglieder umgingen. Gelder aus der Projektförderung würden in Lobby-Initiativen wie "Kunst hat Recht" fließen. "Acht Millionen Euro werden schlecht verteilt", so Reimon, der der Zivilgesellschaft in einem Beitrag auf seinem Weblog dazu rät, von der Defensive in die Offensive zu wechseln und das bestehende System der Verwertungsgesellschaften zu durchleuchten, "bevor darüber geredet wird, wie zusätzliches Geld in dieses System gepumpt wird". Letztlich, so Reimon, sei schon der Begriff "Urheberrechtsreform" für sich genommen ein Sieg der Medienindustrielobby: "Denn es geht gar nicht um die Urheber, sondern darum, wie die Verwertungsindustrie mehr Geld bekommen kann."