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Barbara Köppel

Durch den Dschungel auf die Bühne des Lebens.

4. 12. 2012 - 12:38

Ich will eine CD aufnehmen

In der Wiener KoMit-Schule arbeiten Jugendliche mit Behinderungen mit Neuen Medien. Im Rahmen von Licht ins Dunkel sammelt FM4 Spenden für die daran anschließende Tagesstruktur Media & More.

Marcell Vala sitzt am Computer. Sein Blick pendelt zwischen einem bedruckten Zettel, Tastatur und Bildschirm. Langsam und konzentriert tippt er Sätze ins Keyboard. Über dessen Tasten liegt eine spezielle Lochabdeckung, die es ihm erleichtert, nur auf die gewünschten Buchstaben zu drücken ohne irrtümlich andere oder mehrere Tasten zu betätigen. Seine Lehrerin schaut ihm dabei über die Schulter. Falls Marcell Hilfe braucht, ist sie für ihn da. Doch der Text auf dem Monitor füllt schon mehr als eine Seite. "Es ist eine lange Bildergeschichte geworden", sagt der 17-Jährige schließlich. Am Vortag habe er damit begonnen - nun sei sie fertig.

KoMit-SchülerInnen am Computer

Media & More

Marcell ist einer von 14 SchülerInnen der KoMit-Schule am Institut Keil in Wien Hernals. Alle 13- bis 19-Jährigen SchülerInnen haben Cerebralparese: sie können ihre Bewegungen nicht gut koordinieren und teilweise nicht oder nur sehr schwer sprechen. Die Ausprägung der Symptome ist unterschiedlich stark. Marcell zum Beispiel kann frei sitzen und selbst gehen, andere bewegen sich mit Gehgeräten oder im Rollstuhl fort. Manche der SchülerInnen essen selbstständig und plaudern dabei mit ihren BetreuerInnen, andere können wegen zu geringer oder zu starker Muskelspannung Messer und Gabel nicht alleine halten oder kommunizieren über Blicke und Gesten.

Unterricht und Therapie

KoMit steht für "Konduktiv Mehrfachtherapeutische Förderung" und ist eine pädagogisch-therapeutische Methode, die sich mit der ganzen Persönlichkeit des Menschen befasst. Neben Lernprozessen auf kognitiver und psychosozialer Ebene wird auch an der Bewegungsförderung gearbeitet. Ziel ist es, dass die KlientInnen ihren Alltag möglichst aktiv und eigenständig bewältigen können.

An der KoMit-Schule werden die Jugendlichen in Kleingruppen von einem Team aus LehrerInnen und TherapeutInnen in Deutsch, Mathematik und anderen Fächern unterrichtet. Im "Computerunterricht", wie Mehrfachtherapiekonduktorin Ulrike Ossberger die Informatikstunde bescheiden nennt, lernen sie etwa Textverarbeitungs- und Präsentationsprogramme zu bedienen, oder wie sie mit Suchmaschinen zu brauchbaren Ergebnissen kommen.

Die Klassen sind nicht nach Alter, sondern nach kognitiven und motorischen Fähigkeiten unterteilt. Das entspricht dem ganzheitlichen Konzept der KoMit-Schule und soll ihren KlientInnen zu möglichst viel Selbstständigkeit verhelfen. Fachunterricht wechselt sich mit Bewegungseinheiten ab - ein Stundenplan, wie man ihn sich für Schulen nur wünschen kann.

"Wir beginnen mit dem Pritschenprogramm", erklärt Liisa Nisula das grobmotorische Training, das sie täglich absolviert. Die SchülerInnen liegen dabei auf Holzpritschen, und die TherapeutInnen helfen ihnen mit Bewegungsübungen, ihre Gelenke zu mobilisieren, Muskeln zu dehnen und ganz allgemein ein Körpergefühl zu entwickeln. "Dann tue ich mir leichter beim Sitzen, Stehen und Gehen", sagt die 19-Jährige, die sonst meistens mit dem Rollstuhl unterwegs ist. Anschließend folgt noch eine "funktionelle Gehstrecke". "Da werde ich von hinten gestützt", so Liisa, "natürlich übernehme ich selbst Gewicht, nur wenn ich zusammensacken sollte, fängt mich jemand auf".

Liisa Nisula sitzt vor dem Computer

Barbara Köppel

Fortbildung bei Media & More

Zwölf der vierzehn KoMit-SchülerInnen sollen nächstes Jahr zu Media & More im 12. Wiener Gemeindebezirk wechseln. Dort soll eine Tagesstruktur entstehen, wo junge Erwachsene mit Behinderungen mit Neuen Medien arbeiten und gleichzeitig ihre Therapie fortsetzen können. Die Räumlichkeiten dafür stehen derzeit noch leer, doch dank einer Elterninitiative, die sich aus Müttern und Vätern der KlientInnen zusammensetzt, sollen schon bald ausreichend Rechner und Therapiemöbel bereitstehen.

"Es geht darum, eine Tagesstruktur zu schaffen, wo unsere Kinder die Fähigkeiten, die sie sich in den letzten Jahren hart erarbeitet haben, einsetzen und ausbauen können. Es soll nicht einfach eine Aufbewahrungsstätte werden, wo sie untertags untergebracht sind, aber im Grunde nur darauf warten bis der Fahrtendienst sie wieder abholt und nach Hause bringt.", sagt Ingrid Gurung, die Mutter einer Cerebralparetikerin ist und auch beruflich mit technischem Equipment für behinderte Menschen zu tun hat.

Trotz des Gleichbehandlungsgesetzes ist es nämlich für junge Erwachsene mit Behinderungen nach wie vor schwierig, geeignete Fortbildungsmöglichkeiten geschweige denn Arbeit zu finden. Nach Ende der Schulpflicht würden viele in Einrichtungen abgestellt, wo grob gesagt den ganzen Tag gebastelt würde, berichtet Ulrike Ossberger von KoMit, und das sei für Menschen mit motorischen Einschränkungen ungeeignet.

Spezielles Equipment

Im Gegensatz dazu kann die Arbeit mit adaptiertem Computerequipment Defizite in Bewegungs- und Sprachfähigkeit in vielen Fällen sogar ausgleichen. Sprachprogramme, die über Augenbewegungen gesteuert werden, erleichtern die Kommunikation immens. Das eigenständige Bewältigen von Aufgaben erhöht zudem die Selbstbestimmtheit.

Für Marcell und Liisa, die das Arbeiten am Computer gewöhnt, aber bald zu alt für die Schule sind, wäre die geplante Tagesstruktur ideal. Sie freuen sich darauf, Texte für Websites oder Zeitungen zu verfassen, eventuell sogar kleine Reportagen zu gestalten, Fotos zu bearbeiten oder Graphiken zu erstellen. "Ich will endlich eine CD alleine aufnehmen", sagt Marcell. Liisa würde gern ein Video machen.

Tools für solche Tätigkeiten haben die SchülerInnen in der KoMit-Schule teilweise schon zur Verfügung. Nun sollen auch für Media & More die entsprechenden Geräte besorgt werden. Gebraucht werden vor allem spezielle Eingabegeräte wie z.B. Trackballs oder Klicker als Mausersatz, einfach zu handhabende Joysticks oder Mäuse, die durch Saugen und Blasen bedient werden. Computer, die mit Augen- und Kopfbewegungen gesteuert werden können, werden ebenfalls benötigt.

Liisa jedenfalls möchte ihre Chance wahrnehmen und ihren Weg bei Media & More fortsetzen. "Weil dann kenne ich mich noch besser mit Computern aus, als es ohnehin schon der Fall ist."