Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Freies Internet?"

15. 11. 2012 - 18:17

Freies Internet?

Verfehlungen bei der Entwicklung digitaler Rechte, die hinkende Idee des Kopierschutzes und warum Protestbewegungen von der Politik nicht mehr wahr genommen werden. Ein Interview mit Peter Purgathofer von der TU Wien.

von Sarah Kriesche

Es scheint eine Kluft zwischen technischem Fortschritt und sozialer Akzeptanz zu geben. Menschen mit der Fähigkeit, Ereignisse oder schlicht den Status Quo des Internets - zwischen Netzneutralität und Gesetzesentwürfen - für die Öffentlichkeit aufzubereiten, sind wichtiger denn je.

Peter Purgathofer, Dozent am Institut für Gestaltung und Wirkungsforschung der Fakultät für Informatik an der TU Wien ist so jemand. Er war "von Anfang an dabei" und kennt die Herausforderungen, die sowohl das Internet an die Gesellschaft als auch die Gesellschaft an das Internet stellen. Im technischen, wie im sozialen Bereich.

Gesetze, Gesetze, Gesetze

Vorratsdatenspeicherung, EU-Projekte und Gesetzesvorschläge wie ACTA, CleanIT oder INDECT erinnern daran, dass nicht nur sicherheitstechnische, sondern auch wirtschaftliche Interessen im Internet vorherrschen. Vom Urheberrecht bis zur Terrorismusbekämpfung werden Schritte unternommen, um das unkontrollierte Treiben in sämtliche Richtungen unter Kontrolle zu bekommen. Ob das Internet ein "freier Raum" bleibt, wo alle gleich sind, oder in Zukunft eben doch manche gleicher sein werden?

Peter Purgathofer, Dozent an der TU Wien und Mitglied der Big Brother Jury

Wilfried Reinthaler

Für Peter Purgathofer ist der Point Of No Return schon längst erreicht.

"Früher hat man gesagt, Kopierschutz und Knacken des Kopierschutzes ist eine Eskalationsspirale. Unterm Strich hat sich in weiten Bereichen das 'nicht Kopierschutz haben' durchgesetzt, weil sich herausgestellt hat, dass in dieser Eskalationsspirale immer die Hacker gewinnen. Auch wenn es noch immer den Wunsch gibt, umfassende Copyright-Regimes durchzusetzen, zeigt sich immer wieder, dass es faktisch nicht machbar ist - auch nicht mit Gesetzen. Dann gibt es meinentwegen irgendeinen 'Theft of intellectual property act' und dann kommt jeder ins Gefängnis, der auch nur einen Musik-Track kopiert. Dann sitzen aber auf einmal 5000 Jugendliche im Gefängnis und wir sind an einem Punkt angekommen, wo jeder merkt, wie falsch diese Gesetze sind."

Entgesellschaftete Politik statt depolitisierter Jugend

Nicht zuletzt die Demonstrationen gegen ACTA haben gezeigt, dass es ein großes Interesse daran gibt, die Zukunft des Netzes mitzugestalten. Für Peter Purgathofer waren die Demonstrationen keine Überraschung:

"Ich habe mir schon gedacht, dass so etwas in absehbarer Zeit passiert. Und es gab das ja schon: Zu Clinton-Zeiten gab es den Clipper-Chip, eine Initiative um Kryptographie zu standardisieren und diesen Standard mit einem Regierungs-Hintertürl zu versehen, sodass jede verschlüsselte Nachricht mit einem eigens dafür hinterlegten Schlüssel in Folge auch entschlüsselt werden kann. Das ist am Widerstand des Internets gescheitert. Entsprechend ist es bei ACTA wieder passiert, nur viel größer und viel beeindruckender. Ich habe mich sehr gefreut, dass einmal so richtig zeitgemäße Interessen vertreten werden und nicht nur diese Rückwärtsschauer.

Das eigentlich bestürzende ist ohnehin nicht, dass die Jugend irgendwie unpolitisch sei, sondern dass die Proteste oft zu nichts führen. Das ist die wahre Veränderung von der wir reden müssen, dass die Politik von Protestbewegungen kaum mehr zu beeindrucken ist. Die gesellschaftlich Desinteressierten sind nicht die Jugendlichen, das sind die Politiker, die sich überhaupt nicht mehr darum kümmern, was für Formen des Protests draußen passieren. Das ist der eigentliche Skandal. Wir haben keine depolitisierte Jugend, wir haben eine entgesellschaftete Politik bekommen."<<

The 8 Billion Dollar iPod

Peter Purgathofers Mitleid für die Film- und Musikindustrie, die nach Gesetzen drängt, um ihre Urheberrechte im Cyberspace zu wahren, hält sich in Grenzen:

"Das Tragische an der Geschichte ist ja, was für eine verschwindend kleine Wirtschaftsleistung die Unterhaltungsindustrie tatsächlich bringt. Da gibts von Rob Reid ja das "Copyright Math"-Tedtalk, da zeigt er ganz wunderbar, was für einen winzigen Anteil am gesamten Wirtschaftsvolumen der USA der Unterhaltungsbereich hat, und gleichzeitig ist er ein Bereich, der die gesamte Gesetzgebung vor sich hertreiben kann.

Die Zahl der Menschen, die in der Unterhaltungsbranche insgesamt arbeiten, also Musik- und Filmbranche zusammen, ist vernachlässigbar im Vergleich zur Zahl an Arbeitsplätzen, die mit einer liberaleren Handhabung von Intellectual Property Laws geschaffen werden könnte. Aber das ist völlig wurscht. Die sitzen dort und können die Gesetze machen. Das ist dieselbe Gruppe von Intellectual Property-Anwälten, die einerseits das für die Unterhaltungsindustrie machen und die andererseits die Gesetzesvorschläge schreiben und dann auch dafür sorgen können, dass die dann durchgehen oder gottseidank noch nicht durchgehen zum Teil.
Es ist ohnehin schon schlimm genug, dass die Idee, dass ein kopierter Track in den USA einen Schaden von 150.000 US-Dollar anrichtet. Das ist jenseits jeder Lächerlichkeit. Rob Raid hat ausgerechnet, dass ein iPod mit einer 160 GB-Platte einen Schaden von 8 Milliarden US-Dollar verursacht. Es wäre interessant zu sehen, was passiert, wenn man jemand mit einem iPod Selbstanzeige erstattet…"<<

Past, Present, Future

Werden wir in dreißig Jahren unseren Kindern Geschichten von den Zeiten erzählen, als das Internet noch frei war? Oder kann man die Freiheit, die dieser neue öffentliche Raum den Menschen bietet, ohnehin nicht mehr kontrollieren? Peter Purgathofer wagt einen Blick zurück nach vorne:

"Da gab es natürlich den Sommer, als AOL von einer kleinen abgeschlossenen Insel zu einem Teil des Internets geworden ist, und auf einmal waren diese ganzen 'Noobs' da, die von Netiquette keine Ahnung hatten. Damals war das Internet ein kleiner Zirkel von Menschen, die sich darüber einig waren, was für eine wunderbare Elite und Zukunft der Menschheit sie nicht darstellen würden und auf einmal kam die Masse und hat alles kaputt gemacht. Von dem her kann ich sagen: Ich weiß noch, wie es vorher war. Aber ich kann auch sagen, diese Phase machen alle Kommunikationsformen und Technologien durch: Dass sie vulgarisiert und zum Normalen werden. Und das tut denen, die am Anfang damit unterwegs waren, nie gut.

Man kann auch eine andere These aufstellen: Wenn das Internet, so wie es jetzt definiert ist, etwa mit der Netzneutralität, zerstört wird, dann wird es einen Weg geben, Kommunikationsstrukturen zu schaffen, die frei sind. Wir sind nicht mehr davon abhängig, dass alles über das eine Netzwerk stattfinden muss. Wir werden andere Wege finden, um uns den Kommunikationsfreiraum zu schaffen, den wir hier erlebt haben. Die Idee ist zu stark und die Freiheit, die damit geschaffen wurde, ist zu verlockend, als dass das als Idee einfach verschwinden würde und wir sagen 'na gut dann nicht, gehen wir halt wieder fernsehen'."

Dieses Element ist nicht mehr verfügbar